Die Sachsen an der Ostfront
Überblick
Auf dem ässtlichen Kriegsschauplatz haben Sachsen von
Kriegsbeginn ab an allen Kämpfen, vornehmlich bei der
Hindenburg-Armee teilgenommen, allerdings nicht — bis
auf die 8. Kavalleriedivision und die §8. Infanteriedioision
— in sächsischen größeren Verbänden. Sie haben allerorts
ihrem engeren Vaterlande Ehre gemacht, von der Brigade
Graf Pfeil (Landwehr-Infanterieregimenter 101 und 103)
bis zu den über alle Armeen zerstreuten einzelnen Ersatz-,
Landwehr= und Landsturmbataillonen, schweren Batterien
und Mionierkompagnien. Eine Geschichte der Sachsen im
Osten ist untrennbar von der Geschichte von Hindenburgs
Feldherrntum. Sie würde bei der einfachen Aufzählung
der Schlachten und Gefechte, an denen die einzelnen säch-
sischen Truppenteile teilgenommen haben, ohne näheres
Eingehen auf Hindenburgs Russenstrategie, einfach un-
verständlich bleiben. Noch heute faßt ja jeder der Glück-
lichen, die im Olten mitkämpfen durften, gleichviel, ob
tunger Kriegofreiwilliger oder alter Landsturmmann, sein
Kriegserleben in die stolzen Worte: „Ich war bei Hinden-
burg" zusammen. So wird die Erinnerung durch Ge-
schlechter hindurch fortleben, Grund genug, um gerade in
einem Volksbuch die Grundzüge des Hindenburgschen Feld-
herrntums in gemeinfaßlicher Form zur Darstellung zu
bringen. Glücklicherweise sind bereits während des Krieges
dank der Obersien Heeresleitung in vorzüglichen Einzel-
schriften (Berichte aus dem Großen Hauptaquartier) die
Hauxtzüge des Hindenburgschen Feldherrntums so klar zur
Darstellung gelangt, daß sie für das nachfolgende eine
genügende Unterlage bilden. ·
Der Schutz des deutschen Landes rechts der Weichsel war
bei Ausbruch des Krieges zunächst einer Heeresgruppe von
annähernd 150 o000 Mann, ver deutschen achten Armee,
anvertraut worden. Die Heeresleitung hatte damit gerechnet,
daß die deutsche Mobilmachung sehr viel schneller durch-
geführt sein würde, als die russische. Die russische Haupt-
macht wurde erst 1—2 Monate nach Kriegsbeginn als
auoschläggebend in Rechnung gezogen; bis dahin hoffte man,
die erste Abrechnung mit den Westgegnern beendet zu haben.
Die meisterhaft verschlagene Kriegsvorbereitung unserer
Feinde har tatsächlich diese bei Kriegsbeginn nicht mehr
berechtigte Annahme der deutschen Heeresleitung als ver-
hängnisvolle Selbsttäuschung erwiesen. Dieser Irrtum hat
zum strategischen Überfall Deutschlands geführt. Aus der
bieherigen politischen Einkreisung Deutschlands war ganz
plötzlich der militärische doppelt umfassende Angriff mit
riesenhaft überlegenen Kräften geworden. f
Dem deutschen Ostheer von 150 ooo Mann traten sofort
drei rujsische Heere von zusammen 610 o00 Streitern aus
dem Festungsgebiet, welches das deutsche Land rechts der
Weichsel umschloß, entgegen. Dahinter staute das russische,
mit französischem Gelde vorzüglich ausgebaute Bahnnetz
immer gewaltigere Massen an, die wie der Strom das
Eis beim Eisgange, die russischen Spitzenheere vorwärts
drückten und beständig ihre alte Wucht ergänzten, auf
Monate hinaus ein unerschöpflicher Nährboden des russi-
schen Vorwärtsdrängens.
Dem russischen Kaiser stand ein gesundes Volksheer von
6 ½ Millionen ausgebildeten Soldaten, hart gezogen, willig
und tapfer, mit einem Offizierskorps, das der Drang
beseelte, die Scharte des mandschurischen Feldzuges auszu-
gleichen, zur Verfügung. An der Spitze des Heeres stand
ein Feldherr von dämonischer Willenskraft und echt mosko-
witischer Rücksichtslosigkeit gegen Menschenleben und Einzel-
schicksale. Das russische Grenzgebiet war meisterhaft mit
Befestigungsanlagen allergrößten Stils und einem wohl-
durchdachten Eisenbahnsystem, als Ausgangsland für die
größte Offensive vorbereitet, welche die Erde gesehen hat,
für die „Dampfwalze“ von fast drei Millionen ausgebildeter
Krieger, gegen welche die sagenhaften Massen der Perser-
heere und der späteren Wandervölker verschwinden.
Hindenburgs Feldherrntum hat den feindlichen Plan
zuschanden gemacht. Die Franzosen fabeln vom Marne-
wunder, das die Deutschen südlich der Marne, wie dereinst
Attila auf den Gefilden von Chälons zur Umkehr ge-
zwungen habe. Mit viel größerem Recht und mit viel
ernsterer Pflicht zu demütigem Dank an Gott muß Deutsch-
land auf das göttliche Wunder blicken, das den Kaiser
in der Stunde dringendster Gefahr den Mann finden ließ,
der das deutsche Volk vor dem sicheren Untergang bewahrt
hat, den der gewaltige Druck einer nicht voraus zu er-
messenden feindlichen Ubermacht mit anscheinend unumstöß-
licher Sicherheit in Aussicht stellte.
Der Vorgänger Hindenburgs hatte nach der rechtzeitig
abgebrochenen Schlacht von Gumbinnen gegen Rennenkampf
(20. August 1914) das Ausweichen des deutschen Ostheeres
über die Weichsel angesichts der mehr als dreifachen Über-
legenheit der beiden feindlichen Feldheere für nötig erachtet.
Die deutschen Truppen hatten am 22. August die ein-
leitenden Bewegungen hierzu angetreten. ·
Da traf am 23. August Hindenburg, damals noch
General der Infanterie, in Marienburg ein.
Tags zuvor von seinem Altensitz in Hannover an die
Spitze des Ostheeres berufen, änderte er noch auf der
Bahnfahrt den Rückzugsbefehl ins Gegenteil um. Nicht Ab-
wehr gegen die furchtbare Überlegenheit, nicht Preisgabe
des ganzen Landes rechts der Weichsel, sondern Vernichtung
des Gegners durch getrennte Vollsiege über die feind-
lichen Einzelheere und Hinübertragen des Krieges in
Feindesland waren fortab die unverrückbaren ziele für
Feldherrn und Heer, das schon nach Tannenberg sich völlig
eins mit seinem Feldherrn fühlte, willig, auf sich zu nehmen,
was der Führer seinen Truppen an unerhörter Leistung
zumuten mußte. Mit dem Kern der wenigen für ihn ver-
fügbaren Feldtruppen hat Hindenburg im Verlauf weniger
Wochen aus kaum mobil gewordenen Landwehr= und Land-
sturmtruppen und jungen Neuschöpfungen ein Einheits-
heer geschaffen, einzig in der Welt, die Hindenburger, den
Russenschreck.