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Von der Umgruppierung des deutschen West-
hecres bis zum Ende des Jahres 1014
Die Septembermitte bezeichnet sowohl im Westen wie
auch im Osten einen scharf markierten Wendepunkt im
Wesen des Krieges.
Im Osten hatte der kühne Angriffsfeldzug des öster-
reichisch-ungarischen Feldheeres die russische Heeresleitung
zunächst völlig überrascht und deren eigene Angriffsabsichten
für viele Wochen in Fesseln geschlagen. Zwar hatte das
Ankämpfen gegen die mehr als doppelte russische Uberlegen-
heit den tapferen Armeen des Kaisers Franz Joseph schwere
Wunden geschlagen, Ost= und Mittelgalizien waren ver-
loren gegangen, aber das österreichisch-ungarische Feldheer
stand nunmehr in Westgalizien und auf den Karpathen-
pässen fest verschanzt, noch unbesiegt, unbeugsamen Willens,
keinen Schritt Boden weiter freizugeben, und bereit und
fähig, nach Ausgleich des Zahlenmißverhältnisses von neuem
zum Angriff zu schreiten.
Weiter hatte in Ostpreußen der Generaloberst v. Hinden-=
burg bio zum 12. September auch die zweite russische
Einfallsarmee völlig aus dem Felde geschlagen. Sie gewann
erst nach Wochen bei Kowno—Wilna allmählich wieder
Halt. Der Feldherr Hindenburg hatte die volle Freiheit
erlangt, mit seinen Hauptkräften an das österreichisch-
ungarische Feldheer heranzurücken und im Verein mit ihm
das russische Hauptheer anzufallen, gleichviel, ob der Russe
über die Karpathensperre nach Ungarn oder durch Schlesien
gegen Wien oder Verlin vorzubrechen versuchen sollte.
So war im Osten um die Mitte des Septembers die
Krisis zunächst überwunden, ein kurzer Stillstand trat
ein, der UÜbergang von dem kühnen Ausfallskrieg, mit
dem die Mittelmächte den Feldzug begonnen hatten, voll-
zog sich zu dem Abwehrkrieg, zu dem ihre Gegner sie
jetzt schon wegen vermeintlicher Schwäche gezwungen wähn-
ten und den sie mit erneuter Offensive auf allen Fronten
in die Endniederlage der Mittelmächte baldigst zu wan-
deln strebten.
Zunächst versuchten die Westmächte den Erfolg der
Marneschlacht direkt auszunutzen. Allein der direkte An-
siurm der Franzosen und Engländer gegen die Aisnefront
wurde durch die Niederlage bei Juvinrourt kurz erledigt,
ebenso der Versuch, von Antwerpen aus Rücken und Flanke
der deutschen Front zu erschüttern.
Nunmehr versuchten Franzosen und Engländer sich in
den Raum zwischen Aisnefront und Antwerpen allmählich
einzuschieben, um von dort aus den Keil in die deutsche
Abwehrstellung weiterzutreiben.
So verlegten die nächsten Wochen das Kamupfgebiet
weiter hinauf nach dem Norden Frankreichs. Die deutsche
Front mußte fortgesetzt nordwärts verlängert, die klaffende
Lücke zwischen dem deutschen Belagerungskorps vor Ant-
werpen und der deutschen ersten Armee im Aisne-Oise-
Winkel ausgefüllt werden. Doch standen hierzu größere
Reserven in der Heimat zunächst noch nicht zur Verfügung.
In kühnem Entschluß wurden die deutsche sechste und
siebente Armee von der Vogesen= und Lothringenfront
weggezogen, wo dann schwache Kräfte dem Feinde monate-
lang deutsche Armeen vortäuschten.
Die siebente Armee werden wir alsbald an der Aisne
auftreten sehen, wo sie die Lücke zwischen Laon und Neims
schloß, durch die der Gegner die Aisnefront zu sprengen
versuchte. Dabei werden wir das tapfere XII. Armeekorps
in der dreitägigen Schlacht bei Juvincourt wiederfinden.
Kurze Zeit später brach auch die deutsche sechste Armee
nach Westen auf, um den Raum von Lille und Douai sich
zu erkämpfen und dort den Abwehrwall zu türmen, während
links von ihr allmählich die deutsche erste und zweite
Armee den Naum westlich der Oise über St. Quentin
und westwärts bis nahe an Arras in neuer Gruppierung
der einzelnen Armeekorps besetzten.
Bei der deutschen sechsten Armee des Kronprinzen Rupp-
recht von Bayern werden wir das XIX. Armeekorps in
den Kämpfen um und westlich Lille alsbald wiederfinden,
und bei der deutschen vierten Armee des Herzogo Albrecht
von Württemberg, welche im Oktober rechts von der
sechsten Armee den noch unbesetzten Südwestteil Belgiens
in Besitz nehmen sollte, werden wir das XXVII. Reserve-
korps finden, das Neuaufgebot von Sachsens Jugend-
nachwuchs, zu dessen frühzeitigem Einsatz die gewaltigen
Anstrengungen zwangen, welche der Dreiverband im Voll-
gefühl seiner Zahlenüberlegenheit und seiner vermeintlichen
Siege im Marnebogen und in Galizien machte, um nun-
mehr seinerseits den Siegesmarsch gegen Berlin anzu-
treten.
Diese folgende Zeit bis nach der Jahreswende rechnet
für die Mittelmächte wohl zu den schwersten im ganzen
Kriegsverlaufe. Nie hat aber die Heeresleitung kaltblütiger
die Lage beherrscht, nie das deutsche Feldheer tapferer
seine Schuldigkeit getan, nie das Vaterland fester seinen
Söhnen vertraut, nie die Heimat opferwilliger gegeben
und geduldet. —
Der Abmarsch des XlI. Armeekorps nach der Aisne
westlich von Reims
Die Festsetzung des XII. A.-K. an der Aisne
Am 13. September, 11,45 Uhr nachts, traf bei dem
XII. Armeekorps der Befehl ein, welcher ihm eine völlig
neue Aufgabe zuwies. Das Korps wurde aus der Mitte
der dritten Armee heraus nach dem rechten Flügel der
zweiten Armee gezogen. Die zweite Armee stand zu dieser
Zeit westlich an die dritte Armee anschließend in der Linie
Condé—Brimont—Thuizy, Front gegen Reims in hef-
tigem Kampfe. Ihr rechter Flügel befand sich an der
Aione bei Condé an der Suippesmündung.
Noch in der Nacht zum 14. September wurden die
Truppen des XII. Armeekorps aus ihren Abwehrstellungen
abgelöst. Diese in unmittelbarer Nähe des Feindes aus-
geführten Bewegungen waren nur bei ganz geschickter
Ausführung möglich, ohne vom Feind erkannt zu werden.
Angesichts eines Gegners, der energisch nachdrückte und
Unternehmungslust besaß, wären sie schwerlich glatt durch-
zuführen gewesen.
Am 14. September, 6 Uhr vormittags, trat das
XII. Armeekorps, voran die 23. Infanteriedivision, da-
hinter die 32. Infanteriedivision, von Dontrien aus, der
Suippes folgend, auf Bazancourt den Marsch an. Die
Aussicht, bei der zweiten Armee wieder zum Angriff ver-
wendet zu werden, belebte Führer und Truppe und ließ
die neuen Ansirengungen leicht überwinden.
Auf Weisung des Oberbefehlshabers der zweiten Armee,
Generaloberst v. Bülow, eilten Husarenregiment 20 (3 Es-
kadrons) und I. Abteilung Feldartillerieregiments 12 vor-
aus, um die Armeereserve der zweiten Armee zu ver-
stärken. -
Die Vorhut des XII. Armeekorps (Oberst Meister, Gre-
nadierregiment 101, Jäger 11, 1 Eskadron Husaren=
regiment 18 und II. Abteilung Feldartillerieregiments 12)
besetzte noch am Abend die Ubergänge über die Aisne
und den Ardennenkanal bei Neufchätel. Das Gros belegte
die Orte dahinter bis Bazancourt.
Der Marsch hatte weit über 30 Kilometer betragen
und war bei andauerndem Negenwetter ausgeführt wor-
den. Auf die unterwegs eingetroffene Weisung der Heeres-
leitung hin, daß das Heranziehen des XII. Armeekorps