Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

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Weg und Steg verschwunden war. Nur mit äußerster 
Vorsicht folgte der russische Oberfeldherr, ängstlich darauf 
bedacht, durch Aufgebot mehrfacher Uberlegenheit an jeder 
Stelle in Front und Flanken den Erfolg zu sichern. 
Die russischen Flügelheere, mit denen man bei Kriegs- 
beginn unliebsame Erfahrungen gemacht hatte, waren in- 
zwischen neu aufgebaut worden. 
In Galizien hielten 3 russische Armeen, zusammen min- 
destens 1 Million Streiter, die österreichische Karpathen- 
und Dunajeefront eng umklammert. Sie erschienen stark 
genug. um mit dem österrcichisch-ungarischen Feldheer end- 
gültig abzurechnen, wenn es sich in offenem Feld zum 
Kampf stellte. 
Gegen Ostpreußens Ostfront wurde die neue zehnte Armee 
(8—9 Armeekorps, mindestens 400 OOo Mann) in Vor- 
marsch gesetzt. Sie drückte die dort belassenen 60 doo 
Mann Hindenburgs allmählich auf den Argerapp-Abschnitt 
zurück. 
Eine weitere starke Russenarmee, die erste Armee (etwa 
6 Korps, mit Zuteilungen mindestens 350 Ooo Mann) ging 
auf beiden Weichselufern gegen Thorn vor. Sie diente dem 
Hauptheer als rechter Flankenschutz und sollte in weiterem 
Vorgehen die deutsche Weichselstrecke erobern, um damit 
den deutschen Kräften rechts der Weichsel den Rückzug zu 
verlegen. « 
Das russische Hauptheer, mindestens eine Masse von 
1½ Millionen Streitern in der Front, der etwa 1 Million 
Menschen erreichbar nahe folgten, sollte zwischen beiden 
Flügelgruppen auf Schlesien vorrücken, die Hauptmacht 
der Mittelmächte schlagen, wo sie sich stellte, und dann 
ins Herz von Deutschland eindringen, als Herr der Geschicke 
von Mitteleuropa. 
Dieses Haupthecr, mehr als 45 Armeekorps mit zahl- 
reichen Reiter-, Schützen= und Reservedivisionen, war in 
4 Armeen gegliedert, von rechts nach links zweite, fünfte, 
vierte und neunte Armee. Diese gewaltige Masse, das 
größte Heer, das je die Erde überschritt, mußte selbst nach 
Mißerfolgen auf einzelnen Frontteilen schließlich wie die 
Sturmflut wirken, alles Schutzwerk des schwächeren Geg- 
ners schließlich umflutend und begrabend. 
Für dieses Schutzwerk verfügte Hindenburg Ende Oktober, 
als er die Richtlinien für den weiteren Kampf fesilegen 
mußte, insgesamt böchstens über 375000 Mann. Diese 
Zahl wucho tatsächlich bis zum Ende des Entscheidungs- 
kampfes auf etwa 425000 Mann durch I. Armeekorps, 
XXV. Reservekorps, etwa 4 Reserve= und Landwehrdivi- 
sionen und entsprechende Landsiurmbataillone (zusammen 
etwa 40 Bataillone). Davon verblieben in Ostpreußen je 
eine Gruppe an der Ostgrenze nördlich der Masurischen 
Seen und eine an der Südgrenze zwischen Thorn und 
Mlawa, etwa je 60 Ooo Mann stark. Sie bestanden außer 
aus I. Armeekorps und I. Reservekorps fast nur aus Land- 
wehr und Landsturm. Alles übrige wurde in Polen auf 
dem Hauptkampffeld eingesetzt. 
Demgegenüber war auf eine feindliche Mindeststärke von 
21½ Millionen Streitern zu rechnen, ein Zahlenverhältnis 
ohnegleichen in der Kriegsgeschichte. 
Man siebt, wir brauchen unsere Schuljungen nicht mehr 
an dem Beispiel der 300 Spartaner in den Thermopylen 
aufzurichten, gewaltigere Vorbilder schafft uns der deutsche 
Daseinskampf. 
Die Aufgabe Hindenburgs, unbedingter Schutz des Hin- 
terlandes mit seinen gewaltigen Bodenschätzen und seinem 
für die Kriegführung unentbehrlichen Wirtschaftsleben, wäre 
durch eine Abwehrstellung, etwa wie die im Westen, nicht 
zu lösen gewesen. Auf der Front von wenigsiens 230 Kilo- 
metern wäre der Feind schließlich doch da oder dort durch- 
gebrochen, oder er hätte zunächst ungestört das österreichisch- 
ungarische Feldheer zermalmt, um dann die deutsche Front 
aufzurollen. Nur im Bewegungskrieg konnte der Feld- 
herrngeist die brutale Uberkraft der feindlichen Masse 
meistern, nur im Bewegungskrieg konnte die Uberlegenheit 
des deutschen Soldaten, nur in der Feldschlacht die ungleich 
bessere deutsche Heeresschulung zur Geltung gelangen, und 
nur die Vernichtungsschlacht in Hindenburgscher Vollendung 
konnte die „Dampfwalze“ zertrümmern, deren Bewegung 
die gesamte Mitwelt, Freunde, Feinde und Neutrale, in den 
letzten Monaten 1914 mit atemloser Spannung verfolgte. 
Es ist nicht zu viel gesagt, im November 1914 war dao 
Schicksal der Mittelmächte im Lager Hindenburgs. 
Die doppelte Umfassung wurde bei der Neugruppierung 
des deutschen Ostheeres wiederum ins Auge gefaßt. Je 
eine Stoßgruppe wurde auf beiden Flügeln bereitgestellt, 
die Mitte so schwach wie möglich gehalten. Aber bei der 
vielfachen Uberlegenheit des Gegners an Zahl mußte sich 
Hindenburg zunächst damit begnügen, den Druck von einer 
der wirkungovollsten Seiten aus zu führen. Diese war 
zweifellos die Nordflanke der russischen Dampfwalze. Die 
Vernichtung des russischen rechten Flügels brachte die rus- 
sische Offensive auf Breslau—Berlin unbedingt zum Stehen 
und gab in dem Raume zwischen Weichsel und Schlesien 
die Möglichkeit zu umfassender, vielleicht sogar zur um- 
klammernden Bereitstellung der eigenen Kräfte. War der 
rechte Flügel der russischen Mittelmacht vernichtet, so war 
auch deren Rest vielleicht für einen Vernichtungsschlag er- 
reichbar. Ob die Hindenburglawine dann auch über den 
Rest der Russenmasse vernichtend hinrollen würde, das 
stand nicht bei dem Feldherrn allein. Das blieb der 
Vorsehung vorbehalten, dem Schlachtenlenker im Himmel, 
vor dem der Generalfeldmarschall in demütigem Danke 
sich allzeit gebeugt hat. 
Die Hindenburg-Armee war bei ihrem Abmarsch von 
der Weichsel zunächst auf Oberschlesien zu zurückgegangen. 
Nachhuten hielten den feindlichen Vormarsch auf den gründ- 
lichst zerstörten Straßen auf. Sofort wurden die Haupt- 
kräfte, wieder in vollendeter Ausnutzung des deutschen 
Bahnnetzes, in den Naum südlich von Thorn überführt 
und zu dem starken linken Stoßflügel unter Generaloberst 
v. Mackensen formiert, XI., XVII., XX. Armeekorps, Garde- 
Reservekorps und XXV. Reservekorps, sowie 6. und 9. 
Kavalleriedivision, zusammen etwa 150 Ooo Mann. An- 
schließend bildeten schwächere Kräfte, in der Hauptsache 
die schnell verfügbar gemachten Ersatz-, Landwehr= und 
Landsturmtruppen der Korpos Breslau und Posen sowie der 
Hauptteil der Kavallerie, auf der Linie von Konin (linko) 
über Kalisch bis Czenstochau eine deutsche Abwehrfront. 
Stärkere deutsche und österreichisch-ungarische Kräfte endlich 
standen als Stoßgruppe rechts davon im Raume bis Krakau. 
Weiterhin hielt sich das übrige österreichisch-ungarische Feld- 
heer am Karpathenkamm entlang in ungebrochener Kraft 
bereit zu erneutem Vorbrechen. 
Die kriegerischen Geschehnisse auf der Hindenburgfront 
verliefen, wie der Generalfeldmarschall vorausgesehen hatte. 
Das gewaltige russische Hauptheer hatte mit seinen 
4 Armeen bis Mitte November die Linie Uniejow—SZdunska- 
Wola—Nowo-Radomse — Gegend nördlich Krakau er- 
reicht und begann nach einem längeren Halt an der 
Warta diesen Abschnitt zu überschreiten. 
Die nördliche Stoßgruppe Hindenburgs unter dem Gene- 
ralobersten v. Mackensen schlug am 13. und 14. November 
ein russisches Korps bei Wloclawek, zwei weitere am 
15. November bei Kutno, überließ schwächeren Kräften 
unter Generalleutnant v. Morgen deren Zurückdrängen auf 
die Bzura, schlug noch ein russisches Korps bei Dombie, 
überschritt wesilich von Lenczyca den Ner und drängte den 
rechten Flügel der russischen Hauptmacht, die zweite Armee, 
in die Linie Strykow—Kasimierz—Z#dunska-Wola, Front 
gegen Nordwesten, zusammen.
	        
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