Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

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Der Feind schob sich vor der rechtzeitig zurückgebogenen 
Abwehrflanke Bülows sichtlich mit starken Kräften in den 
Marnebogen westlich des Surmelinbachs. Dort war er 
selbst schwer bedroht, wenn die erste Armee morgen siegte 
und wieder südwärts Raum gewann. 
Selbst aber, wenn die erste Armee am 9. September 
zurück mußte, war Standhalten des rechten Flügels Bülows 
bittere Notwendigkeit, um das weitere Aufrollen der deut- 
schen Front zu verhindern. Ob das möglich war angesichts 
der Kampfstärken — 7 schwache preußische gegen 14 fran- 
zösische Divisionen —, des Zustandes der Truppen und der 
Munitionslage, ist eine Frage, zu deren Erörterung hier der 
Raum fehlt. 
Für mich steht fest: Das Mißgeschick einer einzelnen deut- 
schen Armee durfte das Schicksal des gesamten Westheeres 
nicht entscheiden. So schlimm stand es auch gar nicht. 
Das siegreiche Vorschreiten des linken Flügels der zweiten 
Armee und der anschließenden rechten Gruppe der dritten 
Armee erbrachten jedenfalls die Gewähr, daß die Folgen 
einer Niederlage des rechten Flügels der zweiten Armee 
sofort durch die Erfolge der Nachbararmeen ausgeglichen 
wurden. Je tiefer der feindliche Keil dann vorgedrungen 
war, um so verhängnisvoller mußte später dessen eigene 
Lage werden. 
Nach meiner Beurteilung der Kampflage waren schon 
nach dem Tagesverlauf des 3. September für die weiteren 
Entschließungen des Oberkommandos der zweiten Armee 
nicht die Kampfverhältnisse des eigenen rechten Flügels, 
sondern nur die Aussichten der Nachbararmeen ausschlag- 
gebend. Diese aber waren gut, wie die Auskünfte von 
deren Hberkommandos erwiesen. 
Die unter dem Generalfeldmarschall v. Hindenburg im 
Oktober und November 1914 im Bewegungskrieg in Polen 
kämpfenden deutschen Armeen haben jedenfalls noch un- 
gleich schwerere Lagen einzelner Armeeteile im festen Ver- 
trauen auf den Gesamterfolg überwunden. » 
Die Abwehrkraft des deutschen Westheeres, die erst in 
der Folgezeit ihre ganze Größe offenbarte, würde meiner 
Uberzeugung nach auch der zweiten Armee das Festklam- 
mern an den Verteidigungsabschnitten, erst Surmelinbach, 
später Marne, schließlich Vesle in Anlehnung an die Süd- 
und Westfront der Festung Reims — ähnlich wie es im 
Sommerfeldzug 1918 meisterhaft durchgeführt wurde — 
ermöglicht haben, während ihre Nachbararmeen den Voll- 
sieg errangen. 
Zweifellos würde die Lage der zweiten Armee durch 
Belassung eines Korps der ersten Armee neben Bülows 
rechtem Flügel diesen mächtig gestützt und damit vielleicht 
den Gedanken, zurückzugehen, ganz unterdrückt haben, so- 
wohl bei der Obersten Heeresleitung wie beim Oberkom= 
mando der zweiten Armee. Daß dieses Korps aber an 
der Bruchstelle fehlte, kommt meines Erachtens lediglich auf 
Rechnung der Gesamtleitung. 
Der Feind vor der dritten Armee 
Ülber die Kampflage auf gegnerischer Seite am 8. Sep- 
tember macht der französische Bericht folgende Angaben: 
„Am 8. September mußte sich das XI. Armeekorps vor 
Teilen der Garde und der sächsischen Korps, XII. Armee- 
korps und XII. Reservekorps, kämpfend hinter den Mau- 
rienne-Abschnitt Corroy—Gourgangcon—Semoine zurück- 
ziehen. Am Abend machte eine Reservedivision einen Gegen- 
angriff zusammen mit Teilen des XI. Armeekorps auf 
Fere-Champenoise. Das Xl. Armeekorps gewann wieder die 
Höhen nördlich Euvy. Weiter rechts hielt die 9. Kavallerie- 
division weiterhin die Verbindung mit der vierten Armee 
aufrecht und unterstützte einen Angriff, den die letztere 
Armee am Nachmittag gegen Sompuis durchführte. — 
Das Kräftegleichgewicht schien auf dieser Kampffront 
hergestellt zu sein. Bei einem verwundet gefangengenom- 
menen deutschen Offizier wurde ein Befehl gefunden, nach 
dem die „Bagage mit Deichseln nach Norden halten sollte, 
was auf wenig Zuversicht deutet“. 
Der Führer der französischen neunten Armee verlegte aber 
doch vorsichtigerweise sein Hauptquartier von Pleurs nach 
Plancy zurück. 
Im Anschluß an den französischen Bericht und zu- 
sammenfassend gebe ich das Bild über den Feind vor der 
Front der dritten Armee wieder, wie es in dreitägigem 
Kampfe gewonnen war. Es entsprach etwa der Wirklichkeit. 
Vor der Front der rechten Gruppe der dritten Armee war 
der Hauptteil der französischen neunten Armee, welche seit 
29. August bestand, mit den Armeekorpos IX und AXl, der 
Marokkodivision und der 9. Kavalleriedivision festgestellt. 
Sie waren mit der dritten Armee schon während des ganzen 
Vormarsches in Gefechtsberührung gewesen. Neu hinzu- 
getreten waren die beiden Reservedivisionen 52 und 60 sowie 
die 42. Infanteriedivision des VI. Armeekorps. 
Die stark ausgebaute Marokkodivision und rechts an- 
schließend das IX. Armeekorps fochten in der Haupt- 
sache gegen das preußische Gardekorps auf der Linie 
Séezanne—Fere-Champenoise, das XI. Armeekorp# gegen- 
über der 32. Infanteriedivision und Teilen der 23. Reserve- 
division. Dort griffen am &. September auch die beiden 
französischen Reservedivisionen ein. Die französische 42. In- 
fanteriedivision scheint sich der Armeeführer General Foch 
am 8. September noch zur Verfügung gehalten zu haben. 
Nach Osten klaffte auch auf französischer Seite eine 
Lücke von Mailly bis Sompuis. Sie wurde geschickt durch 
die französische 9. Kavalleriedivision verschleiert. 
Gegen die 23. Infanteriedivision und das XIX. Armee- 
korps focht auf der Front Sompuis— Huiron das fran- 
zösische XVII. Armeekorps der vierten Armee. 
General Foch ließ sich durch den Mißerfolg seines 
XI. Armeekorps, das am 8. September „fühlbar zurück 
mußte“, nicht wankend machen. Er drahtete trotzdem an 
Joffre am Abend: „Lage vorzüglich“ und ordnete für 
den folgenden Tag, bauend auf die ihm von der französischen 
fünften Armee in Auosicht gestellte Unterstützung, erneutes 
Vorgehen an. 
Vor der linken Gruppe der Sachsenarmee empfand der 
Führer der französischen vierten Armee die Lage seines 
XVII. Armeekorps, das „etwas Gelände verloren hatte, 
aber gute Haltung bewahrte“, insbesondere auf der Flanke 
als bedroht und erwartete mit Sehnsucht das Eintreffen 
des mit der Bahn von den Vogesen her herangeführten 
XXI. Armeekorps, welches mit der 13. Division Monts- 
Marains und mit der 43. Division Dampierre, 15 bzw. 
14 Kilometer südlich von Sompuie, letztere Division nach 
einem Gewaltmarsch von 30 Kilometern, bis zum Abend 
des 8. September erreichte. 
Die vierte Armee 
Bei der deutschen vierten Armee brachte der 8. Sep- 
tember stetige, aber kleine Fortschritte auf der ganzen 
Front. Der Armeebefehl für den H. September ordnete 
dementsprechend die allgemeine Fortsetzung des Angriffs 
an und sah bei. Erfolg ein allmähliches Einschwenken nach 
Südosten vor. Der linke Flügel der Armee sollte in der 
heute genommenen Stellung verbleiben, um die inncren 
Flügel der vierten und fünften Armee gegen neuaufgetretene 
starke Feindeskräfte zu decken. 
Nach dem französischen Bericht wurden die französischen 
Stellungen südlich bzw. entlang der Bahn von Courde- 
manges im Westen bis Contrisson im Osien gehalten. 
Bei Contrisson brachte den Franzosen das neueingetroffene
	        
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