Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

wochenlang unterwegs gewesen. Ahnlich war es den von 
den Truppen aufgelieferten Briefen nach der Heimat er- 
gangen. Diese Erfahrungen führten dazu, daß namentlich 
in der Heimat laut Klage über die mangelhaften Ein- 
richtungen der Feldpost geführt wurde. In den Zeitungen 
erschienen Beschwerden und gehässige Angriffe, und es 
wurde kühn behauptet, die Feldpost, die sich im letzten 
großen Kriege 1870 so glänzend bewährt habe, versage 
diesmal vollkommen. Einzelfälle von unglaublicher Ver- 
zögerung und von angeblichen Verlustfällen wurden un- 
gebührlich aufgebauscht und verallgemeinert, sie wurden 
dem angeblich ganz unzulänglichen System zur Last gelegt, 
und die Mißstimmung gegen die Post war allgemein. Dem- 
gegenüber hat die Postverwaltung wohl versucht, durch Ver- 
teilung von Denkschriften die Klagen auf das richtige Maß 
zurückzuführen und die Mißstimmung zu beseitigen, aber 
die große Masse der Bevölkerung ist dadurch kaum über 
das Unzutreffende der all- 
gemeinen Meinung aufge- 
klärt worden. Esscheint des- 
halb geboten, auch an dieser 
Stelle den wirklichen Ver- 
hältnissen, den Gründen für 
angebliches Versagen der 
Feldpost gerecht zu werden 
und etwas zur Ehrenrettung 
der Feldpost zu tun, die 
wahrlich allen Volksgenossen 
in schwerer Kriegszeit mit 
allen ihren Kräften ein wil- 
liger Helfer gewesen ist. 
Daß die ersten Briessen- 
dungen aus dem Felde, um 
damit zu beginnen, erst nach 
Wochen in der Heimat an- 
langten, ist richtig, aber 
nicht durch Schuld der 
Posiverwaltung. Vielmehr 
hatte die Oberste Heeres- 
leitung angeordnct, daß alle 
diese Sendungen zurück- 
gehalten würden, um den 
Auf= und Vormarsch unserer Heere dem Feinde gegen- 
über zu verschleiern. Natürlich war die Posiverwal- 
tung nicht befugt gewesen, der Offentlichkeit von dieser 
militärischen Anordnung Kenntnis zu geben, und die Heeres- 
verwaltung selbst — tat es leider nicht. Als sie nach Mo- 
naten sich doch dazu entschloß, das Volk über diese Sperre 
aufzuklären, war es zu spät; die Verärgerung war da, 
und die nachträgliche Beschwichtigung verfehlte ihren 
Zweck. Wäre von vornherein — und es ist nicht einzu- 
sehen, weshalb das nicht hätte möglich sein sollen — eine 
Veröffentlichung des Inhalts ergangen, daß Briefsendungen 
vom Feldheer erst nach einer gewissen Zeit befördert werden 
würden, so hätte jedermann Bescheid gewußt. Unter der 
damalce entstandenen Mißstimmung hat die Postverwaltung 
lange Zeit unverdient zu leiden gehabt. 
Auf die Beschuldigung, die Postverwaltung habe nicht 
die richtigen Vorkehrungen getroffen, um die schnelle und 
richtige Beförderung der Briefe nach dem Felde sicherzu- 
stellen, war ungerecht und haltlos. Man muß sich des- 
halb die Umstände vergegenwärtigen, unter denen die Feld- 
post zunächst in Tätigkeit zu treten hatte. Im Friedens- 
verhältnis wird jeder Brief nach dem Orte geleitet, der 
in der Aufschrift angegeben ist. Das mußte plötzlich auf- 
hören, denn im Verkehr mit den mobilen Truppen kann 
es keine Ortsbezeichnung geben, weil die Truppen eben nicht 
an einen Ort gebunden sind. Dementsprechend sind auch 
ihre Feldpostanstalten beweglich und befinden sich bei den 
   
Briefabfertigung des Feldpostamts 
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Stäben. Die Leitung der Sendungen auf die zuständige 
Feldpostanstalt ist aber erst möglich, wenn die Sammel- 
stellen, von deren Einrichtung ich bereits gesprochen habe, 
die Feldpostanstalten kennen und die Feldpostübersicht, d. h. 
das Verzeichnis, in dem alle Truppenteile mit der rich- 
tigen Leitangabe enthalten sind, in Händen haben. Die 
Unterlagen für diese Ubersicht kann natürlich nur die Heeres- 
verwaltung liefern. Das ist aber selbstverständlich nicht im 
voraus möglich, sondern erst nach ausgesprochener Mobil- 
machung. Bei angestrengtester Arbeit aller beteiligten 
Dienststellen war eo nicht möglich gewesen, die erste Uber- 
sicht vor dem 14. August fertigzustellen. Sie konnte auch 
noch keinen Anspruch auf Lückenlosigkeit erheben, weil doch 
mancherlei neue Formationen erst bei der Mobilmachung 
aufgestellt wurden. Von Mitte August ab war es also erst 
den Sammelstellen möglich, die bis dahin angesammelte 
Post abzusenden. Nun machten sich andere Verzögerungs- 
gründe fühlbar. Im Reiche 
selbst war mit der Mobil- 
machung der Fahrplan der 
Zügc aufgeboben und durch 
cinen Militärfahrplan er- 
setzt worden. Das gesamte 
Eisenbahnnetz war in den 
Dienst des Krieges gestellt, 
die Züge verkehrten nur 
mit einer Geschwindigkeit 
von 25 km in der Stunde, 
von den gewohnten Schnell- 
zuganschlüssen war keine 
Rede mehr. Das bedeutete 
eine Umwälzung aller un- 
serer Begriffe vom Reise- 
und Beförderungsverkehr. 
So brauchte die Post bis zur 
Grenze statt eineinhalb Tage 
deren drei und traf dann die 
Feldpost nicht mehr an, weil 
sie bereits auf dem Vor- 
marsch begriffen war. Zwar 
machte die Feldpost sogleich 
von Kraftwagen Gebrauch, 
aber bei der Schnelligkeit des Vormarsches lagen die Leit- 
punkte und die Endstellen der heimischen Bahnen bald so 
weit zurück, daß eine regelmäßige oder eine auch nur einiger- 
maßen geordnete Nachführung der Post auogeschlossen war. 
Zudem war der Nachschubverkehr auf den Landstraßen 
überaus schwierig, zum Teil unmöglich, weil die Straßen 
mit militärisch wichtigeren Transporten besetzt waren, denen 
die Post nachzustehen hatte. 
Ein Heer in Feindesland ist für seinen Nachschub auf 
die Benutzung der Etappenstraße angewiesen. Die Post- 
verwaltung hat deshalb die Leitpunkte eingerichtet. Natür- 
lich bedeutet die Einschaltung des Leitpunktes in den Be- 
förderungsweg eine gewisse Verzögerung, aber das läßt sich 
mun einmal nicht vermeiden. Die Etappenstraße ist in der 
Neuzeit selbstverständlich eine Eisenbahnlinie. Wie die in 
der ersten Kriegszeit aber belastet waren, nachdem unsere 
Eisenbahntruppen sie wieder betriebsfähig gemacht hatten, 
davon hatte in der Heimat wohl kaum jemand eine richtige 
Vorstellung. Von einem planmäßigen Betriebe auf diesen 
Bahnsirecken konnte für Wochen noch keine Rede sein, 
Züge wurden immer nur nach Bedarf gefahren, und dabei 
haben alle militärischen Bedürfnisse — Munitions-, Ver- 
pflegungs-, Lazarettzüge — unbedingt den Vorzug vor 
dem, was nicht zum unabweisbaren Bedürfnis der Truppen 
gehört. Zu letzteren aber zählte die Feldpost nicht. So kam 
es denn, daß die Feldpostwagen überall stehen blieben und 
sehr lange Zeit brauchten. Dagegen war es auch kein Abhilfs- 
 
	        
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