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Der Anteil von Truppenteilen des XIX. Armeekorps an der Lorettoschlacht
I. Die 13. Jäger auf der Lorcttohöhe
Zunächst sei der Märzkämpfe der 13. Jäger auf der
Lorettohöhe gedacht. Ich gebe darüber einem Mitkämpfer
des Bataillons das Wort:
„Daß Alarm bevorstand, wußten wir, aber „was los war“,
ahnte wohl höchstens der Kommandeur, als wir am Mor-
gen des 3. März 1915 gegen 4,30 Uhr vormittags durch
dad Heransausen der Kraftwagenkolonne geweckt wurden,
die uns aufnehmen sollte. In langer Reihe fuhr sie,
nachdem die Jäger aufgestiegen waren, durch die aus-
gestorbenen Straßen des nächtlichen Lille zur Porte d'Arras.
binaus nach Süden. Bei der Ankunft in Sallaumines
gegen 9 Uhr vormittags erfuhren wir, daß die Hohen-
zollern-Füsiliere nach einer gut gelungenen Sprengung dem
Feinde den von ihm besetzten Teil der Höhe von Notre-
Dame-de-Lorette ohne nennenswerte Verluste im Sturm
abgenommen hätten. Alles stand gut, und wir glaubten
sebon, man würde uns bald wieder beimschicken. Aber
am Nachmittag hub ein Nollen und Grollen an, wie
wir es alle noch nicht gehört batten, ein Geschützfeuer,
das den Lorettohügel, den man in der Ferne sah, in
Rauch hüllte und in Sallaumines die Fenster zum Klirren
brachte. Am 4. März wiederholte sich das Trommelfeuer,
und §,15 Uhr nachmittags kam der Alarm. „Jetzt wird's
ernstt fühlte jeder. Durch die Bergmannsstadt Lens, zwi-
schen Schächten und Zechen ging es am Kanal entlang,
fast in der Luftlinie auf den feuerspeienden" Berg zu,
der in diesen Tagen seine Berühmtheit gewann. Die
Dunkelheit des trüben, windigen Märztages brach früh
herein, und als das Bataillon mit dem Anfang an der
Kirche von Ablain am Fuße des Berges hielt, herrschte
tiefe Nacht. Führer von dem Bataillon, das wir ab-
lösen sollten, standen bereit. Während die 2. und 4. Kom-
pagnie zunächst in dem am Südwesthange der Loretto=
höhe gelegenen Hohlwege bereitgestellt wurden, rückten die
1. und 3. Kompagnie sowie ein Teil der Maschinengewehr-
kompagnie sofort in die vorderste Linie. Schon dieser
Aufsiieg wird allen Teilnehmern unvergeßlich bleiben. Das
Trtilleriefeuer hatte zwar nachgelassen, doch fuhr der Geg-
ner fort, die Verbindungsgräben in kurzen Pausen mit
einzelnen Feldgranaten zu beschießen. Schweres Feuer und
Regemvwetter hatten die Gräben furchtbar zugerichtet, stellen-
weise eingeebnet. An anderen Stellen lagen Leichen und
sperrten den Weg oder ein Stöhnen ließ einen mit Ent-
setzen erkennen, daß man auf einen Verwundeten trat.
Die Verbindung riß wiederholt ab, und die Orientierung
bei Nacht und Regenböen im ganz fremden Grabengewirr
war schwer. Es war s Uhr morgens, als die Kompagnien
die „Gräben“ erreichten, in denen sie „ablösen sollten.
Beideo in Anführunggzeichen, denn die Gräben waren flache
Mulden und die Ablösung bestand darin, daß eine leere
Strecke von zirka 400 Meter besetzt wurde, auf der all-
mählich einzelne Gruppen von Menschen, die seelisch und
körperlich ihr Letztes hergegeben hatten, auftauchten. Bis
Tagesanbruch waren kaum zwei Stunden Zeit; da hieß
es fieberhaft arbeiten. Als es hell wurde, sahen wir,
wo wir uns befanden. Es war der Graben dicht unter-
halb der Kapellenruine nach Nordosten zu, den die 40 er
durch Sprengung und Sturm am Morgen des 3. März
den Franzosen abgenommen und dann trotz Trommelfeuer
und Infanterieangriff so brav gehalten hatten. Vor und
linter dem Graben, im Graben selbst, in den Sappen,
in jedem der schlechtangelegten, zerschossenen Unterstände
überall lagen Leichen und Leichenteile, viele Hunderte,
Franzosen und Deutsche. Das erste Erfordernis war, die
Gräben zu vertiefen — jeder Spatenstich brachte neue
oft gräßlich zerschossene Leichen zum Vorschein. Wo ein
halbzutage liegender toter Kamerad beseitigt worden war,
zeigte sich, daß unter ihm zwei Franzosen lagen. Kaum
die Feder eines Zola kann den Eindruck schildern, den ein
solcher Anblick in Verbindung mit dem entsetzlichen Ver-
wesungsgeruch auf Menschen hervorbringt, die 12 Stun-
den schwerer Anstrengung hinter sich und seit 14 Stunden
nichts als einen Schluck aus der Feldflasche und etwa
ein Stück Soldatenbrot genossen haben. — Nicht ein
Viertel der notwendigen Arbeiten war bewältigt, als am
§. März gegen 9 Uhr vormittagoe das Trommelfeuer be-
gann, mit einer Heftigkeit, wie keiner von denen unter
uns, die seit August 1914 im Felde standen, es je ge-
bört hatte. Seit jenen Märztagen sind die Mai= und
Septemberschlachten geschlagen worden und jeder Zeitungs-
leser weisjt, was Trommelfeuer ist, wie er weiß, was eine
Kanone ist. Wir lernten es damals am eigenen Leibe Zuerst
kennen, die feindliche Artillerie hielt in den drei Tagen
der Hauptbeschießung (s., 6., 7. März) ziemlich genaue
Zeiten ein, so daß das eigentliche Trommelfeuer von 9 Uhr
bis 11 Uhr vormittags und 3 Uhr bis s Uhr nachmittags
dauerte. Brauchbare Unterstände waren nicht vorhanden
und konnten auch nicht gebaut werden, weil das Artillerie-
feuer zum Teil die Arbeit, vor allem aber das Heran-
schaffen von Material unmöglich machte. So mußten die
Leute drei Tage in Regen und Wind ohne Obdach zu-
bringen. Der Versuch, warmes Essen heraufzuschaffen,
mußte aufgegeben werden. — Der Gegner versuchte wie-
derholt anzugreifen, so am ". März gegen s* Uhr nach-
mittags, als kaum der letzte Schuß seiner Artillerie ge-
fallen war, bei der 1. Kompagnie. Die Jäger hatten sich
zum Schutze gegen das Artilleriefeuer an die vordere
Grabenwand gedrückt, auch kleine Löcher und Nischen ge-
graben. Aber die Wachleute waren wirklich auf dem Posten:
kaum hatten die ersten Gegner den Graben verlassen, so
fielen die ersten Schüsse auf unserer Seite, und eine halbe
Minute später schlug dem Feind aus dem zugedeckten
Graben, in dem er wohl kaum noch Widersiand vermutet
hatte, ein Feuer entgegen, das ihn zu eiliger Umkehr
veranlaßte. Nicht besser erging es ihm, als er den Ver-
such am 6. März, diesmal gegen die 2. Kompagnie wie-
derholte. Ja, nach der niederdruckenden Einwirkung des
Artilleriefeuers, das namentlich beim Zug Erdmannsdorff
der 1. Kompagnie furchtbare Opfer gefordert hatte, wurde
Möglichkeit, einen sichtbaren Gegner zu bekämpfen,
—6* als Wohltat empfunden. Wenn es aber dem
Bataillon unter Führung des Hauptmanns v. Borberg
in diesen fünf Tagen nicht nur gelang, den ihm an-
vertrauten Abschnitt trotz aller Verluste und Entbehrungen
zu halten, sondern am 8. März auch noch ein beträcht-
liches, früher verlorengegangenes Grabenstück zurückzu-
erobern, so gebührt die Ehre hierfür der 2. und 4. Kom-
pagnie, die mit Hilfe tapferer badischer Pioniere und mit
einer wackeren badischen Grenadierkompagnie als Rück-
halt im Sappenangriff mit Handgranaten den eingedrunge-
nen Franzosen zu Leibe gingen. Oberleutnant d. R. Decker
der 2. Kompagnie leitete den Angriff, der geschickt von
zwei Seiten angesetzt, 6 Offiziere, 293 Mann, 2 Ma-
schinengewehre, 3 Minemwerfer in unsere Hände brachte.
Als bei der einen Sturmkolonne die als Handgranaten-
werfer beigegebenen Pioniere verwundet und gefallen waren,
da war es der Leutnant v. Zedlitz, im ganzen Bataillon
unter seinem Vornamen „Konrad“ als verwegener Drauf-
gänger bekannt, der Handgranaten werfend alles vor sich
bertrieb, bis der Druck von der anderen Kolonne fühl-
bar wurde und die abgeschnittenen Franzosen vom 109. Li-
nienregiment zwang, sich zu ergeben. Schon seit Dezember