Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

408 
genug Platz für alle Abteilungen war, bezogen die Inten- 
dantur, Kriegskasse, Proviantamt und Feldpost Unterkunft 
auf dem etw 2 km entfernten Bahnhof St. Erme an der 
Strecke Laon—Reims. Hier fanden wir einen geeigneten 
Dienstraum in einem Gasthause, während die Annahme- 
stelle im Nachbarhause untergebracht wurde. Die Post 
wurde uns bie auf weiteres von der Feldpoststation in Laon, 
die die Verteilung für die Feldpostanstalten der 7. Armee 
zu besorgen hatte, mit Kraftwagen zugeführt. Auf der 
Rückfahrt nahmen sie die Post nach der Heimat mit. Wenn 
auch der Zugang der Post fortgesetzt regelmäßiger wurde, 
mußte doch immer wieder bei heimatlichen Dienststellen auf 
größere Schnelligkeit in der Uberführung gedrängt werden. 
Die Beförderungsdauer der Beutel von Berlin und Leipzig 
betrug Anfang November im Durchschnitt immer noch 
6 Tage. Das war ja gegen die Zustände einen Monat 
vorher schon eine sehr große Besserung; wir vermochten 
aber nicht zu begreifen, weshalb die Beförderung bis zum 
Leitpunkt Trier 41½ Tage dauerte, denn von Trier bis zu 
uns brauchten die Beutel nur 1½ Tage. In der Folgezeit 
erwies sich dieser Zustand als recht wohl verbesserungs- 
fähig, denn unserer fortgesetzten Einwirkung auf die hei- 
mischen Dienststellen gelang es zu erreichen, daß schon 
am 1. Januar lals die Beförderungczeit der Beutel von 
Berlin nur noch 3, 4, der von Leipzig 3, 2 Tage im Durch- 
schnitt betrug. 
Die Schwierigkeiten waren allerdings in der Heimat 
nicht gering gewesen. Was für die Beförderung der Feld- 
post besonders ungünstig war, dac war die Einschränkung 
im Betriebe der Eisenbahnen, die zu jener Zeit noch lange 
nicht wieder in dem zu Friedenszeiten gewohnten Umfange 
verkehrten. Vermehrt wurden diese Schwierigkeiten da- 
durch, daß es brauchbare Kursbücher damals nicht gab, 
daß somit eigentlich keine Ober-Postdirektion über die Zug- 
verbindungen viel weiter Bescheid wußte, als ihr eigener 
Bezirk reichte. Das erste Kursbuch für die Kriegozeit er- 
hielten die Ober-Postdirektionen erst am 9. Dezember 1914. 
Anfangs Dezember hatte ich im Auftrage des General- 
kommandos eine Dienstreise nach Trier, Frankfurt, Leipzig 
und Dresden auszuführen, um festzustellen, worauf die 
vielfach zu beobachtenden Unregelmäßigkeiten der Briefpost, 
namentlich aus Dresden, zurückzuführen wären, und, wenn 
möglich, für Abhilfe zu sorgen. Die Postsammelstellen in 
Trier, Frankfurt und Leipzig waren, wie sich bei Stichproben 
herausstellte, glatt. Zeitweilig waren in Trier Stockungen 
dadurch entstanden, daß die Postanstalten des Bezirks 
Koblenz der Sammelstelle Trier zugeteilt wurden, und 
daß wiederholt die Räume der Sammelstelle erweitert 
werden mußten. In Frankfurt herrschte eine allgemeine 
starke Stauung infolge der Riesenmassen von Weihnachts- 
paketen für die Truppen, so daß die Eisenbahn den Ver- 
kehr mit Postsackwagen — d. (. geschlossene Eisenbahn- 
güterwagen — überhaupt sperren wollte. Im argen lag 
dort besonders die Umladung und Weiterbeförderung der 
Beutel. Wegen allgemeiner Uberlastung der Bahnposten 
konnte dort keine Gewähr dafür übernommen werden, daß 
die Beutel regelmäßig mit den nächsten Bahnposten Be- 
förderung erhielten. Endlich in Leipzig erlitt die Beförde- 
rung der Beutel vielfach Verzögerungen, weil die Tunnel- 
und Aufzuganlagen des dortigen neuen Hauptbahnhofes 
noch nicht fertig waren. Die Hauptschuld an der langsamen 
Beförderung der Briefpost und an den vorkommenden Ver- 
zögerungen lag aber nach meinen Feststellungen darin, 
daß die eigentliche Nachrichtenpost (Briefe, Postkarten und 
Zeitungen) nicht scharf von den Päckchenbenteln getrennt 
wurde. So kam es, daß die Nachrichtenpost zum Teil zu- 
sammen mit den Päckchenbeuteln in Eisenbahngüterwagen 
mit Eilgüterzügen befördert wurde, anstatt in den Bahn- 
postwagen der regelmäßigen Personen= und Schnellzüge. 
Natürlich mußte das Verzögerungen um Tage zur Folge 
Fabsn, Diesem Ubelstande wurde denn auch bald abge- 
olfen. 
Wenigstens für das engere Generalkommando hatten. 
wir schon im Oktober eine schnellere Briefbeförderung zu 
erzielen versucht. Das Armee-Oberkommando der 7. Armee 
unterhielt in jenen Monaten eine Kraftwagenverbindung. 
wischen Laon und Trier, die namentlich auch die neuesten 
Zeitungen mitbrachte. Nachdem das Generalkommando dem 
Feldpostamt Ende Oktober einen Kraftwagen zur Ver- 
ügung gestellt hatte, gelang es uns, Anschluß an jene 
A--O.-K.-Verbindung zu gewinnen und damit auch einige 
eilige Briefbeutel von der Postsammelstelle Leipzig be- 
fördern zu lassen. An Regelmäßigkeit ließ diese Ver- 
bindung freilich wie jede Ausnahmeeinrichtung manches zu 
wünschen übrig, zumal die Kraftwagen zwischen Laon und. 
Trier nur jeden zweiten Tag verkehrten. 
Der Bahnhof St. Erme, wo allmählich auch eine Marke- 
tenderei entstand, war in jenen Monaten ein bedeutender 
Verkehropunkt, denn die Korpotruppen hatten dort täg- 
lich Lebenomittel und Post in Empfang zu nehmen. Nach- 
mittags fanden sich gewöhnlich s0 bis 60 Fuhrwerke ein, 
die in langen Reihen warteten. Dieser starke Verkehr blieb- 
natürlich den feindlichen Fliegern kein Geheimnis. Sie 
ließen sich durch das bei der alten Mühle des Dorfes 
St. Erme aufgestellte Abwehrgeschütz nicht hindern, uns 
ab und zu mit einem Besuche zu beehren. Doch niemand 
kümmerte sich sonderlich darum. Am Nachmittag des 
3. November — wir hatten von der Anwesenheit eines 
Fliegers keine Ahnung — wurde unser Haus durch einen 
mächtigen Knall erschüttert. Eine Fliegerbombe war auf 
den Dachrand des Hauses an der Hofseite gefallen, die 
Splitter hatten auf dem Boden und in den oberen Räumen 
allerhand Unheil angerichtet, ein Splitter war in die Küche 
gefahren und hatte die französische Magd tödlich verletzt. 
Wir hatten außerordentlich viel Glück. Wäre die Bombe 
nur wenige Meter weiter in unsern großen Betriebsraum 
gefallen, wo sich zu jener Zeit vielleicht 30—40 Mann 
aufhielten, sie würde schwere Verluste verursacht haben. 
In Wirklichkeit erlitt nur ein Feldpostillion von einer un- 
serer Divisionen eine unbedeutende Schramme an der Hand, 
sonst wurde niemand verletzt. Beschädigt wurden von 
Bombensplittern unser Kraftwagen auf dem Hofe, sowie 
der Haferwagen, der in der Längsrichtung glatt durch- 
schlagen wurde. Auch die Pferde, zwischen denen einige 
Splitter durchgefahren waren, blieben glücklicherweise un- 
verletzt. Besonders konnte ein Feldpostsekretär von Glück 
sagen. Er lag im Obergeschoß des Hauses wegen heftiger 
Bindehautentzündung im verdunkelten Zimmer zu Bett, 
als die Bombe sich entlud. Einer von den Splittern flog 
vom Boden durch die Decke, schrammte an der Wand ent- 
lang und blieb in dem Kissen, mit dem er sich zugedeckt 
hatte, stecken, ohne ihn zu verletzen. — Ein anderer Fall, 
daß ein Flieger in unmittelbarer Nähe der Feldpost Bomben 
abwarf, ereignete sich am 20. Dezember. Irgendwelcher 
bedeutender Schaden wurde dadurch jedoch nicht angerichtet, 
nur wurden in einem Viehwagen mehrere Schweine ver- 
letzt und getötet und dienten in den nächsten Tagen zur 
Verbesserung der Feldkost. 
Zeiten hoher Anspannung waren während unseres Auf- 
enthalts in St. Erme die Päckchenwochen, d. h. die Wochen, 
in denen das Reichspostamt damals ausnahmsweise die 
Versendung von Pfundpäckchen nach dem Felde zuließ. 
Dann schwoll die Zahl der eingehenden Beutel ganz ge- 
waltig an und hochaufgestapelt füllten sie manchmal einen 
großen Teil unseres Betriebsraums. Unter anderem hat 
in einer solchen Päckchenwoche die Feldposterpedition der 
23. J.-D. an einem Tage mehr als 1000 Beutel erhalten, 
die in St. Erme ausgeladen werden mußten; die Zahl 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.