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sieben Tagen neunundvierzig Verpflegungszüge mit einem
Gesamtinhalt von fast fünfzig Millionen Portionen Ver-
pflegomittel, das sind etwa sechs Millionen Mundportionen,
und außerdem etwa anderthalb Millionen Haferrationen
nach dem Aufmarschgebiet der gegen Serbien kämpfenden
Truppen abgefertigt werden. — Beim Proviantdepot Dres-
den betrug die höchste tägliche Leistung 310 oo Mund-
portionen und 130 O00 Haferrationen. Die Ausnutzung
und Inanspruchnahme der Hilfsmittel, die die besetzten
Gebiete boten, spielten bei der Truppenernährung eine
untergeordnete Rolle.
Bedenkt man, daß sich die Bestimmungen, nach denen sich
die genannten Vorgänge zu vollziehen hatten, nie vorher
erprobt waren, bringt man ferner in Anrechnung, daß für
die Leitung des gewaltigen Apparates von zwölf Friedens-
beamten nur vier für die Verwendung in der Heimat wäh-
rend des Krieges übrig blieben, daß diesen bein geschultes
Personal zur Verfügung stand, sondern nur dreizehn (Mitte
1913 neununddreißig) Beamtenstellvertreter des Beurlaub-
tenstandes mit bloß allgemeiner kaufmännischer und verwal-
tungstechnischer Vorbildung, so wird man dem Geleisteten
seine uneingeschränkte Hochachtung nicht versagen können.
Die Versorgung des Besatzungöoheeres (ein-
schließlich der Lazarette im besebten Gebiet) ging nach
ganz anderen Bestimmungen von statten. Sie vollzog sich
bei weitem nicht so hemmungslos, wie die der Fronttruppen.
Schuld daran waren die lange Zeit vor dem Kriege ver-
fassten, von ertremster Sparsamkeit dibtierten, jede freiere
Betätigung ausschließenden Bestimmungen. Schließlich aber
wurden die Hemmungen und Widerstände überwunden.
Bei der Naturalverpflegung des Besahungsheeres war
keine Vorratswirtschaft möglich; die einzelnen Formationen
deckten ihren Bedarf aus Beköstigungs= und Wirtschafts-
fonds durch Ankauf der Nahrungsmittel bei den Stellen —
Proviantämtern, Nahrungsmittelstellen „ bei denen sie
vom preußischen Kriegoministerium im Benehmen mit den
einelnen Jentralsiellen bereitgestellt waren. Die Abnahme
der im Frieden erbältlichen Lebensmittel, besonders das
bale gänzliche Auobleiben der Kolonialwaren, erschwerten
die Truppenernährungsverhältnisse in hohem Grade; daß
allmählich die militärischen Verpflegsportionen den der
bürgerlichen PBerölkerung gewährten angepaßt werden muß-
ten, gebot die Gerechtigkeit.
Die Verpflegung der Kriegogefangenen, die im
ersten Kriegsjahre bereits nach Hunderttausenden zählten,
brachte Probleme mit sich, deren Lösung in einwandfreier
Weise gelungen ist. Hier Grundsätze auf zustellen, oblag einer
besonderen Abteilung des Unterkunftsdepartements im preu-
siischen Kriegsministerium, die in ständiger, enger Fühlung
mit der sächsischen Inspektion und den Kommandanturen
der Kriegsgefangenenlager arbeitete. Auch der Mithilfe der
Arbeitgeber in Stadt und Land, in deren eigenstem Inter-
esse das Wohl der ihnen zugeteilten Kriegsgefangenen lag,
und der Kommunalverbände, die mit der Lieferung und
Zuteilung der nötigen Lebenemireel betraut waren, muß
hier gedacht werden. Dem Zusammenwirken aller dieser
Faktoren gelang es, das schwierige Problem in einer Weise
zu lösen, daß nicht nur die höchst willkommenen Arbeits-
kräfte der deutschen Volkswirtschaft zugute kamen, sondern
auch den Gefangenen das jahrelange Verweilen in der
Gefangenschaft erleichtert wurde.
Die Schwierigkeiten gegenüber friedensmäßigen Verbält=
nissen bezüglich der Technik der Beschaffung, Ver-
waltung und Verteilung der Leben#amittel' für
Mann und Pferd sind mit wenigen Schlagworten gekenn-
zeichnet: Ubernahme der Bewirtschaftung aller wichtigen
Lebenomittel durch den Staat, Jentralisierung der Bewirt=
schaftung in der Hand eines Staates, Auoschaltung von
im Frieden üblichen Erwerboformen, wie des freibändigen
Ankaufes und des Lieferungsvertrages, die Vielgestaltigkeit,
man möchte sagen „Vielköpfigkeit“ des Zentralstellenwesens
und der Organisation der Kriegsindustrie — Kriegonot=
wendigkeiten, die zwar die Ernährung des gesamten Volkes
sicherstellten, aber das Verfahren nicht gerade beschleunigten
und die zwischen Anforderung und Zuteilung liegende Zeit-
spanne nicht eben verkürzten. Dazu kam noch, daß Sachsen
infolge seiner geographischen Lage und seiner wirtschaftlichen
Verhältnisse in der Befriedigung mancher Bedürfnisse auf
die Hilfe der benachbarten Bundesstaaten angewiesen ist
und daß seine dahingehenden berechtigten Forderungen bei
den zuständigen Reichsstellen nicht immer die Berücksichti-
gung fanden, die im Interesse des Ganzen zu wünschen
gewesen wäre.
Ein umfangreicher Schriftverkehr war zur Lösung aller
mit der Verpflegung von Mann und Pferd zusammen-
hängender Fragen zu bewältigen. Reibungslos vollzog sich
der Verkehr des Kriegsministeriums mit den übrigen bei
der Beschaffung und Verteilung mitwirkenden Stellen, als
dem sächsischen Ministerium des Innern und dessen Orga-
nen, dem Landeskulturrat für das Königreich Sachsen und
dem Landeolebensmittelamte sowie den Zentralstellen, näm-
lich der Reichsgetreidestelle, dem Kriegsernährungsamt, der
Reichsfuttermittelstelle und der Zentralstelle für die Beschaf-
fung der Heeresverpflegung.
Die Intendanturen und Proviantämter verkehrten meist
direkt mit den unteren Verwaltungobehörden bzw. Kom-
munalverbänden, wo es sich um die Lieferung von Stroh,
Heu, Kartoffeln usw. handelte. Daß die Maßnahmen des
Kriegoministeriums und der übrigen in Frage kommenden
Stellen mannigfachen Angriffen ausgesetzt waren, kann
nicht wundernehmen. Bedurfte es doch einiger Zeit, bis die
bürgerliche Bevölkerung und die Behörden, die mit deren
Lebensmittelversorg gung sich zu befassen hatten, zu der Ein-
sicht kamen, daß die Erhaltung der Schlagfertigkeit des
Heeres und die Kräftigung des Heeresersatzes allem anderen
vorgehen mußte. In bewunderungswürdiger Weise hat sich
die sächsische Landwirtschaft mit all den schwer in ihre
Verhältnisse eingreifenden Maßnahmen abgefunden. Dabei
darf nicht verschwiegen werden, daß, wie zunächst die säch-
sische Industrie, so auch die sächsische Landwirtschaft hin-
sichtlich ibrer Lieferungen anderen Bundesstaaten gegen-
über benachteiligt war.
Höchste Sparsamkeit in der Bemessung der Portionen,
größtmögliche Streckung und intensivste Ausnuhung aller
Nahrungomittel, sohließlich unergiebige Verwendung von
Ersatzmitteln wurden die obersten Gesetze für die Ernährung
der Zivilbevölkerung wie der Heeretzangebörigen. Die Brot-
portion wurde mehrmals im Laufe des Krieges herabgesetzt,
die Ausmahlung des Getreides bis zu 04 vom Hundert und
die Mitverwendung von Kartoffeln, Kartoffelwalzmehl und
Kartoffelflocken wurden verfügt, der Verbrauch von Fleisch
wesentlich eingeschränkt, die Verwendung vieler Teile des
Schlachtviehes, die bisher als für die menschliche Ernährung
unbrauchbar erklärt waren, zur Wurstbereitung zugelassen.
Neben der Beschaffung des wichtigsten Nahrungsomittels,
des Brotes, mußte auf die Beschaffung des nächstwichtigen,
der Kartoffel die größte Sorgfalt verwandt werden. Um
die Deckung des Karteffelbedarfes zu beschleunigen, wurde
den Bedarfestellen die unmittelbare Beschaffung um Januar
1916 auferlegt. Der vorgeschriebene Pöchstpreis durfte
um 1.25 Mark für den Zentner zuzüglich einer Vermittler-
gebühr von 20 Pfennigen überschritten werden. Der Zu-
schlag wurde später um 22 Pfennige und vom 15. März
lol ab auf 1.75 Mark erhöht. Soweit durch freihändigen
Ankauf der Bedarf der militärischen Stellen nicht gedecht
war, mußte die Reichskartoffelstelle um Beschaffung der
Feblmenge angegangen werden. Die Herabsetzung des Tages-
saßes von 750 Gramm wurde schon im Jahre lol er-