Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

Dort staute sich die Masse der russischen zweiten und der 
zu ihrer Unterstützung von links herangeholten fünften 
Armee, eine Lücke klaffte zur vierten Armee. 
Mackensen drückte in festem Anpacken mit seiner Haupt- 
macht die russische zweite und fünfte Armee über die 
Linie Lask—Kasimierz—Zgierdz zurück, warf am 18. No- 
vember den rechten russischen Flügel von Strykow gegen 
die Straße Brzeziny—Lodz und umschloß in den nächsten 
Tagen, über Tuszin mit XXV. Reservekorps, 3. Garde- 
Infanteriedivision, 6. und 9. Kavalleriedivision südwestwärts 
herumgreifend, die bei Lodz zusammengedrängte Masse der 
zweiten und fünften russischen Armee, gegen welche gleich- 
zeitig von Westen und Südwesten her schwächere deutsche 
Kräfte, von Posen und Breslau rechtzeitig von Hindenburg 
herangezogen, und deutsche Kavallerie vordrangen. 
„Fast schien es jetzt, als ob die Verbündeten das zZiel 
ihrer ursprünglich nur auf die Abwehr der feindlichen 
Offensive gerichteten Operationen trotz der zrofen Über- 
legenheit des Gegners höher stecken könnten, als ob die 
Vernichtung des Feindes erreicht werden könnte. Da trat 
unerwartet ein Rückschlag ein. Es gelang den Russen, 
ihren umklammerten Heeren im letzten Augenblick von Osten 
und Süden Hilfe zuzuführen.“ (Berichte aus dem Großen 
Hauptquartier, Heft 3.) 
Von Osten her wurden mit der Bahn beträchtliche Teile 
der russischen ersten Armee von jenseits der Weichsel heran- 
geholt. Von Süden her griff von der vierten Armee ein, 
was heranzubringen war. (Skizze 36.) 
Der deutsche Umfassungsflügel wurde durch diese russische 
Verstärkungen zunächst vollständig eingewickelt, schlug sich 
aber in der Nacht zum 25. November auf Brzeziny durch 
und erreichte zwischen Lodz und Lowicz den Anschluß an 
Mackensens übrige Truppen. Schon hatten die Russen 
Eisenbahnzüge durch Funkspruch für Abtransport der er- 
warteten Gefangenen „von 3 deutschen Korps“ bestellt. 
Aber diese dachten nicht an Ergebung, durch die vierfache 
lberlegenheit brachen die Tapferen durch, noch 12 000 Ge- 
fangene, zahlreiches erbeutetes Material und die eigenen 
Verwundeten mit sich führend. Nur tapfere Vor= und 
Nachhuten, die sich an den Brückenstellen bis zum letzten 
Mann für die Rettung ihrer Kameraden geschlagen hatten, 
waren geopfert. Die ganze Armeeabteilung reihte sich am 
26. November wieder in die deutsche Front ein. Diese 
verlief nunmehr von Szadek über Kasimierz — nördlich 
um Lodz herum — Glowono, bis in die Gegend nordwestlich 
Lowicz. Die Deutschen wiesen die verzweifelten Gegen- 
angriffe der um Lodz herum zusammengeballten russischen 
Massen bis Ende November mit entsetzlichen Verlusten 
für die Nussen zurück und gingen dann trotz der eige- 
nen Erschöpfung nach dreiwöchigem ununterbrochenen 
Kampfe zum Angriff über. Ihr rechtzeitig verstärkter rechter 
Flügel brach durch die Lücke bei Lask durch und auf Pabianice 
vor. Die Russen wichen, um ein Cannac-Tannenberg bei 
Lodz zu vermeiden, nach der Miazga zurück. Auch der süd- 
liche deutsche Stoßflügel war aus Richtung von Czen- 
stochau auf Nowo-Radomsk zu in siegreichem Vordringen, 
ebenso der äußerste linke Flügel Mackensens auf Lowicz 
und gegen die Bzura. Auch die österreichisch-ungarische 
Hauptarmee drang in derselben Zeit erfolgreich in Galizien 
vor. So kam der russische Angriffsriese Mitte Dezember 
1914 ins Wanken. Die NRussen wurden allmählich bis 
hinter den Dunajec, die Nida, die Rawka und die untere 
Bzura zurückgedrückt. 
Dort kam für wenige Monate das Titanenringen zum 
Stehen und ging in den Schützengrabenkrieg, wie auf der 
Wesifront, allmählich über. 
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Übermenschliches war erreicht worden. Die in Polen 
eingesetzten 3o00o Mann der Hindenburg-Armee hatten 
die gewaltigste Menschenmasse, die bisher in einem Heeres- 
verband vereint worden war, nicht nur aufgehalten, son- 
dern bis auf ihren Ausgangsraum zurückgedrängt. Mehr 
als ½ Million Russen waren tot und verwundet (über 
300 Ooo Menschen) oder gefangen (250 oo00). Der besie 
Teil ihres mit französischem Gelde beschäfften Kriegs- 
geräts war vernichtet oder verpufft. Hindenburg war es 
bisher gelungen, mindestens die Hälfte der Russenmacht 
auf sich zu ziehen und den Verbündeten dementsprechend 
zu entlasten. Damit wird nicht im geringsten das Verdienst 
der österreichisch-ungarischen Heeresleitung und des k. und k. 
Feldheeres geschmälert, die sich in genialer Führung und 
unerschütterlicher Tapferkeit mit der noch immerhin furcht- 
baren Uberlegenheit abzufinden verstanden, bis die russische 
unsinnige Menschenvergeudung vor Przemysl, bei Lima- 
nowa (Mitte Dezember 1914 — Stkizze 34) und vor 
den Karpathenstellungen nach und nach das Mißverhältnis 
der Zahl herabdrückte. 
Die Ahnlichkeit der Gruppierung des Joffre-Heeres vor 
der Marneschlacht und der Hindenburg-Armee gegenüber 
der Dampfwalze ist ins Auge fallend. Beide Feldherrn 
versammelten ihre Hauptkraft auf einer zurückgebogenen 
Front mit starken Stoßflügeln zum Gegenangriff. Aber 
wie verschieden war die Ausführung. Während es Joffre 
trotz seiner mehr als doppelt überlegenen Kräfte nicht gelang, 
das Gesetz des Handelns dem Feinde vorzuschreiben, denn 
der deutsche Ubergang zur Abwehr geschah völlig unbeein- 
flußt durch den Feind, riß Hindenburg von Beginn des 
Entscheidungskampfes an die Vorhand an sich. Er allein 
schriek dem vielfach stärkeren Feinde vor, was er tun 
und lassen durfte. 
Hindenburgs Sieg in der Niesen= und Dauer-Feldschlacht 
um Lodz, November—Dezember 1914, ist nicht nur der 
unmittelbare Ausgangspunkt zur völligen Niederkämpfung 
der russischen Feldmacht im folgenden Jahr geworden, 
sondern Anlage und Durchführung dieser gewaltigsten 
Kampfhandlung, die bis dahin die Kriegsgeschichte kannte, 
sind vorbildlich geworden für die Vernichtungosschläge, 
welche die Mittelmächte in den späteren Kriegsjahren, 1916 
gegen die Rumänen und 1917 gegen die Italiener geführt 
baben. Der Geist Hindenburgschen Feldherrntums über- 
strahlt auch sie. Die Weite der Näume, die Schwierigkeiten 
des Geländes sind noch gewachsen, aber weder Donau und 
Karpathen haben 1916, noch die Alpen in Schnee und 
deren überströmende Abflüsse haben 1917 der Kühnheit 
des Feldherrnentschlusses und der unheimlichen Sicherheit 
ihrer Durchführung Schranken zu bieten vermocht. Eine 
geheimnisvolle Neukraft ging von dem Riesenschlachtfeld 
in Polen aus, belebend und beruhigend zugleich für den 
Herzschlag des deutschen Volkes in Waffen und im Heim- 
krieg der Entbehrung, ein schleichendes Gift für die Über- 
hebung unfrer Feinde, in schweren Stunden der Kriegönot 
dem deutschen Volke der Quell der Zuversicht: Hinden- 
burg-Ludendorff. Dieses Zweigestirn verbürgte fortab 
den Endsieg. Sein dankerfüllter Kaiser hatte den Feld- 
herrn Hindenburg noch auf dem Schlachtfelde von Lodz 
zum Generalfeldmarschall ernannt, wie beim Abschluß der 
Tannenbergschlacht zum Generalobersten. In seiner schlichten 
Bescheidenheit aber wies der „Heros des deutschen Volkes“ 
immer wieder auf die Mitschöpfer seiner Taten hin: „Den 
mir zum Auedruck gebrachten Dank nehme ich an, in erster 
Linie für meinen Mitarbel#ter Ludendorff und für unsere sicg- 
reichen Truppen.“ So handelte er 1014, so schrieb er 1917 
nach der Vernichtung der Italiener am Tagliamento. —
	        
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