Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

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In früheren Kriegen bestand der Grundsatz, daß eine 
Beurlaubung von Heeresangehörigen unzulässig sei. Bei 
der langen Dauer des Weltkrieges konnte dieser Grundsatz 
natürlich nicht aufrecht erhalten werden. Jahrelange Tren- 
nung von den Angehörigen mußte notwendig zur Unlust bei 
der Fronttruppe führen. Da man aber andererseits bei der 
Aushebung und Feldverwendung auf Beruf und Familien- 
verhältnisse keine Rücksicht nehmen konnte, mußte eine 
Lockerung der familiären und eine Schädigung der wirtschaft- 
lichen Verhältnisse in der Heimat eintreten. Bereits im 
Jahre 1915 zeigte sich ein erheblicher Mangel an Land- 
arbeitern, der die geordnete Feldbestellung in Frage stellte. 
Man schritt deshalb zunächst zu einer Beurlaubung von in 
der Front befindlichen Landwirten und Landarbeitern und 
hat die Bevorzugung dieser Personenklasse während des 
ganzen Krieges beibehalten. Der beabsichtigte Erfolg wurde 
annähernd erreicht: die Volkoernährung, soweit sie sich auf 
Landwirtschaft und Gemüsebau stützte, wurde sichergestellt. 
Bevorzugt wurden ferner selbständige Geschäftsleute und 
Fabrikanten, deren dauernde Abwesenheit von der Heimat 
den Untergang ihres Unternehmens zur Folge gehabt hätte. 
Daß auch zahllose Gesuche um Beurlaubung von Familien= 
vätern an das Kriegsministerium gelangten, darf nicht un- 
erwähnt bleiben. Die staatserhaltende Bedeutung des 
Zweckes, den die Antragsteller — meist die Ehefrauen — 
mit ihren Gesuchen verfolgten, wurde nicht verkannt und 
den Wünschen nach Möglichkeit stattgegeben. — Leitender 
  
Grundsatz wurde schließlich, daß jeder Angehörige des Feld- 
heeres mindestens einmal im Jahre einen ausreichenden 
Heimaturlaub erhalten sollte. Die dadurch erzielte Er- 
haltung der Kampffreudigkeit hat die unvermeidliche Schwä- 
chung der Kampffront wie die Belastung der Eisenbahnen 
sicher aufgewogen. 
Die Beförderungsverhältnisse der Unteroffiziere 
und Mannschaften brachten manche Fragen mit sich, die nach 
den ursprünglichen Kriegsb nicht 
zu entscheiden waren. Erst im Iahre 1917 erschienen neue 
Die Hauptschwierig- 
* bot der Auögleich zwischen den Beförderungsverhältnissen 
bei der Fronttruppe und den Ersatzformationen. Daß man 
bei den letzteren rascher etwas „werden“ konnte als bei 
der ersteren, wurde mit Recht als unbillig empfunden. Im 
zweiten Falle mußten die friedensmäßigen zeitlichen Zwi- 
schenräume zwischen den einzelnen Rangstufen abgekürzt, 
im ersten mußte die Bewährung vor dem Feinde als Faktor 
berücksichtigt werden. 
Das Erfordernis der Heiratserlaubnis für Mann- 
schaften, die ihrer aktiven Dienstpflicht genügt hatten, aus 
Anlaß des Krieges aber nicht zur Reserve übertreten konnten, 
wurde fallen gelassen. Personen des aktiven Standes und 
Wehrpflichtige, die zur Fahne einberufen waren, konnten 
vom Aufgebot befreit werden. Durch die sogenannten 
Kriegstrauungen, die in nicht festzustellender Jahl statt- 
fanden, wurde der Ehefrau der Anspruch auf Löhnungs-= 
zuschuß bzw. Familienunterstützung und, im Falle des Todes 
des Mannes, auf Hinterbliebenenrente gesichert. 
Während sich bei den Feldtruppenteilen meist genügend 
Personen befanden, die der Sprache des Landes, in dem 
sich der Truppenteil gerade befand, mächtig waren und somit 
als D olmets cher dienen konnten, mußte das Dolmetscher= 
wesen im Etappen= und Heimatgebiete erst besonders ge- 
regelt werden. Das Angebot von sprachkundigen Personen 
männlichen und weiblichen Geschlechtes war außerordentlich 
stark, so daß der Bedarf für die Uberwachung des Tele- 
graphen= und Posiverkehrs und die Verständigung mit den 
in unerwartet großer Zahl ins Land strömenden Kriegs- 
gefangenen bald gedeckt war. Es stellte sich aber bald heraus, 
daß einesteils viele freiwillige Dolmetscher ihrer Aufgabe 
nicht voll gewachsen waren, andernteils eine große Zahl unter 
ihnen zum Dienst mit der Waffe benötigt wurde. Man kam 
deshalb allmählich auf eine Zentralisierung zu und forderte 
die Ablegung einer Prüfung bei der Dolmetscherschule in 
Berlin. 
Zu den Obliegenheiten der Abteilung J gehörte es auch, 
sich mit den Gründen und Umständen von Selbstmorden 
und Selbstmordversuchen Heeresangehöriger zu be- 
fassen. Als Gründe — wo solche überhaupt zu ermitteln 
waren, — haben sich (ich zitiere der Reihe nach, der 
Heufigkeit ihres Auftretens entsprechend) ergeben: Schwer- 
mut, mißliche häusliche Verhältnisse, Furcht vor Strafe, 
Krankheit, Liebeskummer; auch kamen zwei Fälle von 
Selbstmorden vor, weil die Betreffenden aus irgendeinem 
Grunde nicht ins Feld geschickt werden bonnten. 
Ungeahnte Aufgaben erwuchsen dem Kriegsministerium 
ferner durch die Entwicklung des Kriegsvermessungs= 
wesens bei Eintritt in den Stellungskrieg. Zunächst behalf 
man sich, indem man das Personal der Landesaufnahme 
sowohl bei den preußischen Vermessungsabteilungen wie bei 
den sächsischen XII. und XIX. verwandte. Die beiden letz- 
teren wurden im Frühjahr 1917 als rein sächsische Forma- 
tionen erklärt. Anträge aus dem Felde wegen Gestellung 
von Ersatz an Personal und Gerät gingen an die Abteilung 1 
des Kriegsministeriums. Zur Heranbildung von Fachleuten, 
die den vollständig neuen Aufgaben des Kriegsvermessungs- 
wesens gewachsen waren, wurden bei der kgl. preußischen 
Lande#aufnahme Lehrkurse eingerichtet, deren Teilnehmer 
sofortige Verwendung im Felde fanden, indem sie entweder 
den inzwischen aufgestellten „Feldvermessungstruppen“ der 
einzelnen Armeen oder — als Photogrammeter — den 
Fliegerabteilungen zugewiesen wurden. Aber auch diese Form 
der Verwendung entsprach auf die Dauer nicht den An- 
forderungen des Stellungskrieges. Man schritt deshalb zur 
Bildung von „Vermessungsabteilungen“. Ihre Leistungs- 
fähigkeit war erst gewährleistet, nachdem für sie Stärke- 
nachweisungen sowie eine Dienstanweisung geschaffen und 
die Grundsätze für Personalersatz und Anschaffung von 
Maschinen, Geräten und Verbrauchsgegenständen aufgestellt 
waren. Die Vermessungsabteilung Nr. 12 fand bei der 
zweiten, Nr. 19 bei der dritten Armee Verwendung. Wäh- 
rend bisher die Ausbildung des technischen Personals, die 
hier wie nirgend sonst der größten Sorgfalt bedurfte, den 
Vermessungsabteilungen selbst oblag, wurde sie im Jahre 
1917 der Abteilung für Landesaufnahme als Ersatzbehörde 
für das sächsische Vermessungspersonal übertragen. Bei 
der im gleichen Jahre errichteten „Obersten militärischen 
Vermessungsstelle im Deutschen Reiche und in seinen Schutz- 
gebieten“ war Sachsen durch einen Offizier vertreten. 
Die Versorgung des Heeres mit Lesestoff lag 
in den Händen des „Sächsischen Landesausschusses für die 
Versorgung der Truppen mit Lesestoff“; durch ihn wurden 
alle vierzehn Tage 40 Ooo Stück der vom Prinzen Johann 
Georg ins Leben gerufenen Bilderzeitschrift „Sachsen im 
Feld und in der Heimat“ ins Feld gesandt. Das Kriegs- 
ministerium vermittelte die Verteilung von je 40 Ooo Stück 
der periodisch erscheinenden Feldausgabe der Militärvereins= 
zeitschrift „Der Kamerad“. Die Jahl der vom Landesaus- 
schuß gesammelten und an einzelne Heeresangehörige wie 
Truppenteile versandten belehrenden und unterhaltenden 
Bücher ist Legion. Außerdem wurden einige fahrbare Feld- 
büchereien geschaffen. 
Schließlich waren der Abteilung 1 noch die Maßnahmen 
der Herstellung und Verteilung eines Gedenkblattes für 
Angehörige gefallener Krieger übertragen. Aus der Zahl der 
eingereichten Entwürfe gelangte der des Professors Franz 
Hein zur Ausführung. Die Bestimmung, daß das Gedenk- 
blatt nur an Angehörige von im Kampfe Gefallenen oder 
infolge der Kämpfe Gestorbenen verliehen werden sollte, 
wurde im Laufe des Krieges dahin abgeändert, daß auch
	        
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