Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

Der 5 Uhr nachmittags erneut einsetzende französische 
Angriff in tiefer Gliederung und mit starken Reserven 
dahinter führte zur Eroberung eines 100 bis 150 Meter 
breiten Grabenstückes, dessen Besatzung (2. Kompagnie Re- 
serve-Infanterieregiments 106) anscheinend völlig vernichtet 
war. Nach sofortigem Gegenangriff behaupteren sich die 
Franzosen noch in einem 50 bis 8f0 Meter breiten Graben- 
stück. Gegen dieses wurden sämtliche verfügbaren Kräfte, 
im ganzen sechs Kompagnien eingesetzt. Der Feind hatte 
den von ihm genommenen Teil des Gießlergrabens so- 
fort mit Maschinengewehren besetzt und hielt auch diesem 
deutschen Gegenstoß gegenüber wenigstens ein Stück des 
Grabens fest. 
Zu einem nochmaligen Angriff fehlten der 123. Infan- 
teriedivision frische Truppen. Die Gräben waren zer- 
schossen, die Gewehre 88 begannen nach tagelangem Kampf 
bei Regenwetter vielfach zu versagen, einzelne Batterien 
hatten sich ganz verschossen, Erschöpfung drohte nach sechs 
Tagen und sechs Nächten fortwährenden Kampfes die Men- 
schen zu überwältigen und ließ baldige Ablösung dringend 
erwünscht erscheinen. Dieselbe wurde auch für den Abend 
des 28. September in Aussicht gestellt. 
Dienstag, der 28. September. 
Noch in dieser Nacht war das II. Bataillon des Kaiser- 
g s zur Unterstützung der 123. 
Brbe eingetroffen und zur Hälfte sofort zur 
Ablösung besonders erschöpfter Teile der Grabenbesatzung 
verwendet worden. Am Morgen traf dann auch noch das 
I. Bataillon des Kaiser-Fra- ein. 
Das Wetter war klar. Von Souchez schob der Gegner 
fortgesetzt kleine Abteilungen nach der Gießlerhöhe zu in 
dao von ihm eroberte Grabenstück vor und schritt gegen 
9,30 Uhr vormittags von neuem zum Angriff gegen die 
Kuppe der Gießlerhöhe. Nach heftigem Handgranaten- 
kampf wurde der Angriff diesmal abgeschlagen. 
Der Feind versuchte 2,45 Uhr nachmittags nunmehr 
einen Angriff gegen das Cugreowãldchen und die Talsperre. 
Dabei wurden die beiden dort eingesetzten Kompagnien 
ts durch Trommelfeuer, 
dessen furchtbare Bekanntschaft die aus dem Osten soeben 
eingetroffenen Gardekompagnien hier zum ersten Male 
machten, fast aufgerieben. Durch herbeieilende Kompagnien 
Infanterieregiments 182 wurde dann der französische An- 
griff restlos auch hier abgewiesen. 
Zu derselben Zeit wurde auch die Gießlerhöhe angegrif- 
fen. Hier kam es an vielen Stellen bis zum Handgemenge. 
Gleichzeitig traf beim Abschnittskommandeur Oberstleutnant 
Pilling die Meldung ein, daß die F Franzosen bei der 11. In- 
fanteriedivision durchgebrochen und im Vorgehen auf Gi- 
venchy seien. Es hat sich auch später nicht feststellen lassen, 
ob diese Meldung falsch war oder ob der Durchbruch tat- 
sächlich erfolgt ist und die Franzosen erst durch einen Gegen- 
angriff der dort befindlichen Reserven wieder zurückgewor- 
fen worden sind. Die 21. Infanteriedivision konnte keinen 
Aufschluß geben. Sicher ist aber, daß zwei Kompagnien 
des in den Unterständen am Bahndamm befindlichen I. Ba- 
taillons Kaiser-F dierregiments aus eigenem 
Entschluß ihres Bataillonsführers in Nichtung Givenchy 
entwickelt worden sind. 
Auch auf der Gießlerhöhe nahmen die Kämpfe nach lan- 
gem Hin= und Herwogen ein günstiges Ende. Dreimal 
hatte hier der Gegner im Laufe des Nachmittags versucht, 
unsere Stellung zu nehmen, immer wurde er zurückgewor- 
fen. Zwischen s und 6 Uhr nachmittags gelang es sogar, 
ihn aus dem bisher noch in seinem Besitz befindlichen klei- 
nen Grabenstück gegenüber den Artilleriebeobachtungsstel- 
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len hinauozuwerfen. Völlige Ruhe trat allerdings an dieser 
Stelle unserer Front die ganze Nacht über nicht ein, da 
der Feind sich teilweise auf Handgranatenwurfnähe vor 
unseren Gräben eingenistet hatte. Jedenfalls aber war und 
blieb die Stellung ihrer ganzen Ausdehnung nach restlos 
im Besitze der Sachsen. Allerdings mußten, um dieses Jiel 
zu erreichen, alle noch in der Hand des Abschnittskomman= 
deurs befindlichen Reserven — mit Auonahme der vier 
Kompagnien Kaiser-Franz deg g — ein- 
gesetzt werden. 
Inzwischen waren im Laufe des Nachmittags alle Vor- 
bereitungen für die Ablösung durch die 4. Garde-Infanterie- 
brigade erfolgt. Während sich die Ablösungen im Marsche 
von Lens nach Schacht 6 befanden, traf gegen 8 Uhr abends 
von vorn die Nachricht ein, daß der Gegner bei der 11. In- 
fanteriedivision durchgebrochen sei und den linken Flügel 
der 123. Infanteriedivision an der Gießlerhöhe eingedrückt 
habe. Das Dorf Givenchy sei bereits im Besitz der Fran- 
zosen. Die Nachricht erwies sich als falsch. Der ganze 
Gießlergraben einschließlich der Beobachtungsstellen war fest 
in der Hand der Sachsen, und nach links bestand An- 
schluß an das inzwischen dort eingerückte 1. Garderegiment 
zu Fuß. 
Da auf der Gießlerhöhe die Nacht über Gewehrfeuer 
und Handgranatenkämpfe andauerten, so mußte sich die 
Ablösung dem anpassen. Die ausgeschwärmten Kompag- 
nien der Garde schoben sich in die Gräben der Sachsen 
ein. Darauf gingen letztere mit Ausnahme der Unterwei- 
sungstrupps ausgeschwärmt zurück. 
Am 29. September 4 Uhr vormittags meldete der Ab- 
schnittokommandeur, Oberstleutnant Pilling, daß die Ab- 
lösung durchgeführt und der Abschnitt durch den Abschnitts- 
kommandeur der Garde, Oberst v. Krosigk, richtig über- 
nommen worden sei. Auf Befehl der 123. Fußartillerie- 
brigade nahm die 2. Batterie Fußartillerieregiments 245 in 
der Nacht zum 29. September einen Stellungswechsel in 
eine neue Stellung am Fabariusberg vor, von der aus sie, 
den veränderten Verhältnissen Rechnung tragend, besser 
gegen die vorderen feindlichen Linien wirken konnte. Die 
Beobachtungsstellen auf der Gießlerhöhe, die den ganzen 
Tag über besetzt gehalten worden waren, wurden auch am 
28. September wieder durch das schwerste feindliche Ar- 
tilleriefeuer in weitgehender Weise zerstört. Beobachtung 
war von diesen Stellen aus nur noch durch freies Sehen 
über den Graben durch Handgläser möglich. Unter 
diesen Verhältnissen richteten sich die Batterien des Süd- 
abschnittes auf Veranlassung der Brigade neue Beobach- 
tungsstellen am Westhange des Fabariusberges ein, um 
auch für den Fall, daß die Beobachtung von der Gießler- 
höhe unmöglich werden sollte, das Feuer der Batterien mit 
Sicherheit leiten zu können. Am Morgen des 29. Septem- 
ber, nach der Ablösung der 245. Infanteriebrigade durch 
die 4. Garde-Infanteriebrigade, waren jedoch die Beobach- 
tungsstellen auf der Gießlerhöhe noch von den Beobachtern 
der 123. Feldartilleriebrigade besetzt. 
Der Vormittag des 29. September verlief im allgemeinen 
ruhig. Ein sich anscheinend vorbereitender feindlicher An- 
griff aus Souchez heraus gegen die Gießlerhöhe kam infolge 
unseres Artilleriefeuers nicht zur Durchführung. 12 Uhr 
mittags übernahm der Kommandeur der 2. Garde-Infan= 
teriedivision das Kommando im bisherigen Abschnitt der 
123. Infanteriedioision. 
Um das Bild der denkwürdigen Tätigkeit der 123. Infan- 
teriedivision an kritischer Stelle zu kritischer Zeit noch zu 
vervollständigen, ist darauf hinzuweisen, daß die Verbin- 
dung mit den Nachbardivisionen, 3., 7., 11. Infanteriedivi- 
sion, zu jeder Zeit während der Gefechtstage aufrecht er- 
halten wurde. Die 123. Infanteriedivision war stets über
	        
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