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Fürsorgemaßnahmen. Neben der Bewilligung der Gnaden-
gebührnisse kamen hier in erster Linie die auf Grund des
Militärhinterbliebenengesetzes vom 17. Mai 1907 zu bewil-
ligenden gesetzlichen Versorgungsgebührnisse in Betracht.
Das Militärhinterbliebenengesetz hatte hinsichtlich der Kriegs-
versorgung noch wenig Anwendung gefunden. Bei dieser
ergaben sich sofort äußerst schwierige Fragen der Auslegung,
von denen zwel besonders wichtige erst vom Reichsgericht
entschieden werden mußten (Gewährung der vollen mili-
tärischen Versorgung neben einer solchen aus der Zivil-
dienststelle des Verstorbenen; keine Kürzung der Bezüge bei
größerer Kinderzahl).
Die gesetzlichen Bezüge konnten jedoch, wie sich sehr
bald zeigte, häufig die Hinterbliebenen vor wirtschaftlicher
Not nicht schützen und sie ihrer sozialen Lage nicht erhalten.
Da die gesetzlichen Bezüge lediglich nach dem Diensigrad
des Verstorbenen (bei Kapitulanten auch nach der Dienst-
zeit) bemessen sind, war ein Ausgleich nötig, der in Ge-
stalt der sog. widerruflichen, in Monatsteilbeträgen zahl-
baren Zuwendungen schon im Jahre üols geschaffen wurde.
Diese widerruflichen Zuwendungen waren abgestuft nach
der Höhe des vom Verstorbenen vor dem Kriege erzielten
Jahresarbeit#seinkommens und setzten ein, wenn der Ver-
storbene wenigstens 1500 Mark an solchem Einkommen ge-
habt hatte. Freilich konnten diese Zuwendungen ihren Zweck
einigermaßen nur dann erfüllen, wenn namhafte Beträge
in Frage kamen. Die Arbeit, welche den Intendanturen
durch die Bewilligung dieser Zuwendungen erwuchs, war
eine ganz anders geartete als die sonst von ihnen zu lei-
stende. Handelte es sich doch hierbei um Feststellung der
sozialen Verhältnisse in jedem Einzelfall! Nicht eine Be-
dürftigkeit im armenrechtlichen Sinn sollte die Voraus-
setzung für die Bewilligung bilden, sondern ein Bedürfnis
im sozialen Sinn. — Bei der Bewilligung der Zuwen-
dungen kamen auch alle Bezüge der Hinterbliebenen auf
Grund gesetzlicher Versicherung des Verstorbenen in Be-
tracht. Die Versorgungsabteilungen der Intendanturen
mußten sich daher auch mit der Versicherungsgesetzgebung
für Arbeiter und Angestellte und den sonstigen einschlägigen
Gesetzen vertraut machen.
Schon im Jahre 1916 zeigte es sich, daß mit den wider-
ruflichen Zuwendungen nicht genug geschehen war. Die
Teuerung wurde drückend. Die Familienunterstützung für
die Familien der zum Heeresdienst eingezogenen Mannschaf-
ten wurde wiederholt erhöht; die Hinterbliebenenbezüge blie-
ben auf bisheriger Stufe. So häuften sich die Fälle, in
denen eine Kriegerswitwe mit ihren Bezügen sich schlechter
stand, als vor dem Tode ihres Mannes mit der Familien-
unterstützung. Die Klagen der Hinterbliebenen wurden
immer lauter, ihre Gesuche immer dringender, ohne daß
den Intendanturen die Möglichkeit gegeben war, durch-
greifend zu helfen. Insbesondere genügten die einmaligen
Unterstütungen, die nur beim Vorliegen besonderer Um-
stände gewährt werden durften, nicht mehr. Nach einer
Reichskanzlerverfügung sollte in denjenigen Fällen, in wel-
chen die Hinterbliebenenbezüge hinter dem Betrage der früher
im Einzelfall gezahlten Familienunterstützung zurückblieben,
die gemeindliche Kriegswohlfahrtspflege eingreifen. Das
Sächsische Ministerium des Innern hatte auch demgemäß
die ihm unterstellten Verwaltungsbehörden angewiesen; die
Durchführung der Maßnahme siieß aber auf erhebliche
Schwierigkeiten und Widerstände, da sie die Gemeinden
schwer zu belasten drohte. Hervorgehoben sei, daß in Sachsen
Kriegsnot und Teuerung in besonderer Schärfe hervorge-
treten sind. Am schlimmsien wurden naturgemäß die Groß-
städte und Indusiriebezirke mitgenommen, besonders dort,
wo die Industrie durch den Krieg lahmgelegt war, so na-
mentlich die Textilindustriebezirke. Hier mußte die neben
der Reichsfamilienunterstützung aus Gemeinde= oder Be-
zirksmitteln zu gewährende Familienunterstützung höher als
anderwärts bemessen werden. Dies läßt den Widerstand
gegen die Zumutung, auch noch den Kriegerwitwen Zu-
schüsse zu gewähren, verständlich erscheinen. Den Intendan=
turen oblag es aber, zum Wohle der Hinterbliebenen auf
die Durchführung der angeordneten Maßnahmen nach Kräf-
ten hinzuwirken. Ihre Bemühungen waren auch zum guten
Teil von Erfolg.
Besser wurde die Lage der Hinterbliebenen erst, als Ende
1917 die Gewährung laufender Teuerungszulagen aus
Reichsmitteln zugelassen wurde. Schließlich werden seit
1. Juli lols zu dem gesetzlichen Kriegswitwen= und Kriegs-
waisengeld feste Zuschläge gewährt, und zwar ohne Antrag,
wenn die Hinterbliebenen während der Einziehung ihres
Ernährers Familienunterstützung erhalten haben, in son-
stigen Fällen auf Antrag im Bedürfnisfalle. Auch die Be-
willigung dieser Zuschläge ging am 1. Oktober lous auf
die Versorgungsämter über. Den Intendanturen erwuchs
aber durch diese Neuerung eine große Mehrleistung, die
sich um so schwieriger gestaltete, als sie eintrat, während
gerade die Uberleitung der Zahlungen auf die Postanstalten
im Gange war.
Mit alledem begrenzte sich aber noch nicht der Wirkungo-
kreis auf dem Gebiete der Hinterbliebenenversorgung. Als
weitere Aufgaben seien nur hervorgehoben: die Bewilligung
von Abfindungssummen bei Wiederverheiratung einer Krie-
gerswitwe, ferner die Bewilligung von widerruflichen Zu-
wendungen für schuldlos geschiedene Ehefrauen, für unehe-
liche Kinder, für angenommene, Stief= und Pflegekinder,
für Adoptiv-, Pflege= und Schweegereltern, für Geschwister,
für Eltern als Beihilfe zu den Kosten der früheren Berufs-
ausbildung gefallener Söhne, sowie in sonstigen Fällen, in
denen Härten des Militärhinterbliebenengesetzes zu vermeiden
waren.
An der Durchführung aller dieser Aufgaben haben die
Versorgungsabteilungen der Bezirkskommandos, die Stadt-
räte, Amtshauptmannschaften und Gemeindevorstände, so-
wie die Vertrauensleute der Vereine Heimatdank tatkräftig
mitgewirkt. Allen, die in dieser Weise zur Erleichterung
der wirtschaftlichen Lage unserer Kriegshinterbliebenen bei-
getragen haben, gebührt Dank und Anerkennung.
Nachwort
Noch ehe diese Blätter zum Abschluß gebracht wurden,
kam das Ende des Weltkrieges. Lange war die Demobil=
machung vorbereitet worden. Der durch die Waffenstill-
standsbedingungen erzwungene überstürzte Nückmarsch der
Heere störte die planmäßige Demobilmachung. Vor den
Truppen her rollten gewaltige Mengen von Vorräten aller
Art der Heimat zu. Zu ihrer Lagerung mußten eilends
Lagerplätze hergerichtet werden. Eine schwere Aufgabe!
Wenn gleichwohl alles untergebracht wurde, so lag dies
daran, daß weniger kam, als erwartet worden war.
Die politische Umwälzung blieb selbstverständlich nicht
ohne Einfluß auf unsere Behörde. Als erstes brachte sie
die Einrichtung der Arbeiter= und Soldatenräte, dann aber
auch ein bedeutendes Maß von Unsicherheit und Verwirrung.
Aber die Pflichttreue, Selbstzucht und Anpassungsfähig-
keit der Beamtenschaft bewährte sich auch jetzt und verhütete,
daß der Dienst siockte, was in diesen Wochen der über-
großen Anforderungen von unabsehbaren Folgen gewesen
wäre. Bald werden sie nun alle wieder auseinander ge-
gangen sein, die bei der siellv. Intendantur Vaterlandoarbeit
getan haben. Möge sie das Bewußtsein geleiten, in harter,
aber großer Zeit mitgeschafft zu haben zum Wohle des Ganzen!