Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

wogen. Im Mai desselben Jahres stockten die Lieferungen 
aus den Provinzen Posen, Schlesien und Westpreußen, 
die zur Belieferung Sachsens verpflichtet waren, und Sach- 
sen geriet dadurch in eine äußerst bedrängte Lage. Auf 
Veranlassung des Reichsamtes des Innern wurde erreicht, 
daß die Heeresgruppe #insingen für die sächsischen Be- 
satzungstruppen 23000 Zentner lieferte. Gleichzeitig er- 
folgte eine starke Herabsetzung des Satzes auf 1500 Gramm 
für Kopf und Woche. Für das folgende Erntejahr — 
1917 — wurde der freihändige Kartoffelankauf allen mili- 
tärischen Bedarfsstellen untersagt und eine Durchschnitts- 
höchstmenge von 1000 Gramm für Kopf und Tag fest- 
gesetzt. Für die JZeit vom August 1916 bis zum April 
1917 wurden die Uberschußgebiete Ostpreußen und Posen 
mit der Belieferung Sachsens betraut. Die Lieferung sollte 
in der Weise vor sich gehen, daß die Bedarfsstellen zur 
Abnahme der ihnen zugewiesenen Mengen am Verlade- 
orte gehalten waren oder durch Abschluß von Lieferungs- 
verträgen mit den liefernden Stellen die Abnahme sicher- 
zustellen hatten. Zu zahlen war der gesetzliche Erzeuger- 
höchstpreis des liefernden Kommunalverbandes zuzüglich 
einer Vermittlungsgebühr, Jahlungstermin die Zeit der 
Ablieferung auf der Verladestation. Die Hauptgründe der 
in jener Zeit eintretenden Kartoffelknappheit waren der 
Mangel an Arbeitskräften — zu deren Unterstützung Kriegs- 
gefangene kommandiert werden mußten — und die Ver- 
zögerung der Ernte sowie der Herbstbestellung, wodurch eine 
Beschleunigung der Lieferung von Brot= und Futtergetreide 
sich nötig machte. Die beiden sächsischen stellvertretenden 
Generalkommandos mußten deshalb Ausbilfskommandos in 
Stärke von je 250 Mann und 15 Gespannen nach der 
Provinz Posen senden, denen die Inspektion der Kriegs- 
gefangenenlager Soo Gefangene und 15 Gespanne hinzu- 
fügte. Eine Behebung des Wagenmangels erwies sich als 
unmöglich. Weitere Schwierigkeiten ergaben sich dadurch, 
daß die lieferungopflichtigen Landwirte, um Arbeit zu er- 
sparen, die Kartoffeln lieber an die nahegelegenen Brenne- 
reien lieferten, die ihnen die gleichen Preise zahlten. Um 
einem bünftigen Mangel an Kartoffeln vorzubeugen, wur- 
den vom preußischen Kriegosministerium besondere Grund- 
sätze für die Lagerung der Kartoffeln, ihren Schutz vor 
Erfrieren und Verfaulen sowie für das Trocknen, das auf 
Ausnahmefälle beschränkt bleiben sollte, ausgegeben. Durch 
Flugblätter wurden die Truppen mit diesen Richtlinien 
vertraut gemacht. Ferner wurden als Ersatz für Kartoffeln 
Kohlrüben überwiesen und deren weiterer Bedarf durch die 
Reichskartoffelstelle sichergestellt. Eine weitere Maßnahme 
zur Unterstützung Sachsens war die in einem neuen Ver- 
teilungoplan bestimmte Zuweisung der Provinz Schlesien 
als weiterer Lieferungobezirk. Ferner wurde festgesetzt, daß 
die vorhandenen Kartoffelvorräte bis zum August 1017 
reichen müßten, daß der Tageshöchstsatz von Soo Gramm 
nicht überschritten werden dürfte und daß die Tagevration 
der Erzeuger von 1½ Pfund auf 1 Pfund herabzusetzen sei. 
Am 1. März wurde die Höchstverbrauchogrenze in einem 
neuen Verteilungsplan auf 325 Gramm für Kopf und Tag 
festgelegt; im Mai desselben Jahres wurde eine abermalige 
Verteilung für nötig erachtet. Zwischen Truppenteilen und 
Landwirten fand im Frühjahr 1917 ein Austausch von 
Kartoffeln zu Saatzwecken statt. Lieferungoverträge, die 
die Intendanturen für die militärischen Bedarfsstellen im 
März 1017 abgeschlossen hatten, konnten nur ganz geringe 
Mengen von Frühkartoffeln sicherstellen. Die Versorgung 
litt auch im Jahre 1917 unter dem Wagenmangel, unter 
Meinungoverschiedenheiten zwischen den Kommunalverbän= 
den und Generalkommandos, der Reichskartoffelstelle, den 
Kriegsministerien und den Lieferungepflichtigen, nicht zuletzt 
unter den ungünstigen Witterungsverhältnissen, die die Ernte 
nicht unerheblich beeinträchtigten. 
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Es bedurfte einiger Zeit, bis die Lazarette und die 
Truppenteile des Besatzungsheeres sich mit der Eigen-- 
wirtschaft in Gemüsebau und Schweme= und Aanin= 
chenzucht befreundeten. Während erstere das Durchhalten 
wesentlich erleichterte, zeigte es sich, daß letztere sich nicht 
rentierte. Wurde die Futterfrage auch leicht dadurch gelösi, 
daß die Küchenabfälle restlos und zweckmäßfg verwendet 
wurden, so fehlte es doch trotzdem an geeignetem Mast- 
futter für die Schweine, andererseits war das Ergebnis der 
Kaninchenzucht — schon wegen der durch die klimatischen 
Verhältnisse bedingten großen Sterblichkeit dieser Tiere — 
so gering, daß das Fleisch keine nennenswerte Ernährungs- 
beihilfe bot 
Wenig bekannt dürfte es sein, daß grösser noch als die 
Schwierigkeiten der Versorgung der Menschen mit Nah- 
rungsmitteln die der Pferde mit Futter waren. Die 
Hafer-, Heu= und Strohernten der ersten Kriegsjahre waren 
völlige Mißernten; neben Kartoffeln und Zucker, die der 
menschlichen Ernährung vorbehalten werden mußten, kamen 
als Ersatz in Frage: Gerste, Mais, Kleie und Roggen. Die 
Gewinnung der Kleie beschränkte sich, der starken Aus- 
mahlung des Getreides wegen, auf ein Mindesimaß. 
Mit der mehrfachen, erheblichen Verminderung der Nation 
mußte die Gewinnung von Ersatz-Futter= und Streumitteln 
Schritt halten. Vollkommen neue Gesichtspunkte ergaben 
sich damit. Einerseits mußten die Truppen, die einen Pferde- 
etat hatten, ihre Pferdepflege den neuen und verschieden- 
artigen ihnen zugewiesenen Ersatzfutter= und -sireumitteln 
anpassen, wobei den Veterinäroffizieren ganz neue Auf- 
gaben zufielen. Andererseits entstand eine eigene Industrie 
der Herstellung von Ersatzfuttermitteln, deren Organisation 
und Beaufsichtigung zu einem wichtigen Arbeitsgebiet der 
zuständigen Stellen wurde. 
Überblicken wir kurz die Entwicklung des Ersatzfutter- 
mittelweseno und der Nationssätze während der Kriegs- 
zeit. Während im Jahre 1914 die zuständigen Mengen 
noch voll geliefert werden konnten, mußte im Jahre 1912 
zunächst die Haferzuteilung eingeschränkt werden. Statt 
1000 Gramm Hafer wurde die gleiche Menge Juckerrüben- 
schnitzel oder vergällter Nohzucker geliefert; außerdem mußte 
an Stelle von Hafer Mais verfüttert werden, an dessen 
Stelle gegen Jahresende Gerste trat. Eine weitere Ein- 
schränkung der Haferzuteilung führte dazu, daß für schwere 
Pferde 2 Kilogramm, für leichte 1 Kilogramm Kleie an 
Stelle der gleichen Hafermenge gegeben wurde. Als weitere 
Ersatzmittel kamen auf: Erbsen, Bohnen, Lupinen, Hirse, 
Olkuchen und Wicken. Im gleichen Jahre schon mußte auch 
die Heuration herabgesetzt werden; an Stelle von einem 
Sechstel Heu trat die gleiche Menge Laubheu. Preßheu 
für das Feldheer konnte noch in der erforderlichen Menge 
gestellt werden; für das Besatzungsheer wurde die Heuration 
durch Stroh aller Arten ersetzt. Das Stroh zum Einstreuen 
wurde allmählich durch Torfstreu, Grassireu und Bett- 
stroh ersetzt. Das Jahr l91 brachte keine wesentlichen 
Anderungen, außer daß eine weitere Ersetzung des Hafers 
durch die schon genannten Mittel, zu denen noch das 
Mischfutter trat, stattfand. Bei der Gewinnung von Grün- 
futter, Heu, Ersatzfutter und Ersatz-Streumitteln halfen 
sich die Truppen vielfach selbst, die Ersaßtruppenteile häufig 
durch Erpachtung von Wiesen. Eine weitere Streckung der 
Hafervorräte machte sich im Jahre 1917 nötig; Teile der 
Hartfutterration wurden mit Mais, Peluschkenmehl und 
Ackerbohnenkleic oder Preßfutter beliefert. Zu den Ersatz= 
stremmitteln traten Sägespäne, Holzwolle, trockenes Laub 
und Schilf. Heidekraut erwies sich als geeignetes Ersatz- 
mittel sowohl für Streustroh als für Heu. Es wurde in 
gehäckseltem Zustande grün verfüttert. Im Jahre 1918 er- 
fuhr die Verfütterung von aufgeschlossenem Stroh (Kraft- 
futterstroh) größere Ausdehnung. Eine Salzzufütterung von
	        
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