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handlungen des Staats, in denen sein Herrschafts-
recht über die Staatsglieder in besonderer Weise
in die Erscheinung tritt, den Verfügungen, unter-
scheidet man Entscheidungen (z. B. Strafver-
fügungen), Gebote, bestimmte Handlungen vor-
zunehmen oder zu unterlassen, Konzessionen (Er-
laubnisse, Ermächtigungen) und Einziehungen
(Gebrauchsbeschränkungen und -entziehungen).
7. Das Verhältnis von Staatsver-
waltung und Justiz. Auf dem Gebiet der
rechtlichen Entscheidungen macht man so einen
durchgreifenden Unterschied zwischen eigentlich ver-
waltungsrechtlichen und richterlichen, indem man
die letzteren als den Ausfluß einer besondern rich-
terlichen, zu der gesetzgebenden und der verwalten-
den hinzutretenden Staatsgewalt, als eine beson-
ders geartete Staatsfunktion, betrachtet. Doch ist
jederzeit, mehr oder weniger bestritten, auch die
aAnsicht verfochten worden, daß, ebenso wie die
Regierung, auch die richterliche Tätigkeit nichts
als Rechtsausführung, Staatsverwaltung auf
Grund von Rechtsnormen und diesen gemäß, sei.
Das Wesen der Rechtsprechung besteht in der
verbindlichen Feststellung eines konkreten Rechts-
verhältnisses. Diese Tätigkeit kann, wenn anders
sie staatliche Rechtspflege sein soll, nur von Staats-
organen auf Grund einer diesen vom objektiven
Recht gewährten Kompetenz vorgenommen wer-
den, ist also Staatsverwaltung in dem hier ver-
wendeten Sinn.
Sie unterscheidet sich von den übrigen Staats-
verwaltungsakten nicht dadurch, daß sie und nur
sie Urteile im Sinn der Logik enthält. Denn auch
wenn ein rechtsausführendes Staatsorgan ein
konkretes Rechtsverhältmis nicht feststellt, sondern
in sonstiger Weise auf Grund einer rechtlichen
Zuständigkeit namens des Staats tätig wird,
hat es logisch zu urteilen: es muß unter Würdi-
gung seines Kompetenzumfangs, d. h. unter Wür-
digung seiner allgemeinen Befugnis und Verpflich-
tung zu Handlungen namens des Staatls, für jeden
besondern Fall Recht und Pflicht zu bestimmtem
Handeln beurteilen, wie der Richter unter Be-
urteilung seiner Zuständigkeit zur Entscheidung in
dem vor ihm verhandelten Rechtsstreit, der mög-
licherweise einer richterlichen oder nichtrichterlichen
Verwaltungsbehörde zur Schlichtung unterbreitet
werden muß, seine Verpflichtung zum Erlaß einer
bestimmten Sentenz erfüllen muß. Insofern hebt
sich die richterliche Tätigkeit von sonstigen Hand-
lungen rechtsausführender Organe nicht ab. Denn
die erwähnte Denkoperation muß jedes der-
selben vornehmen; auch die rein exekutivisch vor-
gehenden Diener des Staats sind ihrer nicht ent-
hoben. Selbst der Soldat, der unbedingt zu ge-
horchen hat, muß wenigstens feststellen, ob ein
Gehorsam heischender Befehl eines Vorgesetzten
vorliegt — eine Feststellung, welche mitunter
schwierig sein kann —, bevor er „gehorchen“ kann.
Außerdem besteht auch für ihn in gewissem Grad
die Pflicht zur Prüfung der Rechtmäßigkeit des
Staatsverwaltung ufw.
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erteilten Befehls, die die Befugnis des Unter-
gebenen zu seiner Ausführung in sich schließt.
Diese Prüfung ist eine „Entscheidung“.
Was die Tätigkeit eines Staatsorgans zu einer
richterlichen stempelt, ist der Umstand, daß es, wie
es dem Begriff „Richter“ im herkömmlichen Sinn
entspricht, über Rechtspflichten Dritter verbindlich
entscheidet, und zwar über Pflichten, die auch ohne
den Richterspruch bestehen, sei es daß die Ent-
scheidung sich auf die Vergangenheit erstreckt, die
vergangene Pflichterfüllung bzw. Svernachlässi-
gung feststellt und Lohn oder Strafe dafür ver-
hängt, oder daß sie sich auf die Zukunft bezieht
und festlegt, wie ein Rechtspflichtsubjekt sich in
Zukunft zu verhalten hat. Die richterliche Tätig-
keit in diesem Sinn ist ohne Zweifel ein Komplex
von Rechtsausführungsakten, d. h. von Amts-
handlungen, die die Ausführung der durch das
Recht einem Staatsorgan als solchem auferlegten
Pflichten zum Gegenstand haben, welche von den
übrigen Rechtsausführungsakten ihrem innern
Wesen nach zu unterscheiden sind. Die positiv
fördernde Tätigkeit des Staats erfordert zwar auch
ein Urteil der mit ihr betrauten Organe. Dieses
bezieht sich aber nicht auf die Erfüllung von
Pflichten anderer Personen, welche jene noch zu
erfüllen haben oder bezüglich deren festgestellt
werden soll, ob sie in der Vergangenheit erfüllt
sind oder nicht, sondern auf die in der Zukunft
liegende Erfüllung eigner Pflichten. Das Urteil,
daß die Umstände so liegen, daß ein bestimmtes
Handeln als Staatsbeamter vorzunehmen ist, muß
zwar sowohl der Richter, wenn er ein Urteil sprechen
will, als auch der Rechtslehrer, der eine Lehr-
meinung vortragen will, fällen, aber das Produkt
dieser Amtspflichterfüllung hat verschiedene Wir-
kungen, und die besondern Eigenschaften des rich-
terlichen Urteils, die kein anderer Staatsakt teilt,
berechtigen zu seiner begrifflichen Hervorhebung
unter den übrigen Staatsfunktionen. Aber die
gesamte Staatstätigkeit, insbesondere auch die
positiv fördernde, ist mit richterlichen Funktionen
durchsetzt; die Disziplinierung der Beamten, die
Festsetzung der Steuerpflichten und zahlreiche an-
dere Verfügungen sind Entscheidungen, die, an
andere Beamte oder Private gerichtet, deren zu-
künftig zu erfüllende Pflichten betreffen oder dar-
über Auskunft geben, ob Rechtspflichten in der
Vergangenheit erfüllt sind oder nicht und deshalb
Lohn oder Strafe einzutreten haben. Anderseits
hat der Richter insbesondere während des Ver-
fahrens sortdauernd Rechtsausführungehand-
lungen vorzunehmen, die nicht den Charakter rich-
terlicher Sentenzen haben. Selbst wenn ein Staat
sich damit begnügen wollte, lediglich Rechisnorm
für die Allgemeinheit seiner Glieder aufzustellen
und eine Beamtenkompetenz nur insoweit zu
schaffen, als eine Belohnung oder Bestrafung ver-
gangener Pflichterfüllung oder vernachlässigung
oder eine Feststellung zukünftig zu erfüllender
Pflichten in Frage käme, wenn er also keine po-