322
In früheren Kriegen bestand der Grundsatz, daß eine
Beurlaubung von Heeresangehörigen unzulässig sei. Bei
der langen Dauer des Weltkrieges konnte dieser Grundsatz
natürlich nicht aufrecht erhalten werden. Jahrelange Tren-
nung von den Angehörigen mußte notwendig zur Unlust bei
der Fronttruppe führen. Da man aber andererseits bei der
Aushebung und Feldverwendung auf Beruf und Familien-
verhältnisse keine Rücksicht nehmen konnte, mußte eine
Lockerung der familiären und eine Schädigung der wirtschaft-
lichen Verhältnisse in der Heimat eintreten. Bereits im
Jahre 1915 zeigte sich ein erheblicher Mangel an Land-
arbeitern, der die geordnete Feldbestellung in Frage stellte.
Man schritt deshalb zunächst zu einer Beurlaubung von in
der Front befindlichen Landwirten und Landarbeitern und
hat die Bevorzugung dieser Personenklasse während des
ganzen Krieges beibehalten. Der beabsichtigte Erfolg wurde
annähernd erreicht: die Volkoernährung, soweit sie sich auf
Landwirtschaft und Gemüsebau stützte, wurde sichergestellt.
Bevorzugt wurden ferner selbständige Geschäftsleute und
Fabrikanten, deren dauernde Abwesenheit von der Heimat
den Untergang ihres Unternehmens zur Folge gehabt hätte.
Daß auch zahllose Gesuche um Beurlaubung von Familien=
vätern an das Kriegsministerium gelangten, darf nicht un-
erwähnt bleiben. Die staatserhaltende Bedeutung des
Zweckes, den die Antragsteller — meist die Ehefrauen —
mit ihren Gesuchen verfolgten, wurde nicht verkannt und
den Wünschen nach Möglichkeit stattgegeben. — Leitender
Grundsatz wurde schließlich, daß jeder Angehörige des Feld-
heeres mindestens einmal im Jahre einen ausreichenden
Heimaturlaub erhalten sollte. Die dadurch erzielte Er-
haltung der Kampffreudigkeit hat die unvermeidliche Schwä-
chung der Kampffront wie die Belastung der Eisenbahnen
sicher aufgewogen.
Die Beförderungsverhältnisse der Unteroffiziere
und Mannschaften brachten manche Fragen mit sich, die nach
den ursprünglichen Kriegsb nicht
zu entscheiden waren. Erst im Iahre 1917 erschienen neue
Die Hauptschwierig-
* bot der Auögleich zwischen den Beförderungsverhältnissen
bei der Fronttruppe und den Ersatzformationen. Daß man
bei den letzteren rascher etwas „werden“ konnte als bei
der ersteren, wurde mit Recht als unbillig empfunden. Im
zweiten Falle mußten die friedensmäßigen zeitlichen Zwi-
schenräume zwischen den einzelnen Rangstufen abgekürzt,
im ersten mußte die Bewährung vor dem Feinde als Faktor
berücksichtigt werden.
Das Erfordernis der Heiratserlaubnis für Mann-
schaften, die ihrer aktiven Dienstpflicht genügt hatten, aus
Anlaß des Krieges aber nicht zur Reserve übertreten konnten,
wurde fallen gelassen. Personen des aktiven Standes und
Wehrpflichtige, die zur Fahne einberufen waren, konnten
vom Aufgebot befreit werden. Durch die sogenannten
Kriegstrauungen, die in nicht festzustellender Jahl statt-
fanden, wurde der Ehefrau der Anspruch auf Löhnungs-=
zuschuß bzw. Familienunterstützung und, im Falle des Todes
des Mannes, auf Hinterbliebenenrente gesichert.
Während sich bei den Feldtruppenteilen meist genügend
Personen befanden, die der Sprache des Landes, in dem
sich der Truppenteil gerade befand, mächtig waren und somit
als D olmets cher dienen konnten, mußte das Dolmetscher=
wesen im Etappen= und Heimatgebiete erst besonders ge-
regelt werden. Das Angebot von sprachkundigen Personen
männlichen und weiblichen Geschlechtes war außerordentlich
stark, so daß der Bedarf für die Uberwachung des Tele-
graphen= und Posiverkehrs und die Verständigung mit den
in unerwartet großer Zahl ins Land strömenden Kriegs-
gefangenen bald gedeckt war. Es stellte sich aber bald heraus,
daß einesteils viele freiwillige Dolmetscher ihrer Aufgabe
nicht voll gewachsen waren, andernteils eine große Zahl unter
ihnen zum Dienst mit der Waffe benötigt wurde. Man kam
deshalb allmählich auf eine Zentralisierung zu und forderte
die Ablegung einer Prüfung bei der Dolmetscherschule in
Berlin.
Zu den Obliegenheiten der Abteilung J gehörte es auch,
sich mit den Gründen und Umständen von Selbstmorden
und Selbstmordversuchen Heeresangehöriger zu be-
fassen. Als Gründe — wo solche überhaupt zu ermitteln
waren, — haben sich (ich zitiere der Reihe nach, der
Heufigkeit ihres Auftretens entsprechend) ergeben: Schwer-
mut, mißliche häusliche Verhältnisse, Furcht vor Strafe,
Krankheit, Liebeskummer; auch kamen zwei Fälle von
Selbstmorden vor, weil die Betreffenden aus irgendeinem
Grunde nicht ins Feld geschickt werden bonnten.
Ungeahnte Aufgaben erwuchsen dem Kriegsministerium
ferner durch die Entwicklung des Kriegsvermessungs=
wesens bei Eintritt in den Stellungskrieg. Zunächst behalf
man sich, indem man das Personal der Landesaufnahme
sowohl bei den preußischen Vermessungsabteilungen wie bei
den sächsischen XII. und XIX. verwandte. Die beiden letz-
teren wurden im Frühjahr 1917 als rein sächsische Forma-
tionen erklärt. Anträge aus dem Felde wegen Gestellung
von Ersatz an Personal und Gerät gingen an die Abteilung 1
des Kriegsministeriums. Zur Heranbildung von Fachleuten,
die den vollständig neuen Aufgaben des Kriegsvermessungs-
wesens gewachsen waren, wurden bei der kgl. preußischen
Lande#aufnahme Lehrkurse eingerichtet, deren Teilnehmer
sofortige Verwendung im Felde fanden, indem sie entweder
den inzwischen aufgestellten „Feldvermessungstruppen“ der
einzelnen Armeen oder — als Photogrammeter — den
Fliegerabteilungen zugewiesen wurden. Aber auch diese Form
der Verwendung entsprach auf die Dauer nicht den An-
forderungen des Stellungskrieges. Man schritt deshalb zur
Bildung von „Vermessungsabteilungen“. Ihre Leistungs-
fähigkeit war erst gewährleistet, nachdem für sie Stärke-
nachweisungen sowie eine Dienstanweisung geschaffen und
die Grundsätze für Personalersatz und Anschaffung von
Maschinen, Geräten und Verbrauchsgegenständen aufgestellt
waren. Die Vermessungsabteilung Nr. 12 fand bei der
zweiten, Nr. 19 bei der dritten Armee Verwendung. Wäh-
rend bisher die Ausbildung des technischen Personals, die
hier wie nirgend sonst der größten Sorgfalt bedurfte, den
Vermessungsabteilungen selbst oblag, wurde sie im Jahre
1917 der Abteilung für Landesaufnahme als Ersatzbehörde
für das sächsische Vermessungspersonal übertragen. Bei
der im gleichen Jahre errichteten „Obersten militärischen
Vermessungsstelle im Deutschen Reiche und in seinen Schutz-
gebieten“ war Sachsen durch einen Offizier vertreten.
Die Versorgung des Heeres mit Lesestoff lag
in den Händen des „Sächsischen Landesausschusses für die
Versorgung der Truppen mit Lesestoff“; durch ihn wurden
alle vierzehn Tage 40 Ooo Stück der vom Prinzen Johann
Georg ins Leben gerufenen Bilderzeitschrift „Sachsen im
Feld und in der Heimat“ ins Feld gesandt. Das Kriegs-
ministerium vermittelte die Verteilung von je 40 Ooo Stück
der periodisch erscheinenden Feldausgabe der Militärvereins=
zeitschrift „Der Kamerad“. Die Jahl der vom Landesaus-
schuß gesammelten und an einzelne Heeresangehörige wie
Truppenteile versandten belehrenden und unterhaltenden
Bücher ist Legion. Außerdem wurden einige fahrbare Feld-
büchereien geschaffen.
Schließlich waren der Abteilung 1 noch die Maßnahmen
der Herstellung und Verteilung eines Gedenkblattes für
Angehörige gefallener Krieger übertragen. Aus der Zahl der
eingereichten Entwürfe gelangte der des Professors Franz
Hein zur Ausführung. Die Bestimmung, daß das Gedenk-
blatt nur an Angehörige von im Kampfe Gefallenen oder
infolge der Kämpfe Gestorbenen verliehen werden sollte,
wurde im Laufe des Krieges dahin abgeändert, daß auch