Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

daß die Ausgabestellen nur zu häufig infolge der Bewegun- 
gen der Truppen verlegt werden mußten, aber nicht nach 
vorwärts, sondern nach seitwärts. Deshalb mußten die 
unterwegs befindlichen Kolonnen nur zu oft auf unglaub- 
lich sehlechten Nebenwegen umgeleitet werden und verloren 
oft Tage, ganz abgesehen von der schmerzlichen Vergeudung 
an Pferdekräften. Das Teiten und Umleiten der zahlreichen 
Kolonnen mußte fast stets durch Meldereiter, oft ohne 
Karte, bewerkstelligt werden, da die Fernsprechverbindungen, 
welche aus Mangel an Draht und Personal meist nur aus 
einer einzigen Leitung für vier oder mehr Divisionen be- 
standen, naturgemäß stets mit Gesprächen der Operations= 
abteilungen belegt waren. 
Da diese ungeheuren Leistungen der Kolonnen einen Aus- 
fall von fast ein Drittel aller Pferde erbrachten, so mußten 
die Kolonnen noch täglich neben ihren Marschleistungen Bei- 
treibungen von Pferden vornehmen. Es bam schließfich so 
weit, daß Anfang Obtober von 48 Wagen einer Fuhrpark- 
kolonne nur noch 25 Wagen bewegungsfähig waren. 
Erst wenn man alle diese Schwierigkeiten berückfcchtigt, 
vermag man sich ein richtiges Bild von der großen Leistung 
zu machen, welche die Deutschen auch in diesem Abschnitt 
des Krieges bewältigt haben. 
Das direkte Ergebnic des Wilnafeldzugs war: 
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Kurland und Litauen in deutscher Hand, die Widerstands- 
kraft des russischen Riesenreichs auf die nächsten 10 Monate 
lahmgelegt, das militärische Ubergewicht der Mittelmächte 
trotz des Treubruchs Italiens so gewaltig gehoben, daß Bul- 
garien die Stunde gekommen erachtete, um sich offen auf 
seiten der Mittelmächte zu schlagen, und Rumänien vor offe- 
ner Kampfansage zurückschreckte, das war das stolze Er- 
gebnis des Russenfeldzugs von 1915. 
Ob die völlige Zertrümmerung der russischen Kriegosmacht 
mit einem Sonderfrieden im Gefolge erreichbar war, wird 
erst zu ermessen sein, wenn über die Oberste Leitung des 
Riesenunternehmens durch Offnung der Archive der Mittel- 
mächte Klarheit gewonnen ist. 
Vielleicht wäre mehr erreicht worden, wenn dem gewal- 
tigen Feldherrngenie, das die Vorsehung dem deutschen Volke 
in Hindenburg in Not und Drang gesandt hatte, mehr Ein- 
fluß auf die Gesamtoperation zugestanden worden wäre. Das 
war die Empfindung von Heer und Heimat damals. Als 
endlich in der schweren Bedrängnis späterer Kriegszeit dem 
Generalfeldmarschall von Hindenburg die Gesamtleitung des 
Kriegs übertragen wurde, da war es, wie stets in dem un- 
glücklichen Schicksalskampf des deutschen Volkes, zu spät 
fuͤr das herrliche deutsche Volk, das auf den Siegeöfeldern 
von vier Kriegsjahren sich langsam totsiegte. 
Das Gesamtergebnis des Hindenburgschen Sommerfeldzugs 1015 
Bei dem Sturmzug von der Ostpreußengrenze bie tief 
nach Rußland hinein haben die Hindenburger von Memel 
bis zur Düna westlich von Mitau wiederum mehr als 400 
Kilometer, auf dem rechten Flügel von der Drewenz bis zur 
Beresina sogar mehr als so0 Kilometer zurückgelegt, dabei 
in fast ununterbrochenen Kämpfen die vier= bis fünffach 
überlegene russische Feldarmee niedergekämpft und ihres 
Rüstzeugs beraubt, das die Industrie des ganzen gegen 
Deutschland aufgebotenen Erdballes geschaffen hatte. Zahl- 
reiche Truppenkörper der Hindenburger hatten im Spät- 
berbst vorher an den Polenfeldzügen teilgenommen, und 
eilten in alter Frische nachher über die Donau durch Serbien 
hindurch über die wilden Gebirge der Balkanhalbinsel hinter 
den heimatflüchtigen Serben her und stellten später wieder 
voll ihren Mann auf den furchtbaren Schlachtfeldern an 
der Somme im Sommer 1916 und in Flandern 1917. Das 
hat „der Geist von 1914 und 1915“ vollbracht, dessen Er- 
haltung der Generalfeldmarschall dem deutschen Krieger 
so dringend ans Herz gelegt hat. „Nichts Gewaltigeres gibt 
es als der Mensch,“ so hat der griechische Dichter vor mehr 
als 2000 Jahren gesungen. Nichts Größeres gibt es, als 
das deutsche Volk im Weltkrieg. Um so furchtbarer wirkte 
später der Sturz von der von keinem Heldenvolk des Erd- 
balls erreichten Höhe kriegerischen Ruhms, nachdem der 
bleiche Hunger die Willensstärke und Lebenskraft des deut- 
schen Volkes aus Mark und Knochen gesogen hatte. 
Dem überwältigenden sittlichen Eindruck, den lols der 
deutsche Sieg über Rußlands Feldheere auf die ganze Mit- 
welt sichtlich machte, entsprachen der materielle Erfolg und 
die rein militarische Leistung der verbündeten Mittel- 
mächte. 
Der Vergleich mit Bekanntem veranschaulicht am besten 
kriegerische Leistungen. Die Hindenburgfront betrug bei Be- 
ginn des Jahres 1915 etwa 900 Kilometer von der Milica 
bis zum Memel, also 300 Kilometer mehr als die ge- 
samte Wesifront. Die Hauptkampffront von der Weich- 
sel bei Plock bic zum Memelstrom bei Nagnit betrug 
fast 400 Kilometer, entsprach also etwa der deutschen West- 
front von der Meeresküste bei Nieuport bis zur Mosel südlich 
von Metz. Im Wesien bildete die deutsche Feldstellung in 
diesem Raume einen starren Abwehrwall, an dem die an 
Zahl weit überlegenen Feinde zwei volle Jahre lang bald 
bier, bald da vergebens ihr Glück versucht haben. An der 
Grenze von Ostpreußen bildete die Hindenburgfront elastische 
Abwehrzonen, denen die Feldstellung beiderseits der masu- 
rischen Seen den Rückhalt gab. Kühne Ausfälle führten die 
Hindenburgarmeen im Oktober 1914 bis an den Niemen 
bei Grodno, an den Bobr bei Osowiec und an die Weichsel 
bei Plock. Dann ließen sie sich wieder bis zur eigenen Auf- 
nahmestellung langsam zurücktragen, dabei riesige Massen 
des russischen Feldheeres auf sich ziehend, die an entschei- 
dender Stelle dann fehlten. 
Nach ganz kurzer Winterruhe fielen im Februar 1915 
die Hindenburgarmeen an der Ostpreußenfront über die 
800 000 Russen her, die der Zauber des Feldherrn Hinden- 
burg vor der Ostfront gebannt hielt. Die Winterschlacht in 
Masuren und der Heldenkampf der Gallwitzarmee am Orzyc- 
bogen bildeten dabei ein strategisches Ganzes. Nur dieses 
Zusammenwirken ermöglichte die Riesenerfolge. Das wie- 
derholte sich mehrfach bio zum ruhmvollen Ende im Sep- 
tember lous. Wo der Entscheidungskampf fiel, dort war 
die örtliche Uberlegenheit durch den Feldherrn Hindenburg 
gesichert. Aber auch die anderen Teile der Hindenburgfront 
hatten durch um so kühnere Tätigkeit vollsten Anteil an dem 
Sieg, der fern von ihnen errungen wurde. Jeder Mann in 
der Front fühlte das, gab sein Bestes her und Höchstleistun- 
gen menschlicher Kraft waren immer von neuem die von 
der gesamten Mitwelt bestaunten Ergebnisse. Es war Hin- 
denburgscher Geist, der, von den Hindenburgschlachtfeldern 
ausstrahlend, die Deutschen über die winterlichen Karpathen, 
über den sturmbewegten Donaustrom, über die verschneiten 
Gebirge in Serbien und schließlich über die Alpen nach 
Italien geführt hat. Das gilt es festzuhalten und zu be- 
wahren. Das ist mehr wert als die Länder, die erobert, als 
die Trophäen, die auf den Schlachtfeldern erkämpft wor- 
den sind. 
Das ist der Geist von 1914 und lols, den wir in und 
in Deutschlands tiefster Not und Verskladung allmählich 
wieder erneuern müssen. Erst wenn die Geschichte Auf- 
blärung über die Stärkeverhältnisse hüben und drüben
	        
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