Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

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stellvertreter, kenntlich an der tiefroten Achselklappe mit 
grauer Randborte, Unteroffiziere aller Waffen, auch eine 
Menge junger Frauen und Mädchen, für unsere Behörde 
eine echte Kriegserrungenschaft. Dann wieder Ordonnanzen, 
einen Aktenwagen ziehend, dem eilig große Stöße von 
Briefen und Paketen entnommen werden. Alles verschwindet 
in der Pforte des „roten Hauses“. Sie fragen nach der 
Zahl der Beschäftigten? Jetzt im Herbst 19183 etwa 400, 
das ist das Vierfache unseres Friedensstandes. Oavon ar- 
beitet die Hälfte im Hauptgebäude, die anderen in den 
Zweiganstalten, von denen nach und nach vier eingerichtet 
werden mußten. Als der Krieg begann, blieben von den 
aktiven Beamten nur wenige zurück. Die jüngeren, körper- 
lich noch voll leistungsfähigen Kräfte besetzten die Feld- 
stellen und verließen uns zum Teil schon am zweiten Tag. 
Nach etwa 8 Tagen waren sie alle fort. Die hierbleibenden 
waren ältere Herren oder solche, deren Gesundheitszustand 
die Verwendung im Feld nicht zuließ. Auf ihnen lag zu- 
nächst die ganze Arbeitslast. Aber bald kam Hilfe. Es 
meldeten sich ehemalige, im Ruhestand lebende Intendantur- 
beamte; sie stellten freiwillig ihre langjährigen Erfahrungen 
dem Vaterland zur Verfügung. Mit offenen Armen wurden 
sie aufgenommen und fanden an verantwortungereichen 
Posten treffliche Verwendung. Dann kam aber auch Jugend. 
Eines Morgens meldete sich ein Student der Rechtswissen- 
schaft, der wegen Lähmung nicht mit der Waffe dienen 
konnte. Andere kamen — und wurden eingesiellt, — und 
bewährten sich! Ja, wir waren eine bunte Gesellschaft! 
Da saß der Professor neben dem Fabrikanten, der Theolog 
neben dem Dramaturgen, der junge Kaufmann neben dem 
im Dienst ergrauten Ministerialsekretär. Unteroffiziere von 
Ersatztruppen, die nicht feldverwendungsfähig waren und 
deren Beruf sie für den Bürodienst tauglich machte, mel- 
deten sich. Bevorzugt wurden solche, die „draußen“ waren 
und wegen Verwundung in der Heimat bleiben mußten. 
Der Bedarf an Hilfskräften stieg im Laufe der Kriegejahre 
dauernd. Bisweilen kostete es Mühe ihn zu decken, besonders 
als an die Felddienstfähigkeit nicht mehr die hohen Anforde- 
rungen gestellt wurden wie zu Anfang. So kam es denn, 
daß man sich auch in der Heeresverwaltung entschloß, weib- 
liche Dienste in Anspruch zu nehmen, zuerst im Januar 
1917. Wir gewöhnten uns rasch an unsere tüchtigen und 
fleißigen Mitarbeiterinnen und gaben sie ungern wieder her. 
Mit Ausnahme des Oberintendanturrates, welcher die 
Geschäfte des zu einem Armeeoberkommando übertretenden 
aktiven Korpointendanten übernahm, sowie eines Assessors, 
waren sämtliche höhere Beamten ins Feld gegangen. Die 
dadurch verwaisten Stellen der Abteilungsvorsteher mußten 
daher neu besetzt werden. Hierfür waren schon im Frieden 
Offiziere des Beurlaubtenstandes — meist Juristen — aus- 
ersehen und durch mehrmalige längere Ubungen bei der 
Korpointendantur vorbereitet worden. Sie trafen in den 
ersten Mobilmachungstagen ein und übernahmen die Lei- 
tung der damals bestehenden 6 Geschäftsabteilungen. Die 
drei Bauabteilungen verblieben in der Hand der aktiven 
Intendantur= und Bauräte. 
Die mannigfaltigen neuen Aufgaben, die der Krieg für 
die siellvertretende Intendantur brachte, waren schon sehr 
bald Anlaß zu einer Vermehrung der Abteilungen. Es machte 
sich eine solche nötig für Bewilligung von Hinterbliebenen- 
versorgung, Kriegselterngelder und Gnadengebührnissen; je 
eine weitere wurde errichtet für die Prüfungen der Rech- 
nungen der Truppen in der Heimat, für Versorgung dieser 
Truppen mit Lebensmitteln, für die Arbeiterversicherung. 
Dies bedingte die Einstellung weiterer Abteilungsvorsteher: 
geeignete Offiziere, womöglich kriegsbeschädigte. Die Aus- 
gewählten wurden mit der Stelle eines Intendanturrates 
oder Assessors „beliehen“. 
Im Frieden stand dem Intendanten ein Oberintendantur- 
rat zur Seite. Leider war für den Kriegsfall eine gleiche 
Hilfe nicht vorgesehen. Dieser Mangel zwang dazu, die 
Abteilungsvorsteher nach und nach mit Amteverrichtungen 
zu betrauen, die im Frieden ihrer Zuständigkeit entzogen 
waren. Der Intendant sah sich genötigt, sich durch den 
ältesten Rat unterstützen und, soweit erforderlich, vertreten 
zu lassen. 
Der Zustrom der zum Dienst Kommenden hat sich in- 
zwischen verlaufen, und wir betreten das Gebäude. In 
dem Hausflur hat der Pförtner seinen Stand und überwacht 
den Verkehr. Eine breite Treppe führt zum ersten Ober- 
geschoß. An ihrem Ende stoßen wir auf die Hauptfern- 
sprechstelle, in der mehrere Angestellte den Klappenschrank 
bedienen und dabei selten zur Ruhe kommen. Der Fern- 
sprecher hat sich seine völlige Unentbehrlichkeit erkämpft. 
Welches Heer von Ordonnanzen wäre vonnöten, wenn es 
an Fernsprechern fehlte! Zwar können wir auf die „Lauf- 
dienste“ nicht völlig verzichten, sie besorgen Briefe und 
Pakete, haben auch sonst noch so mancherlei zu verrichten, 
was der toten Maschine eben doch nicht anvertraut werden 
kann, aber gleichwohl erspart der treue Helfer, der Fern- 
sprecher, unzählige Botengänge. Unserer Hauptstelle sind 
jetzt 22 Nebenstellen angeschlossen. 
Wir hörten schon, daß das Hauptgebäude mit der Zeit 
nicht mehr ausreichte, um allen Abteilungen Unterkunft zu 
bieten. Zwar wurde bald nach Kriegsbeginn das Dach- 
geschoß ausgebaut und dadurch eine ganze Flucht von Zim- 
mern geschaffen, die aber den Mehrbedarf an Raum nur 
auf kurze Zeit genügten. Es mußte bald ein Teil der Flur- 
gänge mit Arbeitstischen besetzt werden. Als auch damit 
nicht mehr auszukommen war, wurden nach und nach sieben 
große Wohnungen in der Nachbarschaft ermietet, und wäre 
nicht am 1. Oktober 1917 eine Abteilung der Intendantur 
abgezweigt und dem neuen Versorgungsamt des General- 
kommandos zugewiesen worden, so hätten wir wohl aber- 
mals hinzugemietet haben müssen. 
Wir lassen uns zu der Hauptregistratur führen, dem 
Brennpunkt des Verkehrs. Ihre Tür schließt sich nur auf 
Augenblicke. Immer wird etwas hierher gebracht, von 
hier geholt, wird hier etwas gefragt oder gemeldet. Hier 
waltet der Oberregistrator seines Amtes. Sein Diensttitel 
gibt seine Tätigkeit nicht erschöpfend wieder. Denn das 
Registrieren ist nicht seine einzige, nicht einmal seine haupt- 
sächlichste Aufgabe. Allerdings führt er die Aufsicht über 
die Registraturen der einzelnen Abteilungen, daneben aber 
auch über die Absendestelle, die Drucker, Telefonisten und 
Ordonnanzen, über das Aktenwesen, die Bücherei u. a. m. 
Wir kommen gerade zum Empfang der ersten Tagespost 
zurecht. Eine lange Tafel ist mit Briefen und Paketen aller 
Größen bedeckt. Sie werden geöffnet, der Inhalt wird 
auf Vollzähligkeit der Anlagen geprüft und mit dem Tages- 
stempel versehen. Hat sich eine gewisse Menge von Schrift- 
stücken angesammelt, so legt sie der Oberregistrator dem 
Intendanten vor. Die Durchsicht der Eingänge ist für den 
Vorstand der Behörde eine nötige Arbeit, da sie allein ihm 
den dauernden Uberblick über alles ermöglicht, was in seinem 
Geschäftobereich vorkommt. Der Briefverkehr hat sich wäh- 
rend des Krieges unausgesetzt vermehrt. Die Jahl der Brief- 
buchnummern betrug nach dem Monatedurchschnitt: 
1913 — 2517 1916 = 9440 
1914 = 5115 1917 = 12888 
1915 = 6608 1918 (bis 31.3.) = 14401 
Der Intendant versieht jedes Schriftstück mit seinem 
Namengzeichen und der Nummer der für die Bearbeitung 
zuständigen Abteilung. Auch macht er ersichtlich, ob er 
sich dee Erledigung vorbehält oder ob er sie seinem ständigen 
Vertreter bzw. dem Abteilungsvorsteher überläßt. Er war 
allmählich genötigt, hiervon ziemlich reichlichen Gebrauch
	        
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