Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

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nachtstisch gedeckt mit Gaben für die Mannschaft des 
Stabes, von den Damen der Offiziere gespendet. Nach 
Predigt und Gesang richtete der Kommandeur, Exzellenz 
von Tettenborn, markige Worte an die Versammelten, sprach 
vom Feind, vor dem wir stehen, von der Heimat, die wir 
schätzen, von der Hoffnung auf Sieg und glückliche Hemkehr. 
Die eigenartigste Feier aber war wohl die letzte, die ich 
an diesem Weihnachtofeste halten durfte. Sie galt einem 
Häuflein braber Landskurmmänner, die an der Bahn ein- 
tönigen Wachtdienst taten. Es waren ruhige, stille Leute, 
fast alle Familienväter, und in diesen Tagen mehr noch als 
sonst mit ihren Gedanken bei Weib und Kind. Als ich 
kürzlich sie besucht, hatte ich ihnen das Wiederkommen am 
Feste versprechen müssen. Es war schon dunkel, die Sterne 
flimmerten am Himmel, ein eisiger Hauch strich über die 
Felder, als ich am zweiten Feiertag auf müdem Noß nach 
dem Güterschuppen des Bahnhofs Moussey ritt. Der Naum 
war für den Gottesdienst so dürftig wie möglich. Uber sich 
hatte man das nackte Dach und das Gebälk. Auf ein paar 
Ziegel waren lose Bretter gelegt: das waren die Bänke. 
Ein Mann hockte am Boden auf einem Holzklotz und spielte 
die Zither: das war die Orgel. Ein paar Kisten waren auf- 
einander gesetzt, darauf stand ein kümmerliches Christ- 
bäumchen: das war der Altar. In Mänteln und Mütze 
saßen die Leute da wegen der Kälte. Und doch habe ich 
kaum je einen stimmungsvolleren Weihnachtsgottesdienst 
erlebt. Die Armlichkeit des Naumes war wie eine Erinne= 
rung an die erste Weihnachtsfeier. Die Leute kamen mir 
vor wie die Hirten, die in dunkler Nacht gekommen waren, 
das Christkind anzubeten. Still, versonnen, seltsamen Glanz 
in den Augen saßen sie da, und während sie in den schim- 
mernden Schein der Kerzen blickten, waren ihre Seelen 
wohl weit entrückt in die deutsche Heimat. — 
Und nun noch eine Weihnachtsfeier, die letzte im folgenden 
Jahre! Weit hinten in einem Dörfehen, nahe dem Fuße der 
Vogesen im deutschen Gebiet, lag eine Artillerie-Munitions= 
kolonne. So gern war ich immer zu ihr gekommen. Denn 
wir waren gute Freunde geworden. Spät fuhr ich am 
zweiten Weihnachtstage noch dorthin, müde, denn ein großes 
Tagewerk lag hinter mir. Eine cvangel sche Forsthegerfami- 
lie, die sich immer schon treu zu unseren Gottesdiensten 
gehalten hatte, wurde unterwegs in den Wagen aufgenom- 
men. Doch der Anblick, der sich mir beim Betreten des 
Gotteshauses bot, genügte, um mir sofort die Frische wie- 
derzugeben. Die ganze Kirche war dicht gefüllt. Auf den 
Bänken im Schiff saßen unsere Feldgrauen, brennende 
Kerzen oder Karbidlampen vor sich. Unter ihnen, soweit 
Platz war, die einzige evangelische Familie des Ortes und 
sonstige Dorfbewohner. Ja, noch mehr: auf den Emporen 
standen sie, Kopf bei Kopf, groß und klein; wohl der größte 
Teil des Dorfes war in der Kirche versammelt. Zwei 
prächtige Christbäume strahlten am Altarplatz. Der Gottes- 
dienst begann. Die feierlichen Weisen des Händelschen Largo, 
von einem freiwilligen Bäserchor vorgelragen, klangen durch 
den Naum. Auf Vorlesung und Gesang folgte die Predigt. 
Und in lautloser Stille lauschten alle, auch die katholischen 
Dorfbewohner. 
Erst nachträglich wurde ich über den Sachverhalt auf- 
geklärt. Bekanntlich ist unsere deutsche Weihnachtsfeier mit 
ihren tiefsinnigen, gemütvollen Bräuchen der lothringischen 
Bevölkerung fremd. Als sie nun von dem bevorstehenden 
Weihnachtogottesdienst gehört, hatte sich der Dorfbewohner 
ein unbezähmbares Verlan zen bemächtigt, einmal eine 
deutsch-evangelische Christfeier kennen zu lernen. So waren 
sie in Scharen ins Gotteshaus geströmt, und selbst der 
Respekt vor ihrem Herrn Pfarrer, der über solche Wiß- 
begierde wenig erfreut war, hatte nicht vermocht, sie von 
ihrem Vorhaben abzubringen. Sogar die katholische Dorf- 
schullehrerin saß mit unter den Ungehorsamen auf der 
  
Kirchenbank. Der Eindruck, den sie von unsrer Feier ge- 
wonnen haben, muß ein sehr guter gewesen sein. Denn ich 
wurde von den Einwohnern, wenn ich wiederkehrte, immer 
recht freundlich gegrüßt. Auch die Kritik ist mir zu Ohren ge- 
kommen: Die Feier habe ihnen recht wohl gefallen. „Schade 
nur, daß er — der Prediger — ein Evangelischer ist.“ — 
Stimmungsbilder von der Sachsenfront 
Von Kummer, ehemaligem Feldgeisilichen der 23. Insanteriedioision 
Aus der Sommeschlacht im Oktober 1916. In Mesnil 
St. Nicaise bei Neole. 
Die 23. Division liegt in vorderster Linie. Engste Belegung 
deo Orts. Bodenloser Schmutz. 10 Minuten vom Dorf der 
Hauptverbandplatz, bei dem täglich bis zu 600 Verwundete 
durchgehen. Halbwegs an einer Straßengabelung der Sol- 
datenfriedhof, der in raschem Wachstum begriffen ist. Nach 
ausgearbeitetem Plane müssen täglich zehn Gräber bereit 
sein. Es wird alles in Sarg und Einzelgrab beerdigt. Vom 
Verbandplatz werden die Särge in feierlichem Zuge unter 
Vorantritt der Musik herüber getragen. Von der Front 
kommen die Leichen auf Leiterwagen, liegen erstarrt und 
beschmutzt am Boden, bis sie eingesargt werden können. 
underie von dienstfreien Soldaten in Mütze und ohne 
VBaffe stehen darum, während die Begleitmannschaften im 
Dienstanzuge teilnehmen. Auf allen Gersichtern liegt tiefer 
Ernst und große Aufmerksamkeit, manche Träne rinnt über 
durchfurchte Wangen. Und wenn der Choral ertönt: „Jesus, 
meine Zuversicht“ oder das Abschiedslied erklingt: „Ich 
hatt' einen Kameraden“, da greift es manchem ins innerste 
Herz hinein. Ist aber ein Offiuer unter den Toten, der 
dem Regiment angehört hat, dann wird ihm zum Schluß 
noch der Regimentsmarsch gespielt, bei dem ihm die Kame- 
raden mit der Hand am Helm noch den letzten Gruß der 
Treue nachwinken. — Wie lange noch? Die Truppe ist mehr 
und mehr abgekämpft; wie soll sie sieh seilisch aufrecht er- 
halten? „Herr Pfarrer,“ruft mir Major v. J. zu, „nun müssen 
Sie uns wieder einmal einen Gottesdienst halten, einen 
ordentlichen, Sie wissen schon, mit „Ein feste Burg ist unser 
Gott!“ Er wurde angesetzt für den nächsten Vormittag, und 
zur selben Stunde kam der ersehnte Befehl zur Ablösung. 
Ein anderes Bild bot die Weihnachtsfeier der Leibkom- 
pagnie in Anwesenheit Sr. Kgl. Hoheit des Kronprinzen 
Georg in einer Ererzierscheune zu Noiglise. Diese war mit 
großen Tannenbäumen ausgeschmückt und, da ausgerechnet 
an diesem Abend die elektrische Beleuchtung versagte, mit 
mröglichst vielen Elhtern, wenigsteno in ein magisches Halb- 
dunkel versetzt worden. Die Feier verlief nach aufgestelltem Pro- 
gramm, das auch die Vor lesung des Weihnachtsevangeliums 
mit Unterbrechung durch einige Chorgesänge enthirlt und 
nach der geistlichen Ansprache mit einem Melodram abschloß, 
das, von Feldwebel Hoboist Kaufmann gedichtet, komponiert 
und deklamiert, Landwehrmanns Kriegöoweihnachten auf Ur- 
laub, im Lazarett und auf Posten zur Darstellung brachte. 
Manche alten Grenadiere wurden durch Anrede ihres ehe- 
maligen Kompagnieführers geehrt, Dresdener Damen hatten 
reichliche Gaben gespendet, vom Kronprinzen erhielt jeder 
ein Andenken, die Unteroffiziere sogar eine Flasche Wein 
aus dem Kgl. Hofkeller, und wenn auch die Feier einmal 
eine Stunde unterbrochen werden mußte, weil ein Gas- 
angriff an der Front die Alarmierung der Kompagnie nötig 
machte, so ging sie dann desto fröhlicher weiter, alo man 
ohne abzurücken das Sturmgepäck wieder abgelegt hatte. 
Am Weihnachtvabend selber aber bat mancher seine Weih- 
nachtsfeier für sich gehalten, wo in einsamer Stille sein 
Blick auf dem Brief aus der Heimat, auf dem Bild seiner 
Lieben, auf der kleinen Gabe eines Kindes ruhte und es 
ihm unvergeßlich feierlich und wehmütig durch die Seele 
gegangen ist: Stille Nacht — heilige Nacht! 
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