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vollständigung des Bildes erwünscht, dem Leser auch die
Darstellung dieses Ereignisses von feindlicher Seite nicht
vorzuenthalten. Ich gebe in folgendem einen wegen Raum-
mangels leider sehr verkürzten Auszug aus dem Bericht
des Feldmarschalls Sir John French über die zweite Schlacht
bei Ypern vom 22. April bis 24. Mai 1915 wieder. Er
datiert vom 1. und 5. Juni 1915 und stellt zunächst
fest: „Es kann kein Zweifel sein, daß die Wirkung der
giftigen Gase die Operationen in der Gegend östlich von
Opern wesentlich beeinflußte, bis die Erfahrung wirksame
Gegenmaßregeln schuf, die seither so vervollkommnet sind,
daß die Gase unschädlich gemacht wurden.“
Ich übergehe die drei ersten Abschnitte des Berichts, welche
den Kampf in den Nachbarabschnitten behandeln. Im
Abschnitt IV heißt es dann weiter:
„Bei Beginn der zweiten Schlacht bei Dpern am Abend
des 22. April machte der Feind zum erstenmal Gebrauch
von giftigen Gasen. Einige Tage vorher hatte ich der
Forderung des Generals Joffre zugestimmt, die von den
Franzosen bisher besetzten Gräben zu übernehmen. Am
Abend des 22. April war die Linie östlich von Dpern wie
folgt besetzt:
Von Steenstraate über Langemarck bis an die Straße
nach Poelkapelle eine französische Division, von dort in
südöstlicher Richtung nach der Straße Paöschendaele—Berc-
laere die kanadische Division.
Von dort an hielt eine weitere Division die Lnnie östlich
Zonnebeke bio zu einem Punkte westlich Becelaere, von wo
eine weitere englische Division in südöstlicher Richtung bis
an den Nordflügel des nächsten Korps bei Hooge heran-
reichte.
Vom V. Armeekorps standen 4 Bataillone um Ypern.
Die banadische Division hatte ein Bataillon in Oivisions=
reserve und die 1. kanadische Brigade bildete die Armee-
reserve. Eine Infanteriebrigade, die nach schweren Verlusten
auf Höhe 60 südöstlich Dpern gerade zurückgezogen war,
ruhte um Vlamerthinge (s Kilometer westlich von Ypern
an der Straße nach Poperinghe).
Nach heftiger Beschiefßung griff der Feind s Uhr nach-
mittags unter erstmaligem Gebrauch von Gasen die franzö-
sische Division an. Flieger meldeten, daß um s Uhr nach-
mittags eine dicke, gelbe Wolke aus den Gräben zwischen
Langemarck und Birschote aufgesiiegen sei. Die Franzosen
meldeten, daß zwei gleichzeitige Angriffe östlich der Bahn
VDpern—Cortemarck ausgeführt worden seien, bei denen
giftige Gase verwendet wurden.
Was folgte, ist zumeist unbeschreiblich. Die Wirkung der
Gase war so kräftig, daß die ganze von der französischen
Division besetzte Stellung zu jedem Widerstand unfähig
war. Zunächst war es unmöglich, festzustellen, was eigentlich
geschehen sei. Nauch und Dämpfe entzogen alles der Sicht,
Hunderte von Leuten wurden betäubt, und innerhalb einer
Stunde mußte die ganze Stellung mit etwa 50 Geschützen
aufgegeben werden. —
Die linke Flanke der kanadischen Division war so einem
sehweren Flankenangriff ausgesetzt.
Trotz der drohenden Gefahr hielten die Kanadier mit
bervorragender Zähigkeit aus. Es ist nicht zuviel gesagt,
wenn man behauptet, daß die Haltung dieser glänzenden
Truppe ein Unglück verhütete, welches von den übelsten
Folgen hätte sein müssen.
Die Kanadier wurden übrigens mit der größten Ge-
wandtheit von den Reserven der den Bpernbogen haltenden
Divisionen unterstützt, ferner von der Brigade, die bei
Vlamerthinge in Ruhequartier lag.
Während der Nacht wurden feindliche Angriffe abge-
schlagen, wirksame Gegenangriffe ausgeführt und schließ-
lich die Verbindung mit dem französischen rechten Flügel
wiederhergestellt, so daß eine neue Front zustandekam.
Noch in dieser Nacht sandte ich das Kavalleriekorps und
die Northumbriandivision, die in Heereoreserve stand, in
die Gegend wesilich von Y#pern und stellte diese Truppen
zur Verfügung des Oberbefehlshabers der zweiten Armee.
Ferner zog ich Reserven nach dem III. Armeekorps und
zur ersten Armee für alle Fälle heran.“ —
Im Bericht folgt dann eine Mitteilung über eine Zu-
sammenkunft mit dem französischen Armeebefehlshaber,
General Foch, und über Frenchs Entschluß, die verlorene
Stellung zurückzuerobern.
Freuch fährt dann fort:
„Im Verlaufe dieser zwei oder drei Tage trafen viele
Umstände zusammen, welche die Lage östlich des Bpern-
kanals sehr kritisch gestalteten und sehr schwierig zu über-
winden waren. Die durch den plötzlichen Rückzug der
französischen Division entstandene Verwirrung und die Not-
wendigkeit, die entstandene Lücke zu schließen und den
feindlichen Vormarsch unter allen Umständen aufzuhalten,
führten zu einer Vermischung der Verbände und zu einer
plötzlichen Anderung der Befehloverhältnisse, die ganz un-
vermeidlich waren. Frische Einheiten mußten so, wie sie
von rückwärts herankamen, in die Gefechtslinie hinein-
geworfen werden, in ein Artilleriefeuer, welches infolge der
Eroberung der französischen Geschütze nicht niedergehalten
werden konnte. Das führte zu sehr schweren Verlusten. —
Erst am Morgen des 25. April (tatsächlich am Abend
zuvor. D. H.) konnte der Feind den linken Flügel der
kanadischen Division von dem Punkte verdrängen, wo er
ursprünglich mit dem rechten französischen Flügel zusam-
menstieß.
Während der Nacht und am frühen Morgen des 25. April
richtete der Feind einen heftigen Angriff gegen die Division
am Wegekreuz von Broodseinde, der von gewaltigem Artil-
leriefeuer unterstützt wurde, aber trotzdem nicht vorwärts
kam.
Während dieser ganzen Zeit wurden die Stadt Ypern
und alle von dort nach Osten und Norden führenden Wege
aufs heftigste von der deutschen Artillerie beschossen.
Am Nachmittag des 25. April wurden viele Deutsche,
einschließlich einiger Offiziere, zu Gefangenen gemacht. Das
Handgemenge war sehr ernst, der Feind erlitt schwere Ver-
luste. —
Da die Franzosen bis zum 1. Mai nicht wesentlich vor-
wärts kamen, gab ich Sir Herbert Plumer den Befehl,
am 2. Mai um 1 Uhr morgens den Rückzug in die neue
Stellung zu beginnen.
Der Rückzug wurde in der folgenden Nacht angetreten,
die neue Stellung war am Morgen des 4. Mai befehls-
gemäß besetzt. —
Die erfolgreiche Ausführung dieser Operation war um
so bemerkenswerter, als der Feind am Abend des 2. Mai,
als der Rückzug erst halb vollendet war, einen heftigen
Angriff mit der gewohnten Gasbegleitung auf St.-Julien
und die Gegend westlich davon ausfuͤhrte. Gleichzeitig wurde
unter ähnlichen Umständen ein Angriff auf die Stellung
östlich Fortuin ausgeführt.
Während des ganzen 4. Mai beschoß der Feind die ge-
räumten Schützengräben heftig, ohne zu bemerken, daß sie
nicht besetzt waren. Sobald der Rückzug bemerkt war, fingen
die Deutschen an, sich unseren neuen Stellungen gegenüber
einzugraben und ihre Artillerie in neue Stellungen vorzu-
ziehen. Unsere Artillerie, durch Fliegerbeobachtung gut unter-
stützt, fügte dem Feinde hierbei schwere Verluste zu.
Bis zum 8. Mai machte der Feind auf der ganzen Front
östlich von YDpern mit kurzen Unterbrechungen und unter
öfterer Verwendung von Gas noch mehrere heftige An-
griffe, wurde aber überall mit schweren Verlusten zurück-
gewiesen.