frieden zu haben wäre, wenn nur die Bürgschaft gegeben sei, daß die
seelische Spannkraft der Nation zur kriegerischen Höchstleistung erhalten
bliebe — da herrschte Einstimmigkeit darüber: wenn die Annexionisten
keinen Rückhalt mehr an der Obersten Heeresleitung haben, ist der Weg
für die vernünftige Politik frei. Ich nahm die Gewißheit mit, daß die
Herren nicht zögern würden, im gegebenen Augenblick ihr Ansehen in die
Wagschale der öffentlichen Meinung zu werfen.
Die meisten Gespräche konnte ich rein sachlich führen und der Personen--
frage ausweichen. Da erhielt ich von einem nahen Gesinnungsgenossen einen
Brief, darin mit zwingenden Argumenten bewiesen wurde: der Kurs-
wechsel könnte seine Heilkraft draußen in der Welt nur bewähren, wenn ein
neuer Mann das neue Programm verkündete, und zwar ein solcher, bei
dem das Bekenntnis zum Verständigungsfrieden nicht als Zeichen der
Schwäche oder der Unaufrichtigkeit gedeutet werden könnte.
Zwei riesengroße Hindernisse, so hieß es darin, stünden zwischen uns
und dem Frieden:
„1. Der Glaube der feindlichen Bölker: Deutschland meint, die Welt
terrorisieren zu können; dieses Deutschland darf nicht siegen.
VWenn Drinz Max an die Spitze der Regierung treten könnte, so
wäre ein Mann am Nuder, der die Barmherzigkeit durch die Tat be-
wiesen hat, als die Feinde nur fromme Sprüche machten.
2. Der Glaube: Deutschlands Kriegsziele sind mit den Rechten an-
derer Völker unvereinbar.
Das Bekenntnis zum Verständigungsfrieden kann nur wirken, wenn
es von einem Manne abgelegt wird, der nicht pater peccavi zu sagen
braucht.“
Der Brief endete:
„Cberall tasten sich heute Gesinnungsgenossen zueinander hin. Oft aber
finden sie sich nicht, und so unterliegen sie der wohlorganisierten Gemein-
schaft der Gegner. Eine Kandidatur des Prinzen Max würde das Signal
sein, um zu sammeln, was zueinander gehört.“"
Mehr noch als dieser Brief schreckte mich eine Mitteilung auf, die ich über
die Stimmung führender Darlamentarier erhielt, und zwar gerade ruhig
denkender Männer: Die Herren sähen mit düsterem Fatalismus der Ent-
wicklung der Dinge entgegen. Für die berrschende Resignation sei ein Aus-
spruch bezeichnend, den Conrad Haußmann gegenüber einem meiner
Bekannten getan hatte: Nach Bethmanns Sturz und Michaelis’ Ernen-
nung gibt es für ihn nur hilfloses Abwarten. Die Niederlage wird uns zur
Besinnung bringen, und dann bilft die Besinnung nichts mehr. Als ihm
120