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Die Kämpfe westlich von Lille
Das XIX. Armeekorps konnte sich auf seinen Erfolgen
von Lille nicht ausruhen. Von Westen her drang ununter-
brochen starker Kanonendonner herüber. Man wußte, daß
dort die deutsche Heeresreiterei in hartem Kampfe mit
der französischen zehnten Armee stand, welche zum Ent-
satz von Lille heranrückte. So zogen denn die Truppen
des XIX. Armeekorps noch am Vormittage des 13. Ok-
tobers durch Lille hindurch, dem neuen Feind entgegen.
Das XIX. Armeekorps besetzte am 13. und 14. Ok-
tober eine Stellung, welche etwa entlang der Wesifront
der Liller Forts verlief. Die deutsche Heereskavallerie hielt
zu dieser Zeit in der Gegend von Bailleul—Estaires wacker
stand (Skizze 21).
Die deutsche sechste Armee, unter deren Befehl das
XIX. Armeekorps und die ihm benachbarten Armeekorps,
zunächst rechts das XIII. und links das VII. Armeekorps
standen, sollte im Verein mit der nach Flandern im An-
transport befindlichen, in der Hauptsache aus neu er-
richteten Truppenteilen schnell zusammengefügten neuen
vierten Armee den Vorstoß zum Stehen bringen, welchen
die vereinten Franzosen und Engländer im Oktober gegen
den äußersten rechten Flügel der Deutschen ansetzten, um
von hier aus die gesamte Frontlinie des deutschen West-
heeres aufzurollen, Belgien zu befreien und den längst
angekündigten Siegeszug über den Rhein nach dem Herzen
von Deutschland zu beginnen.
Nachdem die deutsche Heereskavallerie am 14. Oktober
in die Lücke zwischen der sechsten und der vierten deutschen
Armee zurückgegangen war, kam vom 15. Oktober ab
das XIX. Armeekorps mit dem Feind in Gefechtsberührung,
welche von da ab durch lange Monate hindurch zu immer
erneuten, heftigen Einzelkämpfen an der ganzen Front
des Armeekorps führen sollte. Die Sachsen traten hier
zum ersten Male alt-englischen Kerntruppen gegenüber.
Vom 16. bis 19. Öktober setzen starke englische An-
griffe ein, die alle mühelos abgewiesen wurden. Dabei
war aber allgemein die Erkenntnis zutage getreten, daß
man es nunmehr mit einem weit zäheren Gegner zu tun
hatte, als es die französische Infanterie biöher gewesen
war, welche den Hauptteil der blutigen Arbeit während
der August= und Septemberkämpfe ihrer hervorragenden
Artillerie gern überlassen hatte.
Am 22. Oktober traf von St. Souplet her auch der
Rest der 24. Infanteriedivision (insbesondere die Infanterie=
regimenter 106 und 107 und Feldartillerieregiment 78)
beim Korps ein. Bereits am 20. Oktober hatte das Ober-
kommando der sechsten Armee, nachdem die genügenden
Kräfte bei Alle versammelt waren, den allgemeinen An-
griff befohlen. Am weitesten rechto sollte das Kavallerie-
korpo etwa der belgisch-französischen Grenze entlang vor-
rücken, links anschließend das nunmehr auf engerem Naume
zusammengeschobene XIX. Armeekorps und links von diesem
das XIII. Armeekorps die Angriffsbewegung beginnen.
Das XIX. Armeekorps nahm die Richtung auf Armen-
tières, die 40. Infanteriedivision nördlich, die 24. Infan-
teriedivision südlich der volkreichen, ausgedehnten Fabrik-
stadt, deren Besetzung von vornherein nicht beabsichtigt war.
Im besonderen gingen vor Infanterieregiment 104 auf
La Gheer, 179 auf Prémesques und 107 auf La Houssoie.
Das XIX. Armeekorps gewann bei den Kämpfen der
nächsten Tage überall erheblich Boden (Skizze 23). Aber
Haus für Haus, Hecke für Hecke, Graben nach Graben und
Waldstück nach Waldstück mußten in verlustreichem Ringen
den mit unglaublicher Zähigkeit kämpfenden Engländern
entrissen werden. Alle Infanterieregimenter des Korps
waren daran beteiligt. Besonders heftig war der Kampf
um den südlichen Teil von Frélinghien und insbesondere
um die Brauerei daselbst, welche von schottischen Hoch-
ländern verteidigt wurde. Dort hatten besonders am 26. Ok-
tober die Infanterieregimenter 133 und 134 einen be-
sonderen Ruhmestag. Nachdem der Führer des zusammen-
gesetzten Regiments (III./104, II./133, II./134), Major
Larras, Infanterieregiment 104, am 21. 10. bei einer Er-
kundung in Frélinghien gefallen war, übernahm Haupt-
mann Rhle v. Allienstern Infanterieregiment 134 die
Führung dieses Regiments und führte am 26. 10. das
II./133 und II./134 zum erfolgreichen Angriff gegen die
langumstrittene Südbrauerei vor.
Es ist schwer, von diesen Angriffskämpfen des Korps,
die sich bis zur Mitte des Novembers ausdehnten, ein ein-
heitliches Bild zu geben. Es waren in der Hauptsache
verlustreiche Einzelkämpfe, in denen jedes Regiment für
sich Schritt für Schritt Boden gewann. Oft lag man
tagelang in flüchtig ausgeworfenen Schützengräben, dann
ging es wieder in kühnem Losstürmen an einzelnen Stellen
weiter vorwärts. Dabei haben alle Truppenteile an An-
griffslust und Todesverachtung gewetteifert. Die Schilde-
rung dieser Einzelkämpfe muß den Regimentegeschichten
überlassen werden. Hier seien nur kurz erwähnt die Kämpfe
des Infanterieregiments 134 um St. Dves. Wiederholt
wurde der Ort genommen, dann aber wieder an die mit
überlegenen Kräften zum Gegenangriff übergehenden Eng-
länder verloren. Weiter südlich setzte sich Infanterieregi-
ment 106 am 6. November in den Besitz des lange um-
strittenen Fabrikgeländes vor dem Bois de la Hutte und
verteidigte, unterstützt durch einen Zug der 3. Batterie Feld-
artillerieregiments 68, diese vorspringende Bastion gegen alle
englischen Angriffe, welche durch das stärkste Artillerie=
feuer vorbereitet wurden. Hier wurde Tag und Nacht
eine Woche lang gekämpft. Die Stellung blieb schließlich
in den Händen der zähe aushaltenden Sachsen. Leider fiel
hierbei der tapfere Führer, Major v. Eschwege.
Daneben kämpfte Infanterieregiment 104 gegenüber Le
Gbeer. Auch hier kam die stürmende sächsische Infanterie,
sich von Graben zu Graben vorarbeitend, bis an die eng-
lischen Drahthindernisse heran. ·
Bei den schweren Kämpfen des Infanterieregiments 104
um Le Gheer fiel dessen Kommandeur, Oberstleutnant Eckardt,
in vorderster Sturmlinie.
Noch weiter links schloß Infanterieregiment 181 in gleich
schweren Kämpfen an, in denen sich das Regiment bis zur
Lys vorarbeitete. Der Kämpfe um Frélinghien ist bereits
gedacht worden. Südlich davon bei Pont-Ballot erstritten die
Infanterieregimenter 133 und 134 neues Gelände in mehr-
fach wiederholtem Ansturm.
Die 13. Jäger hatten sich in schneidigem Angriff in
den Besitz der ersten Häuser von I'Epinette gesetzt und be-
haupteten sich dort trotz andauernder schwerer Verluste.
Linke anschließend hatte Infanterieregiment 139 über la
Hongrie mehrere Häusergruppen bei Prémesques und Wez-
Macquart angegriffen und schließlich genommen.
Im Verein damit hatte Infanterieregiment 170 das
Dorf Prémesques siegreich angegriffen und dem Gegner,
der sich hier überaus geschickt verschanzt hatte, starke Ver-
luste zugefügt und Gefangene gemacht; das Dorf wurde
vom Regiment genommen, ebenso am folgenden Tage das
Dorf Wez-Macquart. Das Regiment hatte an diesen beiden
Tagen die schwersten Verluste während des ganzen bis-
herigen Feldzuges.
Noch weiter links hatte Infanterieregiment 107 in schweren
Kämpfen la Houssoie, das am 24. und 25. 10. von der
6. Batterie Fußartillerieregiments 19 (Hauptmann Zucker-
tort) sturmreif geschossen worden war, genommen. Aufs
wirksamste auch durch die mitten in die Schützenlinie vor-
gezogene Batterie Kutzleb (4. Feldartillerieregiment 77), so-
wie durch die Haubitzabteilung des Feldartillericregiments 78,