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Der General Franchet d'Esperey erließ am Abend einen
stolzen Armeebefehl „auf den denkwürdigen Siegesfeldern
von Montmirail, Vauchamp und Champaubert“. —
Die vierte Armee
Bei der deutschen vierten Armee verlief der 9. September
günstig. Mehrere feindliche Vorstöße gegen das XVIII. Re-
servekorps wurden abgewiesen, doch gelang es auch der
Infanterie des XVIII. Reservekorps nicht, vorwärts zu
kommen, da seine Artillerie nicht wesentliche Vorteile über
die französische zu erringen vermochte. Das XVIII. Re-
servekorps ordnete deshalb an, daß die feindlichen Stel-
lungen in der Nacht zu stürmen seien. Da traf 4,15 Uhr
nachmittags von der dritten Armee die Nach-
richt ein, daß die deutsche erste, zweite und
der rechte Flügel der dritten Armee zurück-
gingen. Sbenso teilte 4,40 Uhr nachmittags das Ober-
kommando der zweiten Armee mit: „Erste Armee geht
zurück. Zweite Armee einleitet Rückmarsch. Rückzugs-
befehl an Kirchbach ist ergangen.“ Im Gegensatz hierzu
ging vom Oberkommando der fünften Armee §,15 Uhr
nachmittags die Nachricht ein, daß dort Nachtangriff be-
absichtigt sei.
Infolgedessen bearbeitete das Oberkommando der vierten
Armee den Rückzugsbefehl, gab ihn aber nicht aus.
9 Uhr abends kam der Befehl der Obersten Heeres-
leitung:
„Dritte Armee bleibt südlich Chälons, bereit zu er-
neuter Offensive. Fünfte Armee greift in der Nacht vom
9. zum 10. an, vierte Armee hat — wenn Aussicht auf
Erfolg vorhanden — ebenfalls anzugreifen, und dazu in
Verbindung zu treten mit dritter Armee.“
Daraufhin wurde Angriff für Tagesanbruch angeordnet.
Das XVIII. Reservekorps sollte den inneren Flügel der
bierten und fünften Armee zunächst in heutiger Stellung
becken.
Gegenüber der deutschen vierten Armee behaupteten die
französischen Korps in der Mitte und auf dem rechten
Flügel ihre Stellungen. General Langle de Cary konnte
je eine Division der beiden mittleren Korps westwärts über
die Marne hinter sein XVII. Korps zum Angriff für
morgen verschieben.
Die fünfte Armee
Auf dem rechten Flügel wurden französische Angriffe im
Raume von Laimont abgewiesen, ebenso am linken Flügel
gegen die Nordverbindungen der Armee. Auf der ganzen
Front bereitete die schwere Artillerie den für die Dunkel-
heit vorbehaltenen Gesamtangriff der ganzen fünften
Armee vor.
Der Nachtangriff wurde aber von der Obersten Heeres-
leitung durch Weisung von 7,30 Uhr abends „mit Rück-
sicht auf die allgemeine Lage“ unterbunden. —
Das Oberkommando der dritten Armee am
0. September abends
Beim Oberkommando der dritten Armee traf 9 Uhr
abends die Benachrichtigung von der vierten Armee ein,
daß dort eben ein Befehl der Obersten Heeresleitung ein-
gegangen sei, wonach die dritte Armee südlich Chalons
bleiben sollte, bereit zu erneuter Offensive.
Unmittelbar darauf teilte auch ein Funkspruch der Ober-
sten Heeresleitung den Befehl im Wortlaut mit: „Dritte
Armee bleibt südlich Chälons“ usw. siehe oben.
Mit dem Eingang dieser Anordnung der Obersten Heeres-
leitung sah sich das Oberkommando der dritten Armee
vor die Frage gestellt, ob es solchem Befehle entsprechen
und südlich Chälons bleiben oder an der durch das Jurück-
gehen der zweiten Armee gebotenen Entschließung, nord-
wärts abzumarschieren, festhalten sollte. Letzteres erschien
angezeigt, wenn man annehmen durfte, daß der Ober-
sten Heeresleitung bei Erlaß des 9 Uhr abends bekannt-
gewordenen Befehls die inzwischen bei der zweiten Armee
eingetretenen Verhältnisse noch fremd waren. Dagegen,
daß dies der Fall sein könne, sprach die am 9. September
4,50 Uhr nachmittags in Chalons mitgehörte Meldung
des Oberkommandos der zweiten Armee an die Oberste
Heeresleitung:
„Zweite Armee stellt, übereinstimmend mit Hentsch, lang-
sam vorschreitenden Angriff ein und gewinnt nördliches
Marneufer, rechter Flügel Dormans.“
Aber auch die Tatsache, daß die in dem Befehle der
Obersten Heeresleitung getroffene Anordnung: „Fünfte
Armee greift in der Nacht vom 9. zum 10. September
an“ später durch die Oberste Heeresleitung mit den Worten
— gerichtet an das Oberkommando der fünften Armee,
mitgehört in Chalons —
„Von Nachtangriff ist mit Rücksicht auf die allgemeine
Lage abzusehen“
aufgehoben wurde, bewies, daß mittlerweile die Obersie
Heeresleitung über die „allgemeine“ Lage zu veränderter
Auffassung zu kommen im Begriffe stand.
Der von der Obersten eeresleitung zur Orientierung
bei den Oberkommandos entsandte, am 9. September
abends vom Oberkommando der zweiten Armee über Chä-
lons nach dem Großen Hauptquartier zurückkehrende
Oberstleutnant Hentsch äußerte sich auf Befragen 9,45 Uhr
abends beim Oberkommando der dritten Armee dahin,
„daß der Befehl der Obersten Heeresleitung, südlich der
Marne zu bleiben, nicht mehr dem Worte nach auszuführen
sein dürfte, da sich die Verhältnisse bei der zweiten Armee
wohl anders gestaltet hätten, als es die Oberste Heeres-
leitung bei Absendung des Telegramms annahm. Das
Oberkommando der dritten Armee mäöge daher auf seine
Verantwortung hin so handeln, wie es das Oberkommando
mit Rücksicht auf die zweite Armee für richtig halte.“
Während nach solcher Eröffnung im Oberkommando
der dritten Armee die Meinung Boden gewann, daß es
geboten sei, ebenso wie die zweite Armee am 10. Sep-
tember mit dem Gros hinter die Marne zurückzugehen,
traf 10,30 Uhr abends in Chalons der 9,30 Uhr abends
aufgegebene Funkspruch der Obersten Heeresleitung, ge-
richtet an die dritte und vierte Armee, ein:
„Dritte Armee bleibt südlich Chälons. Offensive ist am
10. September sobald möglich wieder aufzunehmen.
Moltke.“
Nunmehr war das Oberkommando der dritten Armee
jedem Zweifel überhoben, daß die dritte Armee am 10. Sep-
tember unbedingt südlich Chalons zu verbleiben habe. Es
erließ daraufhin 10,30 Uhr abends den Armeebefehl für den
10. September.
Darnach sollte sich am 10. September die dritte Armee
zu erneuter Offensive gruppieren. Dies bezog sich besonders
auf die beiden Dioisionen des XII. Armeekorps, die durch
Teile des XII. Reservekorps noch voneinander getrennt
waren. Die Vortruppen der Armee sollten etwa in der
Linie Pierre-Morains—S ompuis— Huiron
stehen. Die durch diese Neugruppierung bedingten Be-
wegungen sollten bis 12 Uhr mittags beendet sein. Das
XII. Reservekorps wurde noch besonders darauf hin-
gewiesen, daß die rechte Flanke der Armee frei würde, sobald
das Gardekorps mit der zweiten Armee zusammen den
Nückmarsch auf und über die Marne fortsetzen werde.
Durch Vermittelung des Oberstleutnant Hentsch, der von
der dritten zur vierten Armee fuhr, wurde inzwischen
von Courtisols aus erreicht, daß der linke Flügel der
zweiten Armee (das Gardekorps) am 10. September eine
Nachhut südlich der Marne bei Flavigny beließ.