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der nächsten Tage kein Raum für die Kavallerie. Hier
mußte die Hauptschlachtenwaffe, die Infanterie, in treuem
Zusammenwirken mit der Artillerie und den Pionieren die
große Aufgabe lösen, angesichts eines seit Tagen eingebauten
starken Feindes den Übergang über den 100—120 Meter
breiten Fluß in tief eingeschnittenem Felstal zu erzwingen.
In den Tagen vom 20.—22. August schoben sich die
Vortruppen der drei sächsischen Korps allmählich bis an
die Maas heran und ergänzten durch sorgfältige Erkun-
dungen das Bild, das über den Feind an der Maa durch
die Tätigkeit der Heeresreiterei bereito gewonnen war.
Vergessen waren die gewaltigen Anstrengungen der letzten
Tage, die endlosen Märsche durch die Ardennen, bei drücken-
der Schwüle, auf elenden Wegen, in steter Alarmbereitschaft
inmitten der hinterlistigen belgischen Bevölkerung.
Infanterie, Artillerie und Pioniere überboten sich gegen-
seitig in kühnen Erkundungen gegen die Maas. Jede Waffe
wollte die Verhältnisse an den für den Flußübergang wich-
tigsten Stellen selbst erkunden. Dabei wurde Hervorragen-
des geleistet. Alle Truppentagebücher berichten von ganz
besonders schneidigen erfolgreichen Erkundungen. Deren
Ergebnis wurde den Truppen rechtzeitig zugänglich gemacht.
Danach befanden sich auf der östlichen Flußseite nur noch
in den Uferorten schwache feindliche Sicherungstruppen.
Die Hauptkräfte der Franzosen, denen scheinbar nur ganz
schwache belgische Abteilungen zur Seite standen, waren in
vorzüglich dem Gelände angepaßten Stellungen nahe dem
westlichen Maaoufer eingebaut. Starke Reserven lagen
in mehreren Lagern auf der Hochfläche von Onhaye in
Senkungen und hinter Waldstücken gut verborgen. Zahl-
reiche ausgedehnte Artilleriestellungen waren ebendort fest-
gestellt. Die Maaobrücken waren sämtlich noch unversehrt.
Die Haltung der Bevölkerung erschien zuversichtlich,
siegessicher und je näher der Maas um so herausfordernder.
Allnächtlich fanden Schießereien statt. Licht= und Rauch-
signale, Glockenzeichen usw. deuteten auf regen Nachrichten-
verkehr. Vermißte Streifen und Meldegänger, aufgefundene
zum Teil schrecklich verstümmelte Leichen braver Reiter
und Jäger bestätigten die Wahrnehmung von der siets
wachsenden Beteiligung der Gesamtbevölkerung am Wider-
stand. Nichts deutete darauf hin, daß der Feind die starke
Maasfront kampflos zu räumen gedachte.
Die Auffassung der Lage beim Oberkommando der
Z. Armee und dessen Zusammenwirken mit dem Ober-
kommando der 2. Armee
Die Oberste Heeresleitung teilte am 20. August mit,
wie sie die Gruppierung der französischen Heereskräfte
vermutete. An der Maas zwischen Namur und Givet nahm
sie das I. und III., vielleicht auch X. Armeekorps an.
Südlich der Sambre zwischen Namur und Maubeuge
schien der Feind im Anmarsche zu sein, ein bis zwei Armee-
korps bereits in der Nähe der Sambre zwischen Namur
und Charleroi. Westlich der Linie Charleroi—Fumayschienen
drei Armeekorps in der Bewegung nach Norden begriffen,
darunter wahrscheinlich Reservedivisionen, voraussichtlich am
20. August noch nicht bis Philippeville—Aveones gelangt.
Die Stärkeschätzung entsprach hinsichtlich der Anzahl
der feindlichen Divisionen, 14—17, etwa der Wirklichkeit.
Tatsächlich umfaßte die französische fünfte Armee des Gene-
ral Lanrezac das I., III., X. und XVIII. Armeekorps,
dazu drei Reservedivisionen, ferner die Marokkodivision
und das Kavalleriekorps Sordet (drei Divisionen). Hierzu
sind die englische Armece, zunächst nur vier Infanteriedivi-
sionen und eine Kavalleriedivision, und die vierte belgische
Division in Namur noch hinzuzu zählen, so daß an der
Sambre und Maas (bis Givet) den 30 Infanterie= und
fünf Kavalleriedivisionen der deutschen ersien, zweiten und
dritten Armee nur 17 Infanterie= und vier Kavallerie-
divisionen der Westmächte gegenüberstanden, während gleich-
zeitig vier deutsche Reservedivisionen vor Antwerpen die
noch übrigen vier belgischen Divisionen in Schach hielten. —
Am 20. August s Uhr 30 Minuten nachmittags lief ein
Befehl der Obersten Heeresleitung beim Oberkommando
der dritten Armee ein, der in einem seiner Punkte feststellte:
„Es muß den Vereinbarungen der Armee-Oberkommandos
2 und 3 überlassen bleiben, den bevorstehenden Angriff der
zweiten Armee gegen den westlich Namur befindlichen Feind
in Übereinstimmung zu bringen mit dem Angriffe der dritten
Armee gegen die Maaslinie Namur—Givet.“
Darauf funkte das Oberkommando der dritten Armee
an das Oberkommando der zweiten Armee 6 Uhr 40 Minu-
ten abends: „Dritte Armee Vortruppen am 20. Spontin—
Ciergnon, 21. Ostufer Maas, Mont bis Falmignoul. Armee-
stabsquartier Marche. Nachrichtenoffizier unterwegs“, und
erhielt nach solcher Eröffnung des Invernehmentretens
vom Oberkommando der zweiten Armee die in zwei Teilen
aufgegebene Funksprucherwiderung:
„Von der zweiten Armee rücken 21. August zwei Korps
bis Sambre in Linie Chatelet—Jemeppe.“ (Eingegangen am
20. August 11 Uhr 46 Minuten nachts.) und „Zum
Zusammenwirken mit zweiter Armec ist dichtes Herangehen
der dritten Armee an Maasabschnitt dringend erwünscht.“
(Eingegangen 21. August 12 Uhr 40 Minuten früh.).
Diese M Mneilung erreichte das Oberkommando der dritten
Armee lange, nachdem es in Erwägung der Lage eingetreten
war, die sich auf den § Uhr 30 Minuten nachmittags
empfangenen Befehl der Obersten Heeresleitung gründete,
und geraume Zeit nach Aufbruch des behufs Besprechung
der Vereinbarung zum Oberkommando der zweiten Armee
entsendeten Nachrichtenoffiziers. Bei der inzwischen an-
gestellten Beurteilung der Lage war für das Oberkommando
der dritten Armee bindend, daß die Oberste Heeresleitung
es der Vereinbarung der zweiten und dritten Armee über-
ließ, den bevorstehenden Angriff dieser Armeen in Uberein-
stimmung zu bringen. Damit verzichtete die Oberste Heeres-
leitung darauf, das Zusammenwirken der beiden Armeen
selbst zu regeln und Fingerzeige zu geben, in welcher Rich-
tung der entscheidungsuchende Stoß geführt werden möchte.
Aus der bekanntgegebenen Gruppierung der französischen
Heereskräfte war zu entnehmen, daß die dritte Armee mit
einem vielleicht numerisch gleichstarken Gegner abzurechnen
haben würde, der schon seit Tagen binter starkem Front-
bindernis in vorbereiteter Stellung sich befand, daß die
zweite Armee aber zunächst nur auf ein oder zwei Armee-
korpo an der Sambrestrecke Charleroi—Namur stieß,
deren Zahl sich durch den Zuzug der über Philippeville—
Avesnes erwarteten Armceekorps, etwa vom 22. August an
bis auf fünf erhöhen konnte. Besaß die zweite Armee in
ihrer Schlagbereitschaft, wie es dem Oberkommando der
dritten Armee schien, einen Vorsprung in der Entwicklung
vor dem ihr entgegentretenden Feinde, dann war es nach
Ansicht des Oberkommandos der dritten Armee geboten,
die taktischen Vorteile auszunutzen und unverzüglich mit
der zweiten Armee die Entscheidung zu suchen, während die
dritte Armee den an der Maas bei Dinant angetroffenen
französischen Heeresteil angriff, allerdings nicht bloß, um
ihn festzuhalten, sondern auch, um die Möglichkeit zu ge-
winnen, auf die rückwärtigen Verbindungen der mit der
zweiten Armee kämpfenden feindlichen Heeresgruppe ein-
zuwirken.
Andererseits sagte sich dav Oberkommando der dritten
Armee, daß die Richtung des von der zweiten Armee
südwärts geführten Entscheidungsstoßeo nicht den gleich
kraftvollen Keim für einen strategischen Erfolg in sich trüge,
den eine von Ost nach West durch die dritte Armee geführte
entscheidungsuchende Offensive in sich barg. Gelänge es