daß die Ausgabestellen nur zu häufig infolge der Bewegun-
gen der Truppen verlegt werden mußten, aber nicht nach
vorwärts, sondern nach seitwärts. Deshalb mußten die
unterwegs befindlichen Kolonnen nur zu oft auf unglaub-
lich sehlechten Nebenwegen umgeleitet werden und verloren
oft Tage, ganz abgesehen von der schmerzlichen Vergeudung
an Pferdekräften. Das Teiten und Umleiten der zahlreichen
Kolonnen mußte fast stets durch Meldereiter, oft ohne
Karte, bewerkstelligt werden, da die Fernsprechverbindungen,
welche aus Mangel an Draht und Personal meist nur aus
einer einzigen Leitung für vier oder mehr Divisionen be-
standen, naturgemäß stets mit Gesprächen der Operations=
abteilungen belegt waren.
Da diese ungeheuren Leistungen der Kolonnen einen Aus-
fall von fast ein Drittel aller Pferde erbrachten, so mußten
die Kolonnen noch täglich neben ihren Marschleistungen Bei-
treibungen von Pferden vornehmen. Es bam schließfich so
weit, daß Anfang Obtober von 48 Wagen einer Fuhrpark-
kolonne nur noch 25 Wagen bewegungsfähig waren.
Erst wenn man alle diese Schwierigkeiten berückfcchtigt,
vermag man sich ein richtiges Bild von der großen Leistung
zu machen, welche die Deutschen auch in diesem Abschnitt
des Krieges bewältigt haben.
Das direkte Ergebnic des Wilnafeldzugs war:
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Kurland und Litauen in deutscher Hand, die Widerstands-
kraft des russischen Riesenreichs auf die nächsten 10 Monate
lahmgelegt, das militärische Ubergewicht der Mittelmächte
trotz des Treubruchs Italiens so gewaltig gehoben, daß Bul-
garien die Stunde gekommen erachtete, um sich offen auf
seiten der Mittelmächte zu schlagen, und Rumänien vor offe-
ner Kampfansage zurückschreckte, das war das stolze Er-
gebnis des Russenfeldzugs von 1915.
Ob die völlige Zertrümmerung der russischen Kriegosmacht
mit einem Sonderfrieden im Gefolge erreichbar war, wird
erst zu ermessen sein, wenn über die Oberste Leitung des
Riesenunternehmens durch Offnung der Archive der Mittel-
mächte Klarheit gewonnen ist.
Vielleicht wäre mehr erreicht worden, wenn dem gewal-
tigen Feldherrngenie, das die Vorsehung dem deutschen Volke
in Hindenburg in Not und Drang gesandt hatte, mehr Ein-
fluß auf die Gesamtoperation zugestanden worden wäre. Das
war die Empfindung von Heer und Heimat damals. Als
endlich in der schweren Bedrängnis späterer Kriegszeit dem
Generalfeldmarschall von Hindenburg die Gesamtleitung des
Kriegs übertragen wurde, da war es, wie stets in dem un-
glücklichen Schicksalskampf des deutschen Volkes, zu spät
fuͤr das herrliche deutsche Volk, das auf den Siegeöfeldern
von vier Kriegsjahren sich langsam totsiegte.
Das Gesamtergebnis des Hindenburgschen Sommerfeldzugs 1015
Bei dem Sturmzug von der Ostpreußengrenze bie tief
nach Rußland hinein haben die Hindenburger von Memel
bis zur Düna westlich von Mitau wiederum mehr als 400
Kilometer, auf dem rechten Flügel von der Drewenz bis zur
Beresina sogar mehr als so0 Kilometer zurückgelegt, dabei
in fast ununterbrochenen Kämpfen die vier= bis fünffach
überlegene russische Feldarmee niedergekämpft und ihres
Rüstzeugs beraubt, das die Industrie des ganzen gegen
Deutschland aufgebotenen Erdballes geschaffen hatte. Zahl-
reiche Truppenkörper der Hindenburger hatten im Spät-
berbst vorher an den Polenfeldzügen teilgenommen, und
eilten in alter Frische nachher über die Donau durch Serbien
hindurch über die wilden Gebirge der Balkanhalbinsel hinter
den heimatflüchtigen Serben her und stellten später wieder
voll ihren Mann auf den furchtbaren Schlachtfeldern an
der Somme im Sommer 1916 und in Flandern 1917. Das
hat „der Geist von 1914 und 1915“ vollbracht, dessen Er-
haltung der Generalfeldmarschall dem deutschen Krieger
so dringend ans Herz gelegt hat. „Nichts Gewaltigeres gibt
es als der Mensch,“ so hat der griechische Dichter vor mehr
als 2000 Jahren gesungen. Nichts Größeres gibt es, als
das deutsche Volk im Weltkrieg. Um so furchtbarer wirkte
später der Sturz von der von keinem Heldenvolk des Erd-
balls erreichten Höhe kriegerischen Ruhms, nachdem der
bleiche Hunger die Willensstärke und Lebenskraft des deut-
schen Volkes aus Mark und Knochen gesogen hatte.
Dem überwältigenden sittlichen Eindruck, den lols der
deutsche Sieg über Rußlands Feldheere auf die ganze Mit-
welt sichtlich machte, entsprachen der materielle Erfolg und
die rein militarische Leistung der verbündeten Mittel-
mächte.
Der Vergleich mit Bekanntem veranschaulicht am besten
kriegerische Leistungen. Die Hindenburgfront betrug bei Be-
ginn des Jahres 1915 etwa 900 Kilometer von der Milica
bis zum Memel, also 300 Kilometer mehr als die ge-
samte Wesifront. Die Hauptkampffront von der Weich-
sel bei Plock bic zum Memelstrom bei Nagnit betrug
fast 400 Kilometer, entsprach also etwa der deutschen West-
front von der Meeresküste bei Nieuport bis zur Mosel südlich
von Metz. Im Wesien bildete die deutsche Feldstellung in
diesem Raume einen starren Abwehrwall, an dem die an
Zahl weit überlegenen Feinde zwei volle Jahre lang bald
bier, bald da vergebens ihr Glück versucht haben. An der
Grenze von Ostpreußen bildete die Hindenburgfront elastische
Abwehrzonen, denen die Feldstellung beiderseits der masu-
rischen Seen den Rückhalt gab. Kühne Ausfälle führten die
Hindenburgarmeen im Oktober 1914 bis an den Niemen
bei Grodno, an den Bobr bei Osowiec und an die Weichsel
bei Plock. Dann ließen sie sich wieder bis zur eigenen Auf-
nahmestellung langsam zurücktragen, dabei riesige Massen
des russischen Feldheeres auf sich ziehend, die an entschei-
dender Stelle dann fehlten.
Nach ganz kurzer Winterruhe fielen im Februar 1915
die Hindenburgarmeen an der Ostpreußenfront über die
800 000 Russen her, die der Zauber des Feldherrn Hinden-
burg vor der Ostfront gebannt hielt. Die Winterschlacht in
Masuren und der Heldenkampf der Gallwitzarmee am Orzyc-
bogen bildeten dabei ein strategisches Ganzes. Nur dieses
Zusammenwirken ermöglichte die Riesenerfolge. Das wie-
derholte sich mehrfach bio zum ruhmvollen Ende im Sep-
tember lous. Wo der Entscheidungskampf fiel, dort war
die örtliche Uberlegenheit durch den Feldherrn Hindenburg
gesichert. Aber auch die anderen Teile der Hindenburgfront
hatten durch um so kühnere Tätigkeit vollsten Anteil an dem
Sieg, der fern von ihnen errungen wurde. Jeder Mann in
der Front fühlte das, gab sein Bestes her und Höchstleistun-
gen menschlicher Kraft waren immer von neuem die von
der gesamten Mitwelt bestaunten Ergebnisse. Es war Hin-
denburgscher Geist, der, von den Hindenburgschlachtfeldern
ausstrahlend, die Deutschen über die winterlichen Karpathen,
über den sturmbewegten Donaustrom, über die verschneiten
Gebirge in Serbien und schließlich über die Alpen nach
Italien geführt hat. Das gilt es festzuhalten und zu be-
wahren. Das ist mehr wert als die Länder, die erobert, als
die Trophäen, die auf den Schlachtfeldern erkämpft wor-
den sind.
Das ist der Geist von 1914 und lols, den wir in und
in Deutschlands tiefster Not und Verskladung allmählich
wieder erneuern müssen. Erst wenn die Geschichte Auf-
blärung über die Stärkeverhältnisse hüben und drüben