Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

sammenzusuchen und möglichst vollzählig dem Empfänger 
zuzuführen, nicht dazu bei, die Arbeit zu beschleunigen. 
Wer stundenlang sich an diesem Sortiergeschäft beteilegt 
hatte, dessen blauer Rock war vollständig mit einer dicken 
graubraunen Staubschicht überzogen. 
Eine weitere bis dahin unbekannte Steigerung der Ar- 
beitslast erwuchs uns dadurch, daß nunmehr die Rück- 
briefe in großen Massen der Feldpost zuströmten. Das 
sind die Sendungen, die den Truppenteilen falsch zuge- 
gangen sind, weil der Empfänger sich gar nicht bei ihnen 
befindet, sowie die, deren Empfänger inzwischen verwun- 
det, erbrankt, vermißt oder gefallen sind. Die Zahl der 
den Truppenteilen unrichtig zugegangenen Sendungen war 
in den ersten Monaten des Krieges besonders hoch. Es 
kam dies daher, daß die Aufschriften der Sendungen viel- 
fach unrichtig waren. Und das wiederum war erklärlich, 
weil viele Truppenkörper, namentlich die große Menge der 
Korpstruppen: alle Proviant-, Fuhrpark-, Munitionskolon= 
nen, Sanitätskompagnien, Lazarette usw., bei der Mobil- 
machung neu zusammengestellt und aus Mannschaften der 
verschiedensten Stammtruppen zusammengesetzt waren. Den 
Absendern war vielfach die neue Aufschrift nicht oder nicht 
genau bekannt geworden, und eine große Zahl von Sen- 
dungen trug in der Aufschrift die Angabe des Stamm- 
truppenteils oder der Formation, für die der Empfänger 
ursprünglich einberufen war, während er längst einer an- 
dern Formation angehörte. Bei der Schnelligkeit des Vor- 
marsches hatten die Truppen keine Zeit gefunden, diese 
Sendungen ordnungsmäßig mit einem zutreffenden Ver- 
merk zu versehen und sie der Feldpost zurückzugeben; 
zum Teil waren die Vorschriften über die Behandlung 
der unanbringlichen Sendungen den Truppen auch noch 
nicht genügend bekannt und geläufig gewesen. Nun, wo 
der Bewegungskrieg abgeschlossen war, wurde das Ver- 
säumte nachgeholt, und diese Sendungen überschwemmten 
geradezu die Feldpost. Dazu kam noch, daß wir auch viel- 
fach Nückbriefe von Truppen erhielten, die eigentlich zu 
einer andern Feldpost gehörten. Wie aber damals die 
Verhältnisse lagen, ließ es sich gar nicht durchführen, die 
rückliefernden Formationen auf ihre eigene Feldpost zu 
verweisen. 
Endlich wuchs die Auflieferung von Sendungen nach der 
Heimat, sobald der Stellungskrieg begonnen hatte, ganz 
gewaltig, denn viele Leute fingen jetzt erst richtig den 
Schriftwechsel mit der Heimat an, nachdem ihnen bei den 
großen Märschen und Anstrengungen des Bewegungskrieges 
dazu nicht die nötige Zeit geblieben war. Einen geradezu 
riesenhaften Umfang nahmen um diese Zeit die Einzah- 
lungen nach der Heimat an. Die meisten Leute hatten sich 
von den Verhältnissen in Feindesland ganz irrige Vor- 
stellungen gemacht, geglaubt, daß sie wie in der Heimat 
nach Belieben einkaufen könnten, was sie brauchten, und 
sich beim Ausmarsch mit Barmitteln versehen. Nun hatten 
sie schon auf dem Vormarsch erkannt, daß die Wirklichkeit 
diesen Erwartungen nicht im geringsten entsprach. Zu 
kaufen gab es von der Bevölkerung des feindlichen Landes 
so gut wie nichtsü; Marketendereien und ähnliche Ein- 
richtungen zur Versorgung der Truppen waren noch nicht 
vorhanden. Außerdem war auch längst bekannt geworden, 
daß Mannschaften und Offiziere, die in französische Ge- 
fangenschaft gerieten, ihrer Barmittel fast stets beraubt 
wurden. So beeilte sich denn jeder, sein überflüssiges 
Geld nun, wo Zeit und Gelegenheit sich bot, nach Hause 
zu schicken. Auch hierbei ging der Verkehrsumfang beim 
Feldpostamt weit über das hinaus, was dem Jahlenver- 
hältnis der Korpstruppen entsprochen haben würde. Das 
lag daran, daß das Feldpostamt in dieser Zeit der Front 
näher und für viele Truppen bedeutend günstiger lag als 
ihre eigenen Divisions-Postanstalten. Um eine Andeutung 
407 
von dem Umfange des Verkehrs zu geben, kann ich es mir 
nicht versagen, Zahlen zu nennen. In den 20 Tagen vom 
20. September bis zum 10. Oktober wurden beim Feld- 
postamt 3800 Postanweisungen über 360 Ooo Mark auf- 
geliefert. Diese Zahlen sind in der Folgezeit nie wieder 
erreicht worden. Der riesige Geldverkehr machte es nötig, 
gerade zu jener Zeit, wo alle Kräfte dringend von früh 
bis in die Nacht gebraucht wurden, zwei Beamte lediglich 
mit der Postanweisungsannahme zu beschäftigen. Damalo 
war noch viel Gold= und Silbergeld bei der Truppe vor- 
banden, und die gesamten Einzahlungen wurden in barem 
Gelde geleistet, nicht wie später bargeldlos. Eine Er- 
schwerung für diesen Dienstzweig lag weiter darin, daß die 
Feldpost noch mit alten Postanweisungsvordrucken arbeitete, 
deren dunkelblaue Farbe sehr ungeeignet war und äußerst 
störend wirkte, und daß diese alten Vordrucke nicht mit 
einem anhängenden Einlieferungsschein versehen waren, so 
daß zu jeder Postanweisung vom Feldpostpersonal eine be- 
sondere schriftliche Empfangsbescheinigung ausgestellt wer- 
den mußte. 
Am 29. September erhielten wir zum erstenmal Post 
aus der Heimat durch Vermittlung des Armee-Posidirektors 
der 7. Armee, dem wir bereits seit dem 15. zugeteilt waren; 
die Beutel waren meist am 18. und 19. abgesandt, die 
Sendungen also 11—12 Tage alt. Von nun an wurde 
die Verbindung über die Etappenstraße der 7. Armee die 
Regel, wenn und auch daneben immer noch Post vom Armec- 
Postdirektor der 3. Armee zuging, der inzwischen nach 
Rethel übergesiedelt war. Diese Verbindung hörte erst 
Mitte Oktober gänzlich auf. 
Am 8. Oktober wurde der Sitz des Generalkommandos 
von Amifontaine nach Neudchatel verlegt, und damit sie- 
delte auch die Feldpost dorthin über. Die Unterkunft in 
Neufchatel war wesentlich besser, das französische Postamt, 
das für die Annahme und zur Bearbeitung der abgehenden 
Post diente, größer als das in Amifontaine; die eingehende 
Post wurde in einem leerstehenden Hause bearbeitet, das 
genügend Naum dafür bot. Die Post ging uns zunächst 
mit einiger Regelmäßigkeit von Laon mit Kraftwagen zu. 
Nach etwa acht Tagen traten Unregelmäßigkeiten ein, weil 
der Standort des Armee-Posidirektors von La Fere nach 
Montcornet und gleichzeitig der Leitpunkt für die 7. Armee 
von Köln nach Trier verlegt wurde. Im allgemeinen besser- 
ten sich die Postverhältnisse von Woche zu Woche, die Be- 
förderungsdauer der Briefe von der Heimat betrug, als wir 
am 21. Oktober Neufchatel verließen, im Durchschnitt nur 
noch acht Tage. Die Zeit des Aufenthalts dort hatten wir 
benutzt, um unsere Einrichtungen etwas mehr den Anforde- 
rungen des gewaltigen Verkehrs anzupassen, als es die 
Feldpostdienstordnung vorgesehen hatte. Wie bereits er- 
wähnt, musste die ankommende Post auf etwa 100 Beutel 
verteilt werden. Das ließ sich, wenn jeder Zeitverlust ver- 
mieden werden sollte, nur durchführen, wenn man die 
nötige Zahl von Beuteln, wie es auch im Friedenobetriebe 
geschieht, handgerecht in Reichweite aufhängen konnte. Unter 
den Verhältnissen des Bewegungskrieges half man sich 
mit Stangen, Leitern und ähnlichen Mitteln, an denen die 
Briefsäcke mit Nägeln befestigt wurden. Das ist indeo 
nur ein Notbehelf, der auch nicht zur Erhaltung der Säcke 
beiträgt. Wir ließen also in der französischen Schmiede 
aus leichten Eisenstangen mehrere jederzeit auseinander- 
nehmbare Gestelle anfertigen, an denen die Säcke mit 
Klammern, die wir aus der Heimat bezogen hatten, auf- 
gehängt werden konnten. Ferner vervollständigten wir unsere 
Ausrüstung, wie es die fortschreitende Jahreszeit nötig 
machte, durch Beschaffung einer Neihe von Petroleum- 
lampen, Kochtöpfen usw. . 
Nach einigen Wochen, am 21. Oktober, siedelte das 
Generalkommando nach Montaigu über. Da dort nicht
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.