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Jägerbataillone des französischen XXI. Armeekorps in die
Stellungen der Badener ein, nur eine Kompagnie, vom
Feinde völlig umringt, vermochte sich zu halten.
Auch noch weiter nördlich drang ein neues französisches
Korps, das IX. Armeekorps, in der Gegend von Loos
in die vordere deutsche Linie ein, wurde aber dort fest-
gehalten.
Nördlich davon sollten gleichzeitig die Engländer an-
greifen. Schon 6,30 Uhr vormittags hatten sie in der
Brustwehr der Bayern nördlich Fromelles zwei Mi-
nen zur Entzündung gebracht. In die Trichter dran-
gen sofort englische Schützenlinien ein, überrannten die
vereinzelten überlebenden Verteidiger und warfen sich in
die weiter rückwärts gelegenen Gräben und Gehäfte.
Welle auf Welle folgte und versuchte sich von den schma-
len Durchbruchsstellen aus in den Gräben auszudehnen.
Aber schon hatten die anschließenden Abteilungen die Grä-
ben verdämmt und schon hinderte das Sperrfeuer der
deutschen Artillerie die Engländer, weitere Kräfte nach-
zuschieben.
Bis zum Abend hatten hier die Bayern das ganze Ge-
lände zurückgewonnen. 1500 englische Leichen wurden allein
binter unserer Front begraben. Glänzend hatte eine bay-
rische Division den Angriff des durch Verstärkungen drei-
fach überlegenen englischen IV. Armeekorps abgewiesen.
Sie wurde dabei vortrefflich durch einige Feldbatterien und
die 6. und 8. Batterie Fußartillerieregiments 19 unter-
stützt, die vom XIX. Armeekorps noch im Laufe des
9. Mai zur Verfügung gestellt worden waren.
Ohne die gewollte Gleichzeitigkeit führte weiter nörd-
lich dao englische I. Armeekorps, durch eine indische Di-
vision verstärkt, seinen Angriff gegen den Abschnitt Bois-
du-Bicz—La Quinque-Rue aus. Erst um ',15 Uhr nach-
mittags brachen die Angreifer vor. Voran eine Welle
farbiger Engländer, dann weiße, stürzten die englischen
Massen aus den Versammlungsgräben heraus. Ihnen folg-
ten farbige und dann wieder weiße Engländer. Aber nur
bis in die Drahthindernisse vor der Stellung der Wesit-
falen gelangten die Tapfersten von ihnen. Massen von
Engländern verschiedener Nassen bedeckten das Feld. Die
besten Truppen der I. englischen Armee waren ohne jeden
Erfolg geopfert worden.
Schon am 9. Mai abends stand fesi, daß Frankreichs
ganze verfügbare Kraft unter Joffres bestem Unterführer,
dem General Foch, und Englands beste Armee vereint nicht
imstande waren, die schwachen deutschen Kräfte an der
Artoisfront über den Haufen zu werfen. Wohl war die erste
große Sturmflut überwunden, doch der Kampf noch nicht
beendet.
An drei Stellen in der Schlachtfront der Armee des
Kronprinzen von Bayern hatte am 9. Mai die fran-
zösische Granate dem Bajonett einen Weg gebahnt.
Bei Loos warfen die Badener den Feind aus eigner
Kraft zurück.
Weiter südlich mußten Reserven heran, um die ein-
gedrungene Masse der Franzosen zurückzudrücken. Dort
werden wir im folgenden die herbeiellenden Sachsen
treffen, zuvörderst die sächsischen Jäger, welche bereits um
die saditiagostunde des 9. Mai auf der Lorettohöhe ein-
trafen.
Weiter südlich an den Höhen lig und 140 sowie in
den Waldrändern südlich davon war der Feind zwischen
Souchez und Neuville zwar zum Stehen gebracht worden,
aber es bedurfte hier des Einsetzens neuer Kräfte. Bayern
und Elsaß-Lothringer gingen von Givenchy aus vor und
warfen den Feind in eine Mulde zurück, in unsere so-
genannte Artilleriemulde, in welcher einige bayrische Feld-
geschütze und zwei schwere Feldhaubitzen, vom Feinde über-
rannt, lange herrenlos standen. Dort werden wir das
Kampffeld wiederfinden, auf dem die neu errichtete säch-
sische s8. Infanteriedivision (die sächsischen Infanterie-
regimenter 106 und 107, sowie das württembergische Re-
serve-Infanterieregiment 120) sich ihre ersten Lorbeeren
erwarb.
Weiter südlich bis zur Scarpe kam in der Folgezeit
der Kampf zum Stehen.
Bedrohlicher blieb die Lage an der Lorettohöhe und bei
den heißumstrittenen Dörfern Ablain und Carency. Dort
wurde am 10. Mai das sächsische Infanterieregiment 106
der 68. Infanteriedivision an der bedrohtesten Stelle der
Lorettohöhe zur Unterstützung der Badener eingesetzt.
Im Gegenangriff wurden vom II. und III. Bataillon
des Infanterieregiments 106 etwa 500 Meter Graben
an der Lorettohöhe und die Trümmer der Loretto-Kapelle
zurückerobert. Dadurch wurden Teile von zwei Kompagnien
der Infanterieregimenter 110 und 111, welche zwei Dage
lang eingeschlossen gewesen waren, befreit. Im Gegen-
angriff über die freie Ebene von Ablain aus gewann das
I. Bataillon ebenfalls Boden, doch war es nicht möglich,
die zwischen der eigentlichen Lorettohöhe und Ablain ent-
standene Lücke, in welche die Franzosen eingedrungen waren,
zu schließen und Anschluß zwischen den Bataillonen her-
zustellen.
Die wiederholt vom Feinde angegriffene, von Front,
Flanke und Rücken beschossene Stellung wurde bis zur
Ablösung gehalten.
Am 14. Mai kehrte das Infanterieregiment 106 von
der Lorettohöhe nach unbeschreiblicher Leistung mit einem
Verlust von 73 Offizieren und 1442 Mann zur Di-
vision zurück.
Des Angriffs und der weiteren Tätigkeit der Regimenter
Infanterieregiment 107 und Reserve-Infanterieregiment
120 der §8. Infanteriedivision ist in der Einzelschrift
des Großen Hauptquartiers auf Seite 18 und auf den
folgenden Seiten mit besonderer Anerkennung gedacht. Ihre
ausführliche Darstellung wird später bei der s§. Infan-
teriedivision Platz finden.
General Joffre hatte darauf gerechnet, Dienstag, den
11. Mai, Loos und bis Freitag, den 14. Mai, die große
Kohlenstadt Lens mit seinem linken Flügel zu nehmen.
Aber die französischen Truppen waren nicht mehr fähig
zu einem großen einheitlichen Angriff. So löste sich die
Schlacht allmählich in eine Reihe von Einzelkämpfen in
der Gegend der Lorettohöhe und bei Neuville auf. Deren
Schilderung muß, wie auch die Einzelschrift des Großen
Hauptgquartiers sagt, den Regimentgeschichten der beteilig-
ten Truppen überlassen bleiben: „Ein Leutnants= und
Soldatenkrieg spielte sich in den Gräben und Ruinen ab.“
„In der Zwischenzeit waren die Engländer nicht ganz
untätig geblieben. Von ihren Schlägen vom 9. Mai hatten
sie sich zwar nicht so rasch erholt wie die Franzosen.“
Erst am 16. Mai griffen zwei englische Divisionen süd-
lich der Straße La Bassée—Cstaires die Westfalen wieder
an. Diesen brachten sächsische Batalllone des Infanterie=
regiments 104 Unterstützung, wie später ausführlich dar-
gestellt werden soll.
Die Kraft des Gegners zu wirklich großen Offensivstößen
fand mit den letzten Angriffen östlich Richebourg am
21. Mai bei der im Naume von La Bassée versammelten
englischen Armee ihr Ende. Das englische I. und IV. und das
indische Armeekorps hatten sich Schlappen geholt, die ihr
Gehalt an innerer Kraft nicht mehr zu verwinden ver-
mochte.
Nach vierzehntägigem Kampfe war das Schicksal des
französisch-englischen Durchbruchsversuches besiegelt.