Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

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Das Ziel, das sich Hindenburg für die Winteroffensive 
in Masuren stellte, konnte lediglich wieder die Vernichtung 
des erreichbaren Feindes sein. Das war die russische zehnte 
Armee des Generals Sievers, deren Stärke Anfang Fe- 
bruar 1915 auf mindestens 220 ooo Mann Kampftruppen 
zu berechnen ist. 
In meisterhafter Weise sicherte sich der Generalfeld- 
marschall v. Hindenburg durch Umgruppierungen aus Polen 
zunächst die Uberzahl. Unbemerkt vom Feind versammelte 
er bis zum 7. Februar hinter der Front Johannisburger 
Forst— Tilsit reichlich 250 000 Mann, die Hauptkräfte auf 
beiden Flügeln. Was zu einer solchen großzügigen Truppen- 
verschiebung mitten im Winter aus dem völlig zugrunde ge- 
richteten Polen heraus gehört hat, welche Voraussicht und 
Zielsicherheit der Leitung und welche Höchstleistung bei Bahn, 
Truppe und Verwaltung dazu erforderlich waren, davon 
macht sich kaum der Fachmann, geschweige denn der Laie 
eine richtige Vorstellung. 
Hier genügt festzustellen, daß sich alles planmäßig, un- 
bemerkt vom Feind und so schnell vollzog, daß Gegenmaß- 
regeln unmöglich wurden. Wieder gilt es, die Schnellig- 
keit der Hindenburgschen Kriegszüge als ganz besonders 
erfolgsichernd hervorzuheben. 
Die beiden Stoßflügel Hindenburgs sollten die gegne- 
rischen Flügel überraschend umfassen und auf die Mitte 
der feindlichen Armeen zurückwerfen. Die deutsche Mitte 
sollte zunächst verhalten, jedenfalls aber ein vorzeitiges Ent- 
schlüpfen von Sievers verhindern. In der Gesamtanlage 
war also trotz der riesenhaften Front von 165 km, trotz 
Winterwetters mit abwechselndem Schneesturm und Tau- 
wetter und trotz fast völliger Wegelosigkeit die einkreisende 
Vernichtungsschlacht ausdrücklich vorgesehen. Aber diesmal 
handelte eo sich nicht um Anmärsche von ein bis zwei Tagen, 
sondern es wurde ein gewaltiges Marschsystem von 9 Tage- 
märschen erforderlich, das schließlich zu der Katastrophe 
in dem Waldgebiet von Augustow planmäßig führte, wie 
der Feldherr vorausbestimmt hatte. 
Selbst für den Laien genügt zum Verständnis der ver- 
blüffend einfachen Hindenburglösung der denkbar schwierig- 
sten Feldzugsaufgabe die burze Schilderung des Verlaufes. 
Hindenburg gliederte seine Gesamtmacht in zwei Armeen. 
Die rechte Armee, die alte Niemenarmee Hindenburgs, jetzt 
unter General v. Below, verhielt zunächst mit ihrem linken 
Flügel (Lötzen— Angerapp) und mit der Mitte (Arys). Ihr 
rechter Flügel, die Korps v. Falk und Litzmann umfassend, 
sollte überraschend durch den Johannisburger Forst über die 
Pissecklinie nordostwärts auf Suwalki und Augustow vor- 
brechen. Falks erstes Tagesziel sollte am 7. Februar Snop- 
ken sein, Ligmann mit 2 Kolonnen den Pisseck an der 
Landeogrenze und nördlich davon gleichzeiti.) erreichen. 
Die linke Armee, 3 Korps unter dem Generalobersten 
v. Eichhorn, verhielt zunächst ihren rechten Flügel (Mall- 
wischken), etwas auch die Mitte (östlich von Kraupischken) 
und hatte mit dem linken Flügel (Nagnit) entlang der 
Szeszuppe südostwärts in breiter Front vorzugehen, um 
möglichst bald den Bahn= und Straßenzug Stallupönen— 
Kowno der russischen Verwertung zu entziehen. 
Zur Deckung des Vormarsches beider Flügel gegen russi- 
sche Umgehungen wurden wieder besondere Seitenkorps be- 
reitgehalten, im Süden gegen Lomsha, im Norden gegen 
Tauroggen. Beide griffen zweckentsprechend an. 
Die Korps v. Falk und Litzmann durchschritten am 7. Fe- 
bruar bei anhaltendem Schneefall den Johannisburger Forst, 
erreichten am 7. Februar abends bzw. am 8. früh den 
Pisseckabschnitt von der Landesgrenze bis Johannisburg, 
warfen eine feindliche Division unter schweren Verlusten 
an Gefangenen und Kriegsmaterial auf Bialla zurück und 
nahmen auch diesen Ort am 9. Februar. Ein feindlicher 
Gegenstoß aus der Gegend von Kolno gegen die deutsche 
Flanke wurde von dem jungen Korps Litzmann, welches 
hier unter den denkbar schwersten Verhältnissen die Feuer- 
taufe erhielt, bereits am 8. Februar blutig abgeschlagen. 
Der Feind wich in Auflösung zurück und wagte sich an den 
folgenden Entscheidungstagen nicht wieder vor. 
Auch der linke deutsche Flügel, Generaloberst v. Eich- 
born, begann planmäßig am 8. Februar die Umfassung. 
Der russische rechte Flügel verlief zurückgebogen vom West- 
vorsprung des Schoreller Forstes über Lasdehnen bis zur 
Landesgrenze, stark ausgebaut, mit guten Fronthindernissen 
versehen, nur war derzeit das Torfmoor Königshuld vor 
dem Nussenflügel fest gefroren. 
Bereits am Abend des 8. Februar war die Russenfront 
von illkallen bis Laödehnen in deutschem Besitz. Der 
russische Flügel ging süd= und südostwärts, wie gewollt, 
zurück. Das Ungestüm der Angreifer, die schon am 8. Fe- 
bruar unter Verzicht auf Artillerievorbereitung die Auf- 
gabe des 9. Februar vollzogen, wurde glänzend belohnt. 
Der Feind war schon jetzt am Ausweichen nord= oder nord- 
ostwärts verhindert. 
Nun galt es, in den nächsten Tagen planmäßig und 
zielsicher weiter vorwärtszudringen. Die braven Truppen 
Eichhorns traten am 9. Februar aus der eroberten Russen- 
stellung heraus in drei Hauptgruppen den eigentlichen Um- 
fassungsmarsch an, der äußerste linke Flügel gegen die 
Linie Wylkowyszki—Marjampol, die Mitte gegen Kibarty— 
Wirballen, der rechte Flügel auf Stallupönen. 
Am 11. Februar war der Bahn= und Straßenzug, der auf 
Kowno führt, an fünf Stellen in deutscher Hand, ebenso 
eine bunte Masse von 16 000 Gefangenen sowie enormes 
Kriegsgerät und Transportmaterial. Die Eisenbahnbrücke 
bei Pilwischki, über die Szeszuppe war gesprengt, die direkte 
rückwärtige Verbindung dem Russenheer somit abgeschnürt. 
Unsägliches überwanden dabei die Truppen bei Schnee- 
sturm und strenger Kälte, die Hindenburgarmee zeigte sich 
ihres Führers würdig. Der deutsche Mann drang durch, 
wo Maschine und Pferde versagten, weil jeder einzelne urteils- 
reife, willensstarke deutsche Soldat sich als Mitarbeiter 
seines Feldherrn fühlte, nicht nur als das gefügige Werk- 
zeug, wie drüben der Russe, dessen im übrigen prächtige 
soldatischen Eigenschaften zu solcher Höhe nicht hinanreichten. 
Am 12. Februar waren Wizainy, Kalwarija und Mar- 
jampol in Eichhorns Hand. 
Auf Hindenburgs rechtem Flügel war am 11. Februar 
Litzmann über Grajewo bis südlich Augustow vorgedrungen. 
Nur noch 70 km trennten die beiden Umfassungsflügel. Nur 
noch der Rückzug über Seiny verblieb der russischen Mitte, 
die von der Angerapp und von Köten her abziehend, am 
12. Februar den Raum von Suwalki erreichte. · 
Bis Seiny hatte Eichhorn noch 35 km, die Russenmitte 
noch 45 km. Am 12. Februar war also schon das Schick- 
sal der russischen zehnten Armee besiegelt. Am 13. und 
14. Februar wurden alle von Wizainy, Suwalki und Augu- 
stow nach Rußland führenden Wege deutscherseits gesperrt. 
Die Umgehung war vollzogen. Bis dahin war auch die 
Widerstandskraft der eingekreisten russischen Hauptmacht 
durch General v. Below in meisterhafter Weise gebrochen 
worden. Wie leicht konnte der Russe noch in seiner Ver- 
zweiflung zu einem Gewaltschlage nach dem Vorbild aus- 
holen, welches die Deutschen unter den Generalen v. Scheffer- 
Boyadel und Litzmann wenige Wochen zuvor im Raume 
von Brzeziny, östlich von Lodz, aufgestellt hatten. 
Der General v. Below hatte bis 10. Februar die russische 
Mitte unbehelligt gelassen. Aber als seine Flieger am 11. Fe- 
bruar den Beginn des russischen Abzuges feststellten, schritten 
Belowo Landwehr= und Landsturmbataillone sofort zum An- 
griff, hielten die feindlichen Nachhuten fest, zersprengten 
sie und erreichten am 12. Februar die Marschsäulen der 
russischen Hauptmacht. Unter ihrem Ansturm wurde aus
	        
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