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genug Platz für alle Abteilungen war, bezogen die Inten-
dantur, Kriegskasse, Proviantamt und Feldpost Unterkunft
auf dem etw 2 km entfernten Bahnhof St. Erme an der
Strecke Laon—Reims. Hier fanden wir einen geeigneten
Dienstraum in einem Gasthause, während die Annahme-
stelle im Nachbarhause untergebracht wurde. Die Post
wurde uns bie auf weiteres von der Feldpoststation in Laon,
die die Verteilung für die Feldpostanstalten der 7. Armee
zu besorgen hatte, mit Kraftwagen zugeführt. Auf der
Rückfahrt nahmen sie die Post nach der Heimat mit. Wenn
auch der Zugang der Post fortgesetzt regelmäßiger wurde,
mußte doch immer wieder bei heimatlichen Dienststellen auf
größere Schnelligkeit in der Uberführung gedrängt werden.
Die Beförderungsdauer der Beutel von Berlin und Leipzig
betrug Anfang November im Durchschnitt immer noch
6 Tage. Das war ja gegen die Zustände einen Monat
vorher schon eine sehr große Besserung; wir vermochten
aber nicht zu begreifen, weshalb die Beförderung bis zum
Leitpunkt Trier 41½ Tage dauerte, denn von Trier bis zu
uns brauchten die Beutel nur 1½ Tage. In der Folgezeit
erwies sich dieser Zustand als recht wohl verbesserungs-
fähig, denn unserer fortgesetzten Einwirkung auf die hei-
mischen Dienststellen gelang es zu erreichen, daß schon
am 1. Januar lals die Beförderungczeit der Beutel von
Berlin nur noch 3, 4, der von Leipzig 3, 2 Tage im Durch-
schnitt betrug.
Die Schwierigkeiten waren allerdings in der Heimat
nicht gering gewesen. Was für die Beförderung der Feld-
post besonders ungünstig war, dac war die Einschränkung
im Betriebe der Eisenbahnen, die zu jener Zeit noch lange
nicht wieder in dem zu Friedenszeiten gewohnten Umfange
verkehrten. Vermehrt wurden diese Schwierigkeiten da-
durch, daß es brauchbare Kursbücher damals nicht gab,
daß somit eigentlich keine Ober-Postdirektion über die Zug-
verbindungen viel weiter Bescheid wußte, als ihr eigener
Bezirk reichte. Das erste Kursbuch für die Kriegozeit er-
hielten die Ober-Postdirektionen erst am 9. Dezember 1914.
Anfangs Dezember hatte ich im Auftrage des General-
kommandos eine Dienstreise nach Trier, Frankfurt, Leipzig
und Dresden auszuführen, um festzustellen, worauf die
vielfach zu beobachtenden Unregelmäßigkeiten der Briefpost,
namentlich aus Dresden, zurückzuführen wären, und, wenn
möglich, für Abhilfe zu sorgen. Die Postsammelstellen in
Trier, Frankfurt und Leipzig waren, wie sich bei Stichproben
herausstellte, glatt. Zeitweilig waren in Trier Stockungen
dadurch entstanden, daß die Postanstalten des Bezirks
Koblenz der Sammelstelle Trier zugeteilt wurden, und
daß wiederholt die Räume der Sammelstelle erweitert
werden mußten. In Frankfurt herrschte eine allgemeine
starke Stauung infolge der Riesenmassen von Weihnachts-
paketen für die Truppen, so daß die Eisenbahn den Ver-
kehr mit Postsackwagen — d. (. geschlossene Eisenbahn-
güterwagen — überhaupt sperren wollte. Im argen lag
dort besonders die Umladung und Weiterbeförderung der
Beutel. Wegen allgemeiner Uberlastung der Bahnposten
konnte dort keine Gewähr dafür übernommen werden, daß
die Beutel regelmäßig mit den nächsten Bahnposten Be-
förderung erhielten. Endlich in Leipzig erlitt die Beförde-
rung der Beutel vielfach Verzögerungen, weil die Tunnel-
und Aufzuganlagen des dortigen neuen Hauptbahnhofes
noch nicht fertig waren. Die Hauptschuld an der langsamen
Beförderung der Briefpost und an den vorkommenden Ver-
zögerungen lag aber nach meinen Feststellungen darin,
daß die eigentliche Nachrichtenpost (Briefe, Postkarten und
Zeitungen) nicht scharf von den Päckchenbenteln getrennt
wurde. So kam es, daß die Nachrichtenpost zum Teil zu-
sammen mit den Päckchenbeuteln in Eisenbahngüterwagen
mit Eilgüterzügen befördert wurde, anstatt in den Bahn-
postwagen der regelmäßigen Personen= und Schnellzüge.
Natürlich mußte das Verzögerungen um Tage zur Folge
Fabsn, Diesem Ubelstande wurde denn auch bald abge-
olfen.
Wenigstens für das engere Generalkommando hatten.
wir schon im Oktober eine schnellere Briefbeförderung zu
erzielen versucht. Das Armee-Oberkommando der 7. Armee
unterhielt in jenen Monaten eine Kraftwagenverbindung.
wischen Laon und Trier, die namentlich auch die neuesten
Zeitungen mitbrachte. Nachdem das Generalkommando dem
Feldpostamt Ende Oktober einen Kraftwagen zur Ver-
ügung gestellt hatte, gelang es uns, Anschluß an jene
A--O.-K.-Verbindung zu gewinnen und damit auch einige
eilige Briefbeutel von der Postsammelstelle Leipzig be-
fördern zu lassen. An Regelmäßigkeit ließ diese Ver-
bindung freilich wie jede Ausnahmeeinrichtung manches zu
wünschen übrig, zumal die Kraftwagen zwischen Laon und.
Trier nur jeden zweiten Tag verkehrten.
Der Bahnhof St. Erme, wo allmählich auch eine Marke-
tenderei entstand, war in jenen Monaten ein bedeutender
Verkehropunkt, denn die Korpotruppen hatten dort täg-
lich Lebenomittel und Post in Empfang zu nehmen. Nach-
mittags fanden sich gewöhnlich s0 bis 60 Fuhrwerke ein,
die in langen Reihen warteten. Dieser starke Verkehr blieb-
natürlich den feindlichen Fliegern kein Geheimnis. Sie
ließen sich durch das bei der alten Mühle des Dorfes
St. Erme aufgestellte Abwehrgeschütz nicht hindern, uns
ab und zu mit einem Besuche zu beehren. Doch niemand
kümmerte sich sonderlich darum. Am Nachmittag des
3. November — wir hatten von der Anwesenheit eines
Fliegers keine Ahnung — wurde unser Haus durch einen
mächtigen Knall erschüttert. Eine Fliegerbombe war auf
den Dachrand des Hauses an der Hofseite gefallen, die
Splitter hatten auf dem Boden und in den oberen Räumen
allerhand Unheil angerichtet, ein Splitter war in die Küche
gefahren und hatte die französische Magd tödlich verletzt.
Wir hatten außerordentlich viel Glück. Wäre die Bombe
nur wenige Meter weiter in unsern großen Betriebsraum
gefallen, wo sich zu jener Zeit vielleicht 30—40 Mann
aufhielten, sie würde schwere Verluste verursacht haben.
In Wirklichkeit erlitt nur ein Feldpostillion von einer un-
serer Divisionen eine unbedeutende Schramme an der Hand,
sonst wurde niemand verletzt. Beschädigt wurden von
Bombensplittern unser Kraftwagen auf dem Hofe, sowie
der Haferwagen, der in der Längsrichtung glatt durch-
schlagen wurde. Auch die Pferde, zwischen denen einige
Splitter durchgefahren waren, blieben glücklicherweise un-
verletzt. Besonders konnte ein Feldpostsekretär von Glück
sagen. Er lag im Obergeschoß des Hauses wegen heftiger
Bindehautentzündung im verdunkelten Zimmer zu Bett,
als die Bombe sich entlud. Einer von den Splittern flog
vom Boden durch die Decke, schrammte an der Wand ent-
lang und blieb in dem Kissen, mit dem er sich zugedeckt
hatte, stecken, ohne ihn zu verletzen. — Ein anderer Fall,
daß ein Flieger in unmittelbarer Nähe der Feldpost Bomben
abwarf, ereignete sich am 20. Dezember. Irgendwelcher
bedeutender Schaden wurde dadurch jedoch nicht angerichtet,
nur wurden in einem Viehwagen mehrere Schweine ver-
letzt und getötet und dienten in den nächsten Tagen zur
Verbesserung der Feldkost.
Zeiten hoher Anspannung waren während unseres Auf-
enthalts in St. Erme die Päckchenwochen, d. h. die Wochen,
in denen das Reichspostamt damals ausnahmsweise die
Versendung von Pfundpäckchen nach dem Felde zuließ.
Dann schwoll die Zahl der eingehenden Beutel ganz ge-
waltig an und hochaufgestapelt füllten sie manchmal einen
großen Teil unseres Betriebsraums. Unter anderem hat
in einer solchen Päckchenwoche die Feldposterpedition der
23. J.-D. an einem Tage mehr als 1000 Beutel erhalten,
die in St. Erme ausgeladen werden mußten; die Zahl