ein starkes Bibelwort und ein kurzes Gebet, und wir gin-
gen auseinander. Doch dem Pfarrer war der Rückweg
zu seinem Stabe und seinem Quartier durch das Feuer
versperrt, das gerade auf seiner Straße lag. Erst in der
Dämmerung kann er zurückreiten. Aber das Divisions=
stabsquartier und den ganzen Ort findet er leer, bis auf
eine Sanitätskompagnie, die noch für die dort zusammen-
gebrachten Verwundeten zu sorgen hat. Im Vorgarten
des Stabsquartiers liegen erschossene Pferde und ein be-
schädigter Kraftwagen. Ich eile noch in mein Zimmer hin-
auf, ob in der Hast auch alle meine Sachen mitgenom-
men sind. Richtig, da hängt mein regendichter Segeltuch-
mantel, den ich mir von der Fahrt zum Nordkap mit-
gebracht habe und den ich für nasse Biwaks so nötig habe.
Doch wohin nun allein in der einsetzenden Nacht? Den
Stab zu suchen, wäre zwecklos gewesen. Ich ritt also
nach einem Besuche des im Aufbruch befindlichen Verband-
platzes zum Brigadestab an den vor einer guten Stunde
verlassenen Ort zurück und konnte in aller Frühe mit der
Brigade weitermarschieren, bis ich den Divisionsstab wie-
der erreichte. Dieses Beispiel möge die Eigenart und die
Umrahmung solcher Feldgottesdienste während der Wochen
des reinen Bewegungskrieges veranschaulichen. Die Trup-
pen nahmen die Stärkung durch solche Feiern mit laut ge-
äußertem Danke an, und von den Mannschaften kam an
den ihnen begegnenden Feldgeistlichen die häufige Frage,
wann sie denn wieder darankämen. Wo es irgend möglich
war, ob Sonntags oder Wochentags, wurden Gottesdienste
gehalten, öfter mehrere an einem Tage. Sie verliefen ganz
schlicht. Auch zum Bau eines Trommelaltars oder zum
Herrichten eines Tisches dazu paßte die Lage meist nicht;
den Amtöokoffer mit der Altardecke und dem Kruzifir konnte
der von Truppe zu Truppe Vorreitende nicht mitnehmen.
Seine Feldbibel führte er in der Packtasche mit sich, und
mit ihr trat er in den Kreis der empfänglichen, verlangen-
den Truppe, wo sich immer eine Gelegenheit bot. Wie
herrlich erweisen sich die Choräle unserer Kirchel Was
sind die Ewigkeitsworte der Schrift!
Die folgenden Wochen führten zur Straffung der lan-
gen Kampffront und leiteten allmählich zum Stellungs-
kriege über, der dann durch Unternehmungen großen Stils
unterbrochen wurde. Bei unserer Dioision hielt sich, durch
ein bergiges Waldgelände begünstigt, noch recht lange we-
nigstens ein halber Bewegungskrieg.
Wie entwickelte sich der pfarramtliche Dienst in den
langen Zeiträumen des Bewegungskrieges? Auch hier kann
kein einheitliches Bild entworfen werden. Die Kriegslage,
daSr Gelände, die Kampfhandlungen sind an den Teilen
der langen Fronten ganz verschieden. Im Tieflande Flan-
dern sieht es anders aus, als im Kreideboden der Cham-
pagne, vor Verdun und seinem langgestreckten, befestig-
ten Bergrücken anders, als im Gebirgslande am Hart-
mannsweiler Kopfe; an der lange starr erscheinenden West-
front vollends anders als im Osten oder im Südosten.
Auch der Feldgeistliche muß seinen Dienst überall anzu-
passen suchen.
Der Erzähler hat den Stellungskrieg Jahr und Tag in
der Gegend vor Luneville mitgemacht und hernach mit
seiner Division ein Jahr lang vor Verdun gelegen.
Nur einige Bilder des Amtslebens aus diesen langen
Jeiten! Da die Truppen fesiere Ortsunterkünfte oder Wald-
lager oder eingegrabene Erdfesten bezogen haben, kommt
mehr Stetigkeit in den Pfarrdienst. Die Lazarette können
regelmäßig besucht und mit Gottesdienst versorgt werden
und ihrerseits durch Fernspruch mitteilen, sobald die An-
wesenheit des Feldgeistlichen besonders erwünscht ist. Auch
die sonst stilleren Lazarette sind sehr stark beansprucht, so-
bald besondere Angriffswochen eintreten. Vollends vor Ver-
dun! Ganze Reihen von Verstümmelten nebeneinander,
denen ein Bein oder Arm abgerissen ist! Leichtere Ver-
letzungen zu Hunderten, aber auch viele schwere Unterleibs-
oder Brustschüsse. Diese Kopfverletzungen! Später auch
Gasvergiftungen, die so gefährlich sind. Wer das Herze-
leid, das der Krieg verursacht, zusammengedrängt schauen
will, den mag man hierher führen. Er wird aber auch mit
gehobenem Herzen wahrnehmen, wie mutig, geduldig, wie
ergeben und heldenhaft in diesen Stätten der Kampf mit
den Schmerzen und den im Hintergrunde lauernden Sorgen
aufgenommen wird. Altere und blutjunge Krie ger, Soldaten
der verschiedensten deutschen Stämme zusammen! Der Geist-
liche geht von Bett zu Bett, von Stube zu Stube, von Saal
zu Saal, ja wenn seine Kraft reicht, auch von Lazarett zu
Lazarett. Er hat vielen Menschenjammer mit auf sein Herz zu
nehmen, und das ermattet schwerer, als tagelange körperliche
Anstrengungen. Er ist durch lange Bettreihen mit stillem
Gebet gegangen, daß er für diese Heldenlast des Leids auch
ein aufrichtendes, stärkendes Wort finde. Was soll er zu
all den Verstümmelten sagen? Er erinnert sie wohl an das
schlichte, von Kindheit her vertraute Lied, das Unzähligen
zum Trost geworden ist: Wissen Sie noch, lieber Kamerad,
Das einsame Grab! (Bertoncourt)
den Vers: „Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege,
Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da
dein Fuß gehen kann“; trauen Sie das wohl ihrem
Herrgott zu? Ehe der Geisiliche aber eine große Station
verläßt, richtet er — nach vorangegangener Besprechung
mit dem leitenden Arzte und wenn die Unistände günstig
sind — noch ein gemeinsames Wort an die hundert oder
Hunderte, die ihn hören. Er darf nicht zu laut sprechen,
und jeder Satz muß Stärkung bieten. Solche kurzen Trost-
worte gehören zu den köstlichsten, aber auch schwersten Auf-
gaben des Feldamtes. Wem die innere Stimmung versagt,
soll lieber schweigen, als hier Fehlgriffe tun.
Auch die Soldatenheime an der Front wollen besucht
sein. Sie sind verschieden eingerichtet; zu den besten, die
wir an der Westfront hatten, zählen die vom Westdeutschen
Jünglingsverein eingerichteten. Gute Büchereien, die sehr
begehrt waren, waren mit den meisten verbunden. Doch
haben auch die Regimenter fahrbare Feldbüchereien, die in
guter Auswahl zusammengestellt sind. Das sind wertvolle
Liebesgaben für Geist und Gemüt des Soldaten.
Bei langem Stellungskriege muß alles geschehen, um
einer geistigen Abstumpfung entgegenzuwirken. Was will
es z. B. besagen, wenn eine Truppe ein Jahr lang und
länger im Walde in eingegrabenen, stets feuchten Erdhütten
wohnen muß! Oder in zusammengeschossenen Trümmer--
haufen, die einst ein Dorf waren. An seinem Teile sucht
der Feldgeistliche durch Feldstunden und gehaltvolle Unter-
haltungsabende zu helfen, die kameradschaftliche Art tragen