Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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handlungen des Staats, in denen sein Herrschafts- 
recht über die Staatsglieder in besonderer Weise 
in die Erscheinung tritt, den Verfügungen, unter- 
scheidet man Entscheidungen (z. B. Strafver- 
fügungen), Gebote, bestimmte Handlungen vor- 
zunehmen oder zu unterlassen, Konzessionen (Er- 
laubnisse, Ermächtigungen) und Einziehungen 
(Gebrauchsbeschränkungen und -entziehungen). 
7. Das Verhältnis von Staatsver- 
waltung und Justiz. Auf dem Gebiet der 
rechtlichen Entscheidungen macht man so einen 
durchgreifenden Unterschied zwischen eigentlich ver- 
waltungsrechtlichen und richterlichen, indem man 
die letzteren als den Ausfluß einer besondern rich- 
terlichen, zu der gesetzgebenden und der verwalten- 
den hinzutretenden Staatsgewalt, als eine beson- 
ders geartete Staatsfunktion, betrachtet. Doch ist 
jederzeit, mehr oder weniger bestritten, auch die 
aAnsicht verfochten worden, daß, ebenso wie die 
Regierung, auch die richterliche Tätigkeit nichts 
als Rechtsausführung, Staatsverwaltung auf 
Grund von Rechtsnormen und diesen gemäß, sei. 
Das Wesen der Rechtsprechung besteht in der 
verbindlichen Feststellung eines konkreten Rechts- 
verhältnisses. Diese Tätigkeit kann, wenn anders 
sie staatliche Rechtspflege sein soll, nur von Staats- 
organen auf Grund einer diesen vom objektiven 
Recht gewährten Kompetenz vorgenommen wer- 
den, ist also Staatsverwaltung in dem hier ver- 
wendeten Sinn. 
Sie unterscheidet sich von den übrigen Staats- 
verwaltungsakten nicht dadurch, daß sie und nur 
sie Urteile im Sinn der Logik enthält. Denn auch 
wenn ein rechtsausführendes Staatsorgan ein 
konkretes Rechtsverhältmis nicht feststellt, sondern 
in sonstiger Weise auf Grund einer rechtlichen 
Zuständigkeit namens des Staats tätig wird, 
hat es logisch zu urteilen: es muß unter Würdi- 
gung seines Kompetenzumfangs, d. h. unter Wür- 
digung seiner allgemeinen Befugnis und Verpflich- 
tung zu Handlungen namens des Staatls, für jeden 
besondern Fall Recht und Pflicht zu bestimmtem 
Handeln beurteilen, wie der Richter unter Be- 
urteilung seiner Zuständigkeit zur Entscheidung in 
dem vor ihm verhandelten Rechtsstreit, der mög- 
licherweise einer richterlichen oder nichtrichterlichen 
Verwaltungsbehörde zur Schlichtung unterbreitet 
werden muß, seine Verpflichtung zum Erlaß einer 
bestimmten Sentenz erfüllen muß. Insofern hebt 
sich die richterliche Tätigkeit von sonstigen Hand- 
lungen rechtsausführender Organe nicht ab. Denn 
die erwähnte Denkoperation muß jedes der- 
selben vornehmen; auch die rein exekutivisch vor- 
gehenden Diener des Staats sind ihrer nicht ent- 
hoben. Selbst der Soldat, der unbedingt zu ge- 
horchen hat, muß wenigstens feststellen, ob ein 
Gehorsam heischender Befehl eines Vorgesetzten 
vorliegt — eine Feststellung, welche mitunter 
schwierig sein kann —, bevor er „gehorchen“ kann. 
Außerdem besteht auch für ihn in gewissem Grad 
die Pflicht zur Prüfung der Rechtmäßigkeit des 
Staatsverwaltung ufw. 
  
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erteilten Befehls, die die Befugnis des Unter- 
gebenen zu seiner Ausführung in sich schließt. 
Diese Prüfung ist eine „Entscheidung“. 
Was die Tätigkeit eines Staatsorgans zu einer 
richterlichen stempelt, ist der Umstand, daß es, wie 
es dem Begriff „Richter“ im herkömmlichen Sinn 
entspricht, über Rechtspflichten Dritter verbindlich 
entscheidet, und zwar über Pflichten, die auch ohne 
den Richterspruch bestehen, sei es daß die Ent- 
scheidung sich auf die Vergangenheit erstreckt, die 
vergangene Pflichterfüllung bzw. Svernachlässi- 
gung feststellt und Lohn oder Strafe dafür ver- 
hängt, oder daß sie sich auf die Zukunft bezieht 
und festlegt, wie ein Rechtspflichtsubjekt sich in 
Zukunft zu verhalten hat. Die richterliche Tätig- 
keit in diesem Sinn ist ohne Zweifel ein Komplex 
von Rechtsausführungsakten, d. h. von Amts- 
handlungen, die die Ausführung der durch das 
Recht einem Staatsorgan als solchem auferlegten 
Pflichten zum Gegenstand haben, welche von den 
übrigen Rechtsausführungsakten ihrem innern 
Wesen nach zu unterscheiden sind. Die positiv 
fördernde Tätigkeit des Staats erfordert zwar auch 
ein Urteil der mit ihr betrauten Organe. Dieses 
bezieht sich aber nicht auf die Erfüllung von 
Pflichten anderer Personen, welche jene noch zu 
erfüllen haben oder bezüglich deren festgestellt 
werden soll, ob sie in der Vergangenheit erfüllt 
sind oder nicht, sondern auf die in der Zukunft 
liegende Erfüllung eigner Pflichten. Das Urteil, 
daß die Umstände so liegen, daß ein bestimmtes 
Handeln als Staatsbeamter vorzunehmen ist, muß 
zwar sowohl der Richter, wenn er ein Urteil sprechen 
will, als auch der Rechtslehrer, der eine Lehr- 
meinung vortragen will, fällen, aber das Produkt 
dieser Amtspflichterfüllung hat verschiedene Wir- 
kungen, und die besondern Eigenschaften des rich- 
terlichen Urteils, die kein anderer Staatsakt teilt, 
berechtigen zu seiner begrifflichen Hervorhebung 
unter den übrigen Staatsfunktionen. Aber die 
gesamte Staatstätigkeit, insbesondere auch die 
positiv fördernde, ist mit richterlichen Funktionen 
durchsetzt; die Disziplinierung der Beamten, die 
Festsetzung der Steuerpflichten und zahlreiche an- 
dere Verfügungen sind Entscheidungen, die, an 
andere Beamte oder Private gerichtet, deren zu- 
künftig zu erfüllende Pflichten betreffen oder dar- 
über Auskunft geben, ob Rechtspflichten in der 
Vergangenheit erfüllt sind oder nicht und deshalb 
Lohn oder Strafe einzutreten haben. Anderseits 
hat der Richter insbesondere während des Ver- 
fahrens sortdauernd Rechtsausführungehand- 
lungen vorzunehmen, die nicht den Charakter rich- 
terlicher Sentenzen haben. Selbst wenn ein Staat 
sich damit begnügen wollte, lediglich Rechisnorm 
für die Allgemeinheit seiner Glieder aufzustellen 
und eine Beamtenkompetenz nur insoweit zu 
schaffen, als eine Belohnung oder Bestrafung ver- 
gangener Pflichterfüllung oder vernachlässigung 
oder eine Feststellung zukünftig zu erfüllender 
Pflichten in Frage käme, wenn er also keine po-
	        
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