Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

retten für bestimmte Krankheitsgruppen hat sich als 
segensreich erwiesen. 
Der an sich selbstverständlichen gesonderten Behandlung 
von Augen-, Hals-, Nasen= und Ohrenkranken folgte die 
Zusammenlegung der Haut= und Geschlechtskranken, die 
Errichtung von Tuberkulosenbeobachtung= und Behand- 
lungsabteilungen. Für die Behandlung von Lungenkranken 
wurden besondere Reservelazarette und Heilstätten errichtet. 
Chirurgisch Tuberkulöse wurden seit Oktober 1916 im Re- 
servelazarett Leipzig II. zwei behandelt. Für besonders schwie- 
rige Fälle von Augenleiden wurden bei der Augenheilanstalt 
der Universität Leipzig zwölf Lagerstellen errichtet. 
Gewisse Verwundungen und Verletzungen, die im Frie- 
den naturgemäß nicht zu verzeichnen waren, machten völlig 
neue Einrichtungen nötig. So mußten Lazarettabteilungen 
für Kieferverletzte dem Jahnärztlichen Institut der Universi- 
tät Leipzig angegliedert bezw. in Dresden errichtet werden. 
Die Arbeit der Zahnärzte und Chirurgen ging hier Hand 
in Hand. Für Steckschüsse wurden Sonderabteilungen ein- 
gerichtet. Geisteskranke wurden in Anstalten untergebracht; 
unter allen Umständen wurde dafür Sorge getragen, daß 
entlassene geisteskranke Heeresangehörige nicht der öffent- 
lichen Armenpflege zur Last fielen. Die Behandlung funk- 
tionell Nervenkranker wurde ebenfalls in Sonderabteilungen 
vorgenommen. 
Die Zerstreuungen und Vergnügungen, die den Verwun- 
deten und Kranken in den ersien Kriegsmonaten in so 
reichem Maße gewährt wurden, hatten ein Ergebnis, das 
sicher nicht in der Absicht der Veranstalter lag; sie führten 
dazu, daß die Ziele der Lazarettbehandlung nicht so rasch 
erreicht wurden, als es im Interesse der Heeresverwaltung 
gelegen hätte. Vom militärärztlichen Standpunkte aus ge- 
sehen, bewiesen sie nur durch das Gegenteil die Richtig- 
beit der Arbeitstheoric. Nach lüberwindung vieler 
Widerstände schritt man deshalb zu planmäßiger Beschäf- 
tigung Genesender zunächst in den landwirtschaftlichen 
Eigenbetrieben und den Arbeitsstuben der Lazarette, in 
denen sie vorerst mit Instandsetzungsarbeiten, dann aber 
auch mit der selbständigen Herstellung von Gebrauchsgegen- 
ständen der verschiedensten Art beschäftigt wurden. Als 
erkannt worden war, daß eine sachgemäße Beschäftigung 
der Kriegsbeschädigten geradezu ein Teil von deren Be- 
bandlung bedeute, entwickelten sich aus diesen eben ge- 
schilderten Anfängen die Werkstätten der Kriegsbeschädigten- 
fürsorge, von denen weiter unten gehandelt werden wird. 
Das sächsische Militärbadelazarett in Teplitz mit 6 Offi- 
ziers= und 14 Mannschaftsbetten war im Frieden die ein- 
zige für das sächsische Kontingent bestehende Einrichtung 
zum Kurgebrauch in einem Vadeort. Während des 
Krieges mußten an verschiedenen andern Kurorten Lager- 
stellen für Militärpersonen sichergestellt werden. Auch die 
freiwillige Krankenpflege beteiligte sich an der Ermietung 
und Einrichtung von Kurgebrauchmöglichkeiten. 
In sächsischen Lazaretten wurden von Kriegsbeginn bis 
zum 30. Juni 1918 aufgenommen 564576, entlassen 
563 188 Personen; davon waren dienstfähig 305 656, kriegs- 
unbrauchbar 25 993; gestorben sind wesentlich weniger als 
eins vom Hundert. 
Im Bereiche des Nll. Korps waren die orthopädischen 
Werkstätten der Orthopädischen Station des Neservelaza-= 
retts 1 Dresden angegliedert. Zunächst bot ihnen eine Holz- 
baracke genügend Naum; bald mußte eine zweite dazu 
erbaut werden und * machte sich ihre Verlegung in 
den Ausstellungspalast nötig. Sie umfaßten eine Gipserei 
sowie Abteilungen für Mctallbearbeitung für Arm= und 
Beinersatz, Holzbearbeitung, Schuhmacherarbeiten und Ban- 
dagenherstellung. Der Betrieb trug streng militärischen 
Charakter. Die Zahl der dort beschäftigten Facharbeiter 
belies sich auf sechzig. Neben den bekannten Kunsigliedern, 
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wie orthopädischen Schuhen, Stübapparaten, Arbeitsbehel- 
fen gingen aus den Werkstätten auch Neukonstruktionen 
hervor, so der vielseitig verwendbare und mit willkürlich 
bewegbarer Hand ausgestattete „Sachsenarm“. Der Be- 
darf des Korpsbereiches an orthopädischen Hilfsmitteln aller 
Art wurde durch die Tätigkeit der Werkstätten fast völlig 
gedeckt; sämtliche nötigen Behelfsbeine wurden hier her- 
gestellt und alle Ausbesserungen hier vorgenommen. 
Im XIX. Korpsbereich war schon im Jahre 1914 eine 
Einrichtung entstanden, auf deren Grundlage der weitere 
Aufbau erfolgen konnte. Die Einarmerschule in Chemnitz 
fertigte zunächst einfachere orthopädische Hilfsmittel an, 
die von der Heeresverwaltung übernommen wurden. Da 
bald die Lieferungen der Einarmerschule und der freien 
Bandagisien den Bedarf der Heeresverwaltung nicht mehr 
deckten, schloß diese mit den Kreisverbänden des Vereins 
Heimatdank Verträge ab, nach denen in den Regierungs- 
bezirken Leipzig, Chemnitz und Zwickau vom Verein Hei- 
matdank orthopädische Werkstätten errichtet wurden. Die 
so entstandenen Werkstätten wurden den orthopädischen 
„Reservelazaretten Heimatdank“ in Leipzig, Chemnitz und 
Zwickau angegliedert und mit technischen Direktoren ver- 
sehen. Die Ersatzgliederwerkstatt im Reservelazarett Elster- 
berg unterstand dem „Reservelazarett Heimatdank“ Zwickau. 
Bezüglich der Versorgung Kriegsbeschädigter mit bünst- 
lichen Gliedern usw. wurden die Bestimmungen des preu- 
ßischen Kriegsministeriums durchgeführt. Besondere Wünsche 
zu befriedigen gestatteten dem sächsischen Kriegsministerium 
zur Verfügung stehende Spendemittel. 
Große Aufgaben erwuchsen der Medizinalabtellung mit 
der Kriegsbeschädigtenfürsorge. ODie Wiederher- 
stellung des Körpers Verletzter und Verstümmnelter, soweit 
sie in den Kräften der Arzte- stand, konnte nicht das alleinige 
Jiel sein. Hinzukommen mußte eine Tätigkeit, die darauf 
gerichtet war, den Kriegsverletzten wenn irgend möglich 
seinem alten Berufe wieder zuzuführen oder einen anderen, 
geeigneteren für ihn ausfindig zu machen. Um dieses Ziel 
zu erreichen, galt es, sowohl die behandelnden Arzte mit 
den Methoden, die Verstümmelten mit dem Gedanken ver- 
traut zu machen und so zu einem Zusammemwirken beider 
— unter Ausschaltung der hier mehr hindernden als för- 
dernden öffentlichen Mildtätigkeit — zu gelangen. Nach 
Behebung der Verletzung oder Ersetzung des feblenden 
Gliedes folgte die Ertüchtigung; die nächsten Stufen waren 
die Berufsberatung oder, wo erforderlich, die Umschulung 
und die Arbeitsvermittelung — ein weites Arbeitsfeld, 
dad bei jeder Art von Verletzung besondere Einrichtungen 
erforderte. 
Blinde wurden aus allen sächsischen Lazaretten ge- 
sammelt und in einer der Landesblindenanstalt Chemnitz= 
Altendorf angegliederten Lazarettabteilung untergebracht. 
Der Unterricht durch geeignete Lehrer hatte das günstige 
Ergebnis, das von 88 Blinden 77 in lohnenden Berufen 
— als Maschinensehreiber, Tischler, Arbeiter in Fabriken 
und landwirtschaftlichen Betrieben, Korb= und Bürsten- 
macher, Klavierstimmer und Nootrstühlflecher — unter- 
gebracht werden konnten. des Kriegs- 
ministeriums fanden die Be strebungen des sächsischen Lan- 
desausschusses des Vereins für Sanitätshunde in Olden- 
burg, Kriegsblinde mit Führerbunden auszubilden und aus- 
zustatten. 
Einarmer wurden in den Einarmerschulen Dresden 
und Chemnitz gesammelt und bebandelt, in Dresden von 
einem linksbändigen einarmigen Lehrer unterrichtet. Die 
Behandlung war vornehmlich darauf gerichtet, zunächst 
ohne Zuhilfenahme von Ersatzgliedern eine möglichst viel- 
seitige Werktätigkeit zu erreichen. 
Besonders war die Medizinalabteilung besirebt, der Land- 
flucht dadurch entgegenzuarbeiten, daß sie Kriegsverletzte 
                          
	        
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