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und bei denen sich die Truppe lebhaft beteiligt. Es ist er-
staunlich, welche Kräfte und welcherlei Künstler ein Ba-
taillon oder eine Artillerieabteilung, ja schon eine Reiter-
schwadron oft birgt. Indes kann der Feldgeistliche hierbei
nur Mithelfer, vielleicht auch Anreger sein; sein Amt läßt
ihm nicht viele Zeit und Kraft frei. Er muß aber suchen,
eine feste Höhenlage bei solchen Veranstaltungen zu sichern.
Auch manche Offiziere und Arzte haben hier ihr Bestes
gegeben.
Doch nun wollen wir den Feldgeistlichen zu seinen Trup-
pengottesdiensten begleiten! Wo Gotteshäuser vorhanden
und noch unversehrt sind oder wo sie doch noch ein sicheres
Obdach oder eine Orgel bieten, geht's in die französischen
Kirchen. Doch wird der französische Ortsgeistliche rücksichts-
voll um Uberlassung der Kirche gebeten. Ich persönlich habe
ihm zugleich stets versprochen, um das Empfinden des
Katholiken nicht zu verletzen, daß sein Altar nicht betreten
werden solle. Der „curé“ oder sein Vikar oder beide wa-
ren dann oft Zeugen unseres Gottesdienstes. Besonderen
Eindruck machte auf sie der
mächtige Gemeindegesang
unserer Truppen, was sie
nicht verhehlten. Mancher
von ihnen hörte ein deut-
sches, tausendstimmiges
Kirchenlied zum ersten
Male. Freilich meinte
einer, es sei ihm der ge-
waltige Gesang doch mehr
chanson als cantiquc ge-
wesen, mehr weltlicher Ge-
sang, als die getragenc,
alte Kirchenweise. Gewiß,
unsere Choräle haben von
volkstümlichen Weisen
manches Übernommen.
In den meisten franzö-
sischen Kirchen fanden wir
das Standbild der Jung-
frau von Orleans, selbst
noch auf deutsch-lothringi-
schem Boden, und bei dem
meist festlich und zur
Verehrung geschmückten
Standbilde eine gedruckte
Anrufungstafel, auf der die Jungfrau als Beschirmerin
Frankreichs bezeichnet war. Auf der Kanzel lag wohl ein
Gebet um Frieden, in französischer Sprache, das vom
jetzigen Papst verfaßt ist.
Wenn in einer Kirche regelmäßiger Truppengottesdienst
gehalten wurde, fand sich bald auch ein Häuflein franzö-
sischer Protestanten herzu. Ein Teil von ihnen verstand
Deutsch, freilich nur nahe an der Grenze. Die meisten
sprachen aber nur französisch, und ich habe ihnen dann
wohl in der Predigt einige französische Sätze zugerufen,
deren Inhalt sie mit dankendem Kopfnicken bekräftigten.
Die Feldgrauen sahen dann fragend zur Kanzel hinauf,
worauf ihnen der Inhalt des glaubensbrüderlichen Grußes
erst verdeutscht wurde. Die französischen Katholiken gingen
ebenso in unsere katholischen Militärgottesdienste zur Messe
— beides Beweise, wie friedlich und gesittet das Verhältnis
der deutschen Truppe zur Einwohnerschaft war.
Eine größere Anzahl völlig oder ziemlich erhaltener
Kirchen lag in unserem Diovisionsbereiche, freilich auch
manche gänzlich zerschossene. Wohl die meisten Gottes-
dienste wurden aber im Freien gehalten, zwischen Dorf-
trümmern, im Schutze stärkerer Hausgiebel, in Wäldern,
in Felskesseln — selbst während der Wintermonate. Ein
paar Beispiele zur Veranschaulichung.
Soldatengräler vor Dper#n
Aus den Tagebüchern des Königs von Sachsen
Der Pfarrer hat am Vormittage in einer größeren über-
füllten Kirche gepredigt, nachdem vier Berufssänger aus
der Truppe mit einem kunsigerechten Chorsatze den Gottes-
dienst eingeleitet hatten; am Nachmittage hat der Prediger
noch etwa zwei Stunden weit zu der vordersten Truppe
durch ein günstiges Waldgelände vorzureiten. Die ganze
Front ist in lebhafte Unruhe gekommen, seitdem wenige
Tage zuvor bei Verdun den Franzosen eine wichtige Panzer-
feste entrissen worden war. Der Feind streut auf der Ver-
längerung der Verdunfront weithin alle ihm bekannten
Schützengräben, Ortsunterkünfte, Zufuhrstraßen, die Feuer-
stellungen der Batterien mit erbittertem Eifer ab. Sogar
Waldschluchten, die seit langem unbehelligt geblieben waren,
belegt er mit unberechenbaren Feuerüberfällen. Also ist
vorsichtiges Reiten und Ausnutzen der Geländedeckungen
ratsam. Der Weg führt durch einen von keinem Franzosen
mehr bewohnten Ort, in dem jetzt deutsche Truppen liegen.
Er wird seit einigen Tagen öfter beschossen. Also in einem
flotteren Trabe durch die lange Dorfgasse. Ebenso über
ein gern vom Feinde heim-
gesuchtes Wegekreuz. Noch
eine ungeschützte Strecke
bis zum Walde. Das Ge-
wehrfeuer der vorderen
Linie schwillt schon an.
Auch die dumpfen Schläge
der platzenden Minen er-
krachen näher.
In dem einstigen Orte,
dem Ziele des Rittes, ist
nur die ganz geschützt lic-
gende Kirche bis auf einen
Dachtreffer unversehrt und
neben ihr das Nachbar-
haus; sonst nichts als
Trümmer. Von hier sind
die Gräben der Truppe
nicht mehr weit und nä-
hern sich denen des Fein-
des bis auf fünfzig Meter,
selbst auf dreißig Meter
Abstand. Der Gottesdienst
für einige abgelöste Kom-
pagnien läßt sich in der
Kirche halten, nur muß
die Ansammlung den feindlichen Fliegern verborgen bleiben.
Als während der Feier ein paar feindliche Minen näher
einschlagen, lauscht die Gemeinde nur einige Augen-
licke, in welcher Richtung die Geschosse kommen und
welche Größe sie haben bönnen, dann sind alle wieder
bei der Sache. Doch vor völliger Dunkelheit ist der
Rückritt nötig. Ob die kurze Kunststraße reitbar ist, die
bisher, weil vom Feinde eingesehen, verboten war, aber
nun seit einigen Tagen durch eine Reisigmaske dem Ein-
blick des Feindes versperrt ist? Die Offiziere meinen, wenn
einzelne Reiter in flottem Trabe und in Abständen ritten,
sei der nahe Weg zu empfehlen. Also los! Mit dem Bur-
schen komme ich auch ungefährdet bis an ein zertrümmer-
tes Dorf, das schon im Talkessel vor uns liegt. Da setzt
die Bescherung ein. Ein Sanitätswagen rast mit scheu ge-
wordenen Pferden an uns vorüber. Doch nach einigen
Granaten wird's stille. Nun eiligst durch das Dorf, das
wir leider der eingeschnittenen Gräben wegen nicht umgehen
können. Doch hart hinter uns her folgen neue Schüsse auf
den Ostausgang. Nach einer guten halben Stunde sind wir
wohlbehalten im Quartier. So geht's wochenlang, monate-
lang bei manchem Vorritt zur vorderen Linie. Gleich der
nächste Tag brachte ein gefährlicheres Gegenstück. An einer
anderen Frontstelle ist der Feldgeistliche zu einem Begräbnis