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stellvertreter, kenntlich an der tiefroten Achselklappe mit
grauer Randborte, Unteroffiziere aller Waffen, auch eine
Menge junger Frauen und Mädchen, für unsere Behörde
eine echte Kriegserrungenschaft. Dann wieder Ordonnanzen,
einen Aktenwagen ziehend, dem eilig große Stöße von
Briefen und Paketen entnommen werden. Alles verschwindet
in der Pforte des „roten Hauses“. Sie fragen nach der
Zahl der Beschäftigten? Jetzt im Herbst 19183 etwa 400,
das ist das Vierfache unseres Friedensstandes. Oavon ar-
beitet die Hälfte im Hauptgebäude, die anderen in den
Zweiganstalten, von denen nach und nach vier eingerichtet
werden mußten. Als der Krieg begann, blieben von den
aktiven Beamten nur wenige zurück. Die jüngeren, körper-
lich noch voll leistungsfähigen Kräfte besetzten die Feld-
stellen und verließen uns zum Teil schon am zweiten Tag.
Nach etwa 8 Tagen waren sie alle fort. Die hierbleibenden
waren ältere Herren oder solche, deren Gesundheitszustand
die Verwendung im Feld nicht zuließ. Auf ihnen lag zu-
nächst die ganze Arbeitslast. Aber bald kam Hilfe. Es
meldeten sich ehemalige, im Ruhestand lebende Intendantur-
beamte; sie stellten freiwillig ihre langjährigen Erfahrungen
dem Vaterland zur Verfügung. Mit offenen Armen wurden
sie aufgenommen und fanden an verantwortungereichen
Posten treffliche Verwendung. Dann kam aber auch Jugend.
Eines Morgens meldete sich ein Student der Rechtswissen-
schaft, der wegen Lähmung nicht mit der Waffe dienen
konnte. Andere kamen — und wurden eingesiellt, — und
bewährten sich! Ja, wir waren eine bunte Gesellschaft!
Da saß der Professor neben dem Fabrikanten, der Theolog
neben dem Dramaturgen, der junge Kaufmann neben dem
im Dienst ergrauten Ministerialsekretär. Unteroffiziere von
Ersatztruppen, die nicht feldverwendungsfähig waren und
deren Beruf sie für den Bürodienst tauglich machte, mel-
deten sich. Bevorzugt wurden solche, die „draußen“ waren
und wegen Verwundung in der Heimat bleiben mußten.
Der Bedarf an Hilfskräften stieg im Laufe der Kriegejahre
dauernd. Bisweilen kostete es Mühe ihn zu decken, besonders
als an die Felddienstfähigkeit nicht mehr die hohen Anforde-
rungen gestellt wurden wie zu Anfang. So kam es denn,
daß man sich auch in der Heeresverwaltung entschloß, weib-
liche Dienste in Anspruch zu nehmen, zuerst im Januar
1917. Wir gewöhnten uns rasch an unsere tüchtigen und
fleißigen Mitarbeiterinnen und gaben sie ungern wieder her.
Mit Ausnahme des Oberintendanturrates, welcher die
Geschäfte des zu einem Armeeoberkommando übertretenden
aktiven Korpointendanten übernahm, sowie eines Assessors,
waren sämtliche höhere Beamten ins Feld gegangen. Die
dadurch verwaisten Stellen der Abteilungsvorsteher mußten
daher neu besetzt werden. Hierfür waren schon im Frieden
Offiziere des Beurlaubtenstandes — meist Juristen — aus-
ersehen und durch mehrmalige längere Ubungen bei der
Korpointendantur vorbereitet worden. Sie trafen in den
ersten Mobilmachungstagen ein und übernahmen die Lei-
tung der damals bestehenden 6 Geschäftsabteilungen. Die
drei Bauabteilungen verblieben in der Hand der aktiven
Intendantur= und Bauräte.
Die mannigfaltigen neuen Aufgaben, die der Krieg für
die siellvertretende Intendantur brachte, waren schon sehr
bald Anlaß zu einer Vermehrung der Abteilungen. Es machte
sich eine solche nötig für Bewilligung von Hinterbliebenen-
versorgung, Kriegselterngelder und Gnadengebührnissen; je
eine weitere wurde errichtet für die Prüfungen der Rech-
nungen der Truppen in der Heimat, für Versorgung dieser
Truppen mit Lebensmitteln, für die Arbeiterversicherung.
Dies bedingte die Einstellung weiterer Abteilungsvorsteher:
geeignete Offiziere, womöglich kriegsbeschädigte. Die Aus-
gewählten wurden mit der Stelle eines Intendanturrates
oder Assessors „beliehen“.
Im Frieden stand dem Intendanten ein Oberintendantur-
rat zur Seite. Leider war für den Kriegsfall eine gleiche
Hilfe nicht vorgesehen. Dieser Mangel zwang dazu, die
Abteilungsvorsteher nach und nach mit Amteverrichtungen
zu betrauen, die im Frieden ihrer Zuständigkeit entzogen
waren. Der Intendant sah sich genötigt, sich durch den
ältesten Rat unterstützen und, soweit erforderlich, vertreten
zu lassen.
Der Zustrom der zum Dienst Kommenden hat sich in-
zwischen verlaufen, und wir betreten das Gebäude. In
dem Hausflur hat der Pförtner seinen Stand und überwacht
den Verkehr. Eine breite Treppe führt zum ersten Ober-
geschoß. An ihrem Ende stoßen wir auf die Hauptfern-
sprechstelle, in der mehrere Angestellte den Klappenschrank
bedienen und dabei selten zur Ruhe kommen. Der Fern-
sprecher hat sich seine völlige Unentbehrlichkeit erkämpft.
Welches Heer von Ordonnanzen wäre vonnöten, wenn es
an Fernsprechern fehlte! Zwar können wir auf die „Lauf-
dienste“ nicht völlig verzichten, sie besorgen Briefe und
Pakete, haben auch sonst noch so mancherlei zu verrichten,
was der toten Maschine eben doch nicht anvertraut werden
kann, aber gleichwohl erspart der treue Helfer, der Fern-
sprecher, unzählige Botengänge. Unserer Hauptstelle sind
jetzt 22 Nebenstellen angeschlossen.
Wir hörten schon, daß das Hauptgebäude mit der Zeit
nicht mehr ausreichte, um allen Abteilungen Unterkunft zu
bieten. Zwar wurde bald nach Kriegsbeginn das Dach-
geschoß ausgebaut und dadurch eine ganze Flucht von Zim-
mern geschaffen, die aber den Mehrbedarf an Raum nur
auf kurze Zeit genügten. Es mußte bald ein Teil der Flur-
gänge mit Arbeitstischen besetzt werden. Als auch damit
nicht mehr auszukommen war, wurden nach und nach sieben
große Wohnungen in der Nachbarschaft ermietet, und wäre
nicht am 1. Oktober 1917 eine Abteilung der Intendantur
abgezweigt und dem neuen Versorgungsamt des General-
kommandos zugewiesen worden, so hätten wir wohl aber-
mals hinzugemietet haben müssen.
Wir lassen uns zu der Hauptregistratur führen, dem
Brennpunkt des Verkehrs. Ihre Tür schließt sich nur auf
Augenblicke. Immer wird etwas hierher gebracht, von
hier geholt, wird hier etwas gefragt oder gemeldet. Hier
waltet der Oberregistrator seines Amtes. Sein Diensttitel
gibt seine Tätigkeit nicht erschöpfend wieder. Denn das
Registrieren ist nicht seine einzige, nicht einmal seine haupt-
sächlichste Aufgabe. Allerdings führt er die Aufsicht über
die Registraturen der einzelnen Abteilungen, daneben aber
auch über die Absendestelle, die Drucker, Telefonisten und
Ordonnanzen, über das Aktenwesen, die Bücherei u. a. m.
Wir kommen gerade zum Empfang der ersten Tagespost
zurecht. Eine lange Tafel ist mit Briefen und Paketen aller
Größen bedeckt. Sie werden geöffnet, der Inhalt wird
auf Vollzähligkeit der Anlagen geprüft und mit dem Tages-
stempel versehen. Hat sich eine gewisse Menge von Schrift-
stücken angesammelt, so legt sie der Oberregistrator dem
Intendanten vor. Die Durchsicht der Eingänge ist für den
Vorstand der Behörde eine nötige Arbeit, da sie allein ihm
den dauernden Uberblick über alles ermöglicht, was in seinem
Geschäftobereich vorkommt. Der Briefverkehr hat sich wäh-
rend des Krieges unausgesetzt vermehrt. Die Jahl der Brief-
buchnummern betrug nach dem Monatedurchschnitt:
1913 — 2517 1916 = 9440
1914 = 5115 1917 = 12888
1915 = 6608 1918 (bis 31.3.) = 14401
Der Intendant versieht jedes Schriftstück mit seinem
Namengzeichen und der Nummer der für die Bearbeitung
zuständigen Abteilung. Auch macht er ersichtlich, ob er
sich dee Erledigung vorbehält oder ob er sie seinem ständigen
Vertreter bzw. dem Abteilungsvorsteher überläßt. Er war
allmählich genötigt, hiervon ziemlich reichlichen Gebrauch