Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

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von zwei sächsischen Offizieren aus Dresden. Am 22. Jult 
früh zehn Uhr versammelten wir uns unter einem aus 
Holz gezimmerten Pavillon, und über und wölbte sich der 
blaue griechische Himmel, mit dem goldenen, feuerspen- 
denden Sonnenball. Hier war es uns, als ob wir dem 
Himmel näher wären als irgendwo, und als ob unser 
altes Schutz= und Trutzlied „Ein feste Burg ist unser Gott“ 
noch nie so feierlich und kräftig geklungen hätte, als ge- 
rade damals, obwohl wir nur wenig Mann waren, und 
kein Harmonium und kein anderes Musikinstrument zur 
Begleitung bei uns hatten; und als ob das Wort des 
Textes Röm. 12, 12 für niemand anders geschrieben wor- 
den wäre, als gerade für uns! Wie dankbar waren die 
Leute für jedes Wort und jeden Händedruck, und das letzte 
Abschiedswort: „Auf Wiedersehen so Gott will, bald in 
der Heimat!“ — wie aus einem Munde wurde es erwidert, 
und heute noch klingt es mir in den Ohren. 
Feldpredigers Weihnachten 1015 
Von Divisionspfarrer Barchewitz 32. Infanteriedivision, später 
40. Infanteriedivision 
Wir lagen vor der altfranzösischen Stadt Reims mit der 
ehrwürdigen Kathedrale, in der vor mehr denn 1400 Jah- 
    
Gräber bei Sorinne (Schloßpark) 
ren der Frankenkönig Chlodwig zu Weihnachten die christ- 
liche Taufe erhielt, ein bedeutsamer Anfang auch für die 
Christianisierung Deutschlands. 
Schon acht Tage vor Weihnachten hatten die Feiern be- 
gonnen bei Truppenteilen, die gerade in Ruhe, aber am 
Feste in vorderster Stellung waren. Die Hauptfeiern setz- 
ten am Spätnachmittag vor dem Heiligen Abend ein. Im 
Feldlazarett (Neufchätel). Da ging's von Krankensaal zu 
Krankensaal, von Baracke zu Baracke, von den Schwerver- 
wundeten bis zu den fast Genesenen. Treue Begleiter waren 
dabei: die hilfreiche Arzteschaft, die durch weihnachtliche Drei- 
gesänge erfreuenden beiden Schwestern und der Unteroffizier 
von der Aufnahme (daheim Schutzmann), der Feldküster mit 
dem zusammenlegbaren Harmonium vom „Nachbar'christ- 
baum, das in den Lazaretten schon so viel Freude bereitet 
hatte. Wie gern lauschten die sonst leidenden Brüder dem 
Weihnachtsgesang und der Frohbotschaft vom Heiland! Dort 
ein junger Kriegsfreiwilliger, der vierfach verwundet ist, 
aber es sich nicht nehmen läßt, den Gesang der Schwestern 
mit zweiter Stimme zu begleiten. Die Arzte bringen an 
die Betten die mancherlei Gaben, der Pastor bilder- 
geschmückte Weihnachtsbüchlein. Der Abglanz von Dank 
und Freude auf allen Gesichtern. 
Am nächsten Morgen wurde in der Dämmerung losgerit- 
ten. Denn „früh schläft Franzmann“. An der zerschossenen 
Mühle nimmt ein Mann das Perd ab. Zu Fuß, bewaffnet 
mit Gasmaske und Brotbeutel, in dem sich kein Frühstück, 
sondern „Lebensbrot“ in Gestalt von Weihnachtsschriften 
und Blättern befindet, geht's vorwärts. Unter der Eisen- 
bahnbrücke durch, wo der Schlamm so tief, daß man 
zweifelnd fragt: „Welche Stelle willst du wählen?! Wo 
du nur bis zu den Knöcheln oder bis zu den Schäften ein- 
sinkst?“ Unvergessen bleibst du zeitlebens, französischer 
Schlamm und Schmutz! 
Nun aufwärts, zum Teil vom Feind geingesehen“, nach 
der Höhe 100, wo ein Wäldchen unsere Bereitschaftsstel- 
lung verdeckt. In der kleinen, nahen Sandgrube feiern 
wir Weihnacht unter Gottes freiem Himmel wie einst die 
Hirten auf Bethlehems Flur. Dort wie hier derselbe Gruß: 
„Fürchtet euch nicht! Ich verkündige euch große Freude. 
Euch ist heute der Heiland geboren!“ 
Weiter durch einen voller Pfützen stehenden Laufgraben, 
nobel „Zittauer Straße“ genannt, nach dem Friedrichswald, 
wo in der Stille dichter Fcchten ein paar hundert Meter hin- 
term Schützengraben schon zwei Kompagnien Aufstellung ge- 
nommen haben. Zart und leise umrahmt ein Doppel- 
quartett mit alten Weihnachtsweisen die Botschaft, die 
von der tannenumkränzten Feldkanzel erklingt. — Bald 
darauf dasselbe im nächsten Waldstück, wo wir mal bei 
der Feldandacht Sprengstücke von einer Fliegerbeschießung 
erhielten. Damals war der tiefchristliche Major dabei, der 
auch im Feld mit Vaters Gesangbuch aus dem siebziger 
Kriege seine regelmäßige Morgenandacht hielt und — an 
der Somme gefallen — nun Weihnachten feiert im ewigen 
Licht. 
Mittag im Offiziersunterstand, wo gegenseitige Be- 
scherung mit einem lieben Verwandten. Auf dem Phono 
Weihnachtsliebesgabenplatten, neben Gutem auch „Kitsch“ 
wie „Die Musikkapelle vorm Sturmangriff im Schützen- 
graben“, eine „lustige Minennacht!“ Allgemeine Mcinung: 
„Man verschone uns damit! Wir lieben den Frohsinn, 
aber die Dinge sind zu ernst zu solcher Darstellung!“ 
Noch Besichtigung des großen Zeltes, in dem die Kom- 
pagnien feiern und bescheren, während die feindlichen Gra- 
naten darüber ziehen, zu unserer Artillerie, dann geht's zu 
Fuß und ferd nach der nächsten belegten Ortschaft hinter 
der Front (Bertricourt). Der Kirchtum ist abgetragen, um 
keinen Zielpunkt für feindliche Beobachter zu bieten. Die 
Fenster sind durch Papier, Pappe und Zelttücher „abgeblen- 
det“, während das Innere des kleinen Raumes wie wohl nie 
in elektrischem Licht erstrahlt, geschmückt mit Lichterbäumen 
und Tannenranken. Dicht gedrängt stehen die Kameraden 
bis auf die Kanzel. Lächelnd begrüße ich die „Konkurrenz“ 
da droben. Man spricht ja hier meist vom Altar, da die 
Kanzel ungünstig steht. Punkt vier Uhr kommt der Herr 
Regimentskommandeur mit seinen Herren, und das Streich- 
quartett der Kapelle bietet eine feine Weihnachtsmusik, in 
die sich die Weihnachtsgeschichte, Predigt und Lieder ein- 
reihen. Oben im Gebälk musizieren die Vögel mit. . 
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Unterkunftsort unseres Generalkommandos. Vor der Kirche 
wartet schon die „Pastorkutsche“, in welcher die durch Fern- 
spruch bestellten andern Stiefel angezogen werden und aller 
Grabenschmutz beseitigt wird. Heraus aus der Kutsche, 
hinein in die Kirche! Sofort wird das Auge gefesselt durch 
zwei mächtige Tannenbäume, deren elektrische Kerzen allein 
die Kirche erleuchten. Seine Exzellenz (d'Elsa), Mitkämpfer 
von 1870 undan die hundert Off ziere und Beamten versam- 
meln sich mit den Kameraden zur Christvesper, die stim- 
mungsvoll durch einen fein ausgearbeiteten Chorgesang 
norddeutscher „Schipper“ eingeleitet wird. Nach der Vor- 
lesung wirkt wie eine Fortsetzung vom weihnachtlichen Engel- 
gesang die Frauenstimme der deutschen Schwester: „Vom 
Himmel hoch!“ Manches Kriegerauge schimmert feucht. 
Heimwärts wandern die Gedanken zu den Liebsten auf 
Erden. Und weiter wandern sie mit der Weihnachtsandacht 
zur beglückten Mutter in Bethlehem. 
 
	        
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