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tillerie. Der Hafenplatz Libau, bereits vor dem Kriege als
Kriegshafen aufgegeben, war immerhin mit guten Außen-
forts ausgestattet. Leistungsfähige Vollbahnen gestatteten
von Riga und Wilna aus beliebige Truppenverschiebungen
selbst größten Stils. Die Russen haben in der Folgezeit
weitesten Gebrauch davon gemacht.
Zunächst täuschte sich die russische Heeresleitung wohl
über die Bedeutung des deutschen Einfalls. Sie sah in ihm
nur ein Reiterunternehmen zur Vergeltung für den Russen-
zug nach Memel. Erst der Widerstand und die Gegenstöße
gegen ihre sofort herangeführten Verstärkungen belehrten
sie eines anderen.
Die Aufgabe, welche der Generalfeldmarschall den deut-
schen Einfalltruppen zunächst stellte, war die Besetzung der
Dubissalinie und Einnahme von Libau. Sie wurde dem
Generalleutnant v. Lauenstein übertragen. Mit echt Hinden-
burgscher Plötzlichkeit war die Einfalltruppe in wenigen
Tagen gesammelt und gruppiert sowie alles Nötige vor-
gesorgt, wozu auch die Verabredung mit den Ostseestreit-
kräften unserer Marine gehörte.
Am 27. April lols begann der Einmarsch, zunächst aus
den äußersien Flanbenstellungen diesseits der Landesgrenze.
Rechts ging eine Kolonne von Schmalleningken über die
Memel vor, legte gleich am ersten Tage mit der Infanterie
50 Kilometer zurück und erreichte mit der Kavallerie das
rechte Dubissaufer nördlich von Nossienie. Die linke Ko-
lonne ging von Bajohren nördlich von Memel über Kor-
ziany vor, wo sie den ersten Widerstand schnell brach, und
bezwang schon am ersten Tage den Miniaabschnitt trotz
Verteidigung deoselben mit schwerer russischer Artillerie.
Eine mittlere Kolonne ging langsamer vor. Die Wege
waren Ende April kaum benutzbar, seitwärts derselben war
die Vorwärtsbewegung nahezu unmöglich.
Der Feind entzog sich der Flankenbedrohung durch schleu-
nigsten Abmarsch auf Kielmy—Schaulen. Aber schon am
zweiten Tage abends traf die Mittelkolonne vor Kielmy
ein, 75 Kilometer, gleichzeitig die linke Kolonne mit ihrer
Kavallerie bei Worny an der Seenlinie westlich Kielmy.
Tags darauf erreichte die rechte Kolonne den Windaukanal,
und die linke Kolonne griff mit ihrer Kavallerie bereits
bis Trischki, 40 Kilometer westlich von Schaulen, herum.
So waren in drei Tagen loo Kilometer nach vorwärte trotz
der entsetzlichen Wegeverhältnisse gewonnen worden.
Die Russen zogen mit der Bahn schleunigst nach Szadow
und Schaulen Verstärkungen heran, aber die deutsche Kaval-
lerie zerstörte die Anfuhrbahnen, und am vierten Tage, am
30. April, besetzte die deutsche rechte Kolonne Schaulen und
nahm die ellends auf Mitau fliehenden russischen Kolonnen
und Trains gefangen. Vom Beginn des Monats Mai ab
machte sich eine neue feindliche Truppenmacht bemerkbar,
die von Kowno mit der Bahn herangeführt worden war.
Gegen sie zog sich die Infanterie des deutschen Einfall-
korps an der Dubissa zusammen. ODie deutsche Kavallerie
setzte währenddem die Streife nordwärts fort und gelangte
bis auf 6 Meilen an Mitan heran, die Flucht des Feindes
allmählich in Auflösung verwandelnd. Am 2. Mai hob
sie größere Scharen von Versprengten bei Skaiogiry —
über 1000 Gefangene — auf, dann eilte sie an die Dubissa
ihrer Infanterie zu Hilfe. Nur die Kavallerie der linben
Kolonne setzte bio 2 Kilometer an Mitau heran den Sturm-
ritt fort.
An der Dubissa suchte der Feind vergeblich die vermeintlich
nur schwache deutsche Infanterie zu werfen. Immer neue
Kräfte mußte er zu ihrer Bekämpfung heranführen.
Währenddem fiel, eine neue unliebsame Uberraschung für
die Russen, Libau in deutsche Hand. Eine weitere deutsche
Nebenabteilung war in zwei Kolonnen von der Reichsgrenze
aus entlang dem Meere und weiter östlich über Schkudy auf
Libau vorgerückt. Dessen Besatzung, eingeschüchtert durch
eine kräftige Beschießung von der See her, die am 29. April
einsetzte, sprengte am 6. Mai die Landforts und entfloh.
So fiel am 8. Mai die frühere Festung Libau mit 1800
Gefangenen, 12 Geschützen und wertvollen Vorräten in
deutsche Hand.
Schnell wurden deutscherseits Sicherungen etwa 50 Kilo-
meter bis zu dem Bogen Prekuln —Hasenpot— Küste vor-
geschoben und Libau stark gegen die Landseite ausgebaut.
In kaum 14 Tagen war die feindliche Seefestung und der
als solcher noch viel wichtigere Handelshafen Libau sowie
dessen reiches Hinterland mit den sehr erwünschten Vor-
räten an Getreide, Futter, Leder und Kriegöogerät bis heran
an die Dubissa und die Windau erobert.
Der Feind war gezwungen worden, immer größere Trup-
penmassen von der Hauptentscheidung weg nach dem Nor-
den zu ziehen, völlig im unklaren und immer mehr beunruhigt
über Hindenburgs Ziele in Kurland. Vor diesen russischen
Verstärkungen ging die deutsche Kavallerie allmählich auf
die Infanteriestellungen an der Dubissa und Windau zurück.
Nachund nachgestalteten sich die Kämpfe an der Dubissa immer
ernster. Auf deutscher Seite wurden sie zunächst abwehrend
mit zahlreichen kräftigen Gegenstößen geführt. Am 22. Mai
versuchte eine neu herangeführte russische Kerntruppe, die
1. kaukasische Schützendivision (4 Regimenter) mit der 15.
Kavalleriedivision zusammen auf Nossienie durchzubrechen.
Über die Dubissa zunächst vorgelassen, wurde sie am 24. Mai
nach Hindenburgscher Art umwickelt. Nur Trümmer retteten
sich über den Fluß zurück. In ähnlicher Weise mußte sich
die deutsche Verteidigung während des Mai an der Windau
gegen die immer stärker anwachsenden russischen Kräft
wehren.
Anfang Juni war dann die vom Generalfeldmarschall
v. Hindenburg inzwischen bereitgestellte neue Armee unter
dem General v. Below, welche den Namen der ruhmbedeckten
alten „Niemen“armee fortführte, in der Lage, die deutsche
Offensive weiter vorzutragen. Zunächst drang der rechte Fll-
gel der Niemenarmee über die Dubissa vor, die Mitte erzwang
den Ubergang über den Windaukanal und warf die starke
russische Hauptmacht, welche südlich und westlich von Schau-
len wacker standhielt, in schweren Kämpfen bei Bubie und
Kuze (südlich bzw. westlich von Schaulen) in der Zeit vom
12. bis 14. Juni über Schaulen hinaus zurück.
Das war kurz die Lage, welche die sächsische Kavallerie=
division im Juni lols bei ihrem Einrücken in Kurland
vorfand.