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nachtstisch gedeckt mit Gaben für die Mannschaft des
Stabes, von den Damen der Offiziere gespendet. Nach
Predigt und Gesang richtete der Kommandeur, Exzellenz
von Tettenborn, markige Worte an die Versammelten, sprach
vom Feind, vor dem wir stehen, von der Heimat, die wir
schätzen, von der Hoffnung auf Sieg und glückliche Hemkehr.
Die eigenartigste Feier aber war wohl die letzte, die ich
an diesem Weihnachtofeste halten durfte. Sie galt einem
Häuflein braber Landskurmmänner, die an der Bahn ein-
tönigen Wachtdienst taten. Es waren ruhige, stille Leute,
fast alle Familienväter, und in diesen Tagen mehr noch als
sonst mit ihren Gedanken bei Weib und Kind. Als ich
kürzlich sie besucht, hatte ich ihnen das Wiederkommen am
Feste versprechen müssen. Es war schon dunkel, die Sterne
flimmerten am Himmel, ein eisiger Hauch strich über die
Felder, als ich am zweiten Feiertag auf müdem Noß nach
dem Güterschuppen des Bahnhofs Moussey ritt. Der Naum
war für den Gottesdienst so dürftig wie möglich. Uber sich
hatte man das nackte Dach und das Gebälk. Auf ein paar
Ziegel waren lose Bretter gelegt: das waren die Bänke.
Ein Mann hockte am Boden auf einem Holzklotz und spielte
die Zither: das war die Orgel. Ein paar Kisten waren auf-
einander gesetzt, darauf stand ein kümmerliches Christ-
bäumchen: das war der Altar. In Mänteln und Mütze
saßen die Leute da wegen der Kälte. Und doch habe ich
kaum je einen stimmungsvolleren Weihnachtsgottesdienst
erlebt. Die Armlichkeit des Naumes war wie eine Erinne=
rung an die erste Weihnachtsfeier. Die Leute kamen mir
vor wie die Hirten, die in dunkler Nacht gekommen waren,
das Christkind anzubeten. Still, versonnen, seltsamen Glanz
in den Augen saßen sie da, und während sie in den schim-
mernden Schein der Kerzen blickten, waren ihre Seelen
wohl weit entrückt in die deutsche Heimat. —
Und nun noch eine Weihnachtsfeier, die letzte im folgenden
Jahre! Weit hinten in einem Dörfehen, nahe dem Fuße der
Vogesen im deutschen Gebiet, lag eine Artillerie-Munitions=
kolonne. So gern war ich immer zu ihr gekommen. Denn
wir waren gute Freunde geworden. Spät fuhr ich am
zweiten Weihnachtstage noch dorthin, müde, denn ein großes
Tagewerk lag hinter mir. Eine cvangel sche Forsthegerfami-
lie, die sich immer schon treu zu unseren Gottesdiensten
gehalten hatte, wurde unterwegs in den Wagen aufgenom-
men. Doch der Anblick, der sich mir beim Betreten des
Gotteshauses bot, genügte, um mir sofort die Frische wie-
derzugeben. Die ganze Kirche war dicht gefüllt. Auf den
Bänken im Schiff saßen unsere Feldgrauen, brennende
Kerzen oder Karbidlampen vor sich. Unter ihnen, soweit
Platz war, die einzige evangelische Familie des Ortes und
sonstige Dorfbewohner. Ja, noch mehr: auf den Emporen
standen sie, Kopf bei Kopf, groß und klein; wohl der größte
Teil des Dorfes war in der Kirche versammelt. Zwei
prächtige Christbäume strahlten am Altarplatz. Der Gottes-
dienst begann. Die feierlichen Weisen des Händelschen Largo,
von einem freiwilligen Bäserchor vorgelragen, klangen durch
den Naum. Auf Vorlesung und Gesang folgte die Predigt.
Und in lautloser Stille lauschten alle, auch die katholischen
Dorfbewohner.
Erst nachträglich wurde ich über den Sachverhalt auf-
geklärt. Bekanntlich ist unsere deutsche Weihnachtsfeier mit
ihren tiefsinnigen, gemütvollen Bräuchen der lothringischen
Bevölkerung fremd. Als sie nun von dem bevorstehenden
Weihnachtogottesdienst gehört, hatte sich der Dorfbewohner
ein unbezähmbares Verlan zen bemächtigt, einmal eine
deutsch-evangelische Christfeier kennen zu lernen. So waren
sie in Scharen ins Gotteshaus geströmt, und selbst der
Respekt vor ihrem Herrn Pfarrer, der über solche Wiß-
begierde wenig erfreut war, hatte nicht vermocht, sie von
ihrem Vorhaben abzubringen. Sogar die katholische Dorf-
schullehrerin saß mit unter den Ungehorsamen auf der
Kirchenbank. Der Eindruck, den sie von unsrer Feier ge-
wonnen haben, muß ein sehr guter gewesen sein. Denn ich
wurde von den Einwohnern, wenn ich wiederkehrte, immer
recht freundlich gegrüßt. Auch die Kritik ist mir zu Ohren ge-
kommen: Die Feier habe ihnen recht wohl gefallen. „Schade
nur, daß er — der Prediger — ein Evangelischer ist.“ —
Stimmungsbilder von der Sachsenfront
Von Kummer, ehemaligem Feldgeisilichen der 23. Insanteriedioision
Aus der Sommeschlacht im Oktober 1916. In Mesnil
St. Nicaise bei Neole.
Die 23. Division liegt in vorderster Linie. Engste Belegung
deo Orts. Bodenloser Schmutz. 10 Minuten vom Dorf der
Hauptverbandplatz, bei dem täglich bis zu 600 Verwundete
durchgehen. Halbwegs an einer Straßengabelung der Sol-
datenfriedhof, der in raschem Wachstum begriffen ist. Nach
ausgearbeitetem Plane müssen täglich zehn Gräber bereit
sein. Es wird alles in Sarg und Einzelgrab beerdigt. Vom
Verbandplatz werden die Särge in feierlichem Zuge unter
Vorantritt der Musik herüber getragen. Von der Front
kommen die Leichen auf Leiterwagen, liegen erstarrt und
beschmutzt am Boden, bis sie eingesargt werden können.
underie von dienstfreien Soldaten in Mütze und ohne
VBaffe stehen darum, während die Begleitmannschaften im
Dienstanzuge teilnehmen. Auf allen Gersichtern liegt tiefer
Ernst und große Aufmerksamkeit, manche Träne rinnt über
durchfurchte Wangen. Und wenn der Choral ertönt: „Jesus,
meine Zuversicht“ oder das Abschiedslied erklingt: „Ich
hatt' einen Kameraden“, da greift es manchem ins innerste
Herz hinein. Ist aber ein Offiuer unter den Toten, der
dem Regiment angehört hat, dann wird ihm zum Schluß
noch der Regimentsmarsch gespielt, bei dem ihm die Kame-
raden mit der Hand am Helm noch den letzten Gruß der
Treue nachwinken. — Wie lange noch? Die Truppe ist mehr
und mehr abgekämpft; wie soll sie sieh seilisch aufrecht er-
halten? „Herr Pfarrer,“ruft mir Major v. J. zu, „nun müssen
Sie uns wieder einmal einen Gottesdienst halten, einen
ordentlichen, Sie wissen schon, mit „Ein feste Burg ist unser
Gott!“ Er wurde angesetzt für den nächsten Vormittag, und
zur selben Stunde kam der ersehnte Befehl zur Ablösung.
Ein anderes Bild bot die Weihnachtsfeier der Leibkom-
pagnie in Anwesenheit Sr. Kgl. Hoheit des Kronprinzen
Georg in einer Ererzierscheune zu Noiglise. Diese war mit
großen Tannenbäumen ausgeschmückt und, da ausgerechnet
an diesem Abend die elektrische Beleuchtung versagte, mit
mröglichst vielen Elhtern, wenigsteno in ein magisches Halb-
dunkel versetzt worden. Die Feier verlief nach aufgestelltem Pro-
gramm, das auch die Vor lesung des Weihnachtsevangeliums
mit Unterbrechung durch einige Chorgesänge enthirlt und
nach der geistlichen Ansprache mit einem Melodram abschloß,
das, von Feldwebel Hoboist Kaufmann gedichtet, komponiert
und deklamiert, Landwehrmanns Kriegöoweihnachten auf Ur-
laub, im Lazarett und auf Posten zur Darstellung brachte.
Manche alten Grenadiere wurden durch Anrede ihres ehe-
maligen Kompagnieführers geehrt, Dresdener Damen hatten
reichliche Gaben gespendet, vom Kronprinzen erhielt jeder
ein Andenken, die Unteroffiziere sogar eine Flasche Wein
aus dem Kgl. Hofkeller, und wenn auch die Feier einmal
eine Stunde unterbrochen werden mußte, weil ein Gas-
angriff an der Front die Alarmierung der Kompagnie nötig
machte, so ging sie dann desto fröhlicher weiter, alo man
ohne abzurücken das Sturmgepäck wieder abgelegt hatte.
Am Weihnachtvabend selber aber bat mancher seine Weih-
nachtsfeier für sich gehalten, wo in einsamer Stille sein
Blick auf dem Brief aus der Heimat, auf dem Bild seiner
Lieben, auf der kleinen Gabe eines Kindes ruhte und es
ihm unvergeßlich feierlich und wehmütig durch die Seele
gegangen ist: Stille Nacht — heilige Nacht!
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