Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

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Es war ain 10. November 1910, da versammelte der Di- 
rekter im Kgl. Ministerium des Innern, Geheimrat Dr. Num- 
pelt, etwa 25 der hervorragendsten Vertreter der sächsischen 
Berbände, die sich der Jugend zwischen Schule und Heeres- 
diensl schon seither angenommen hatten: Turner, Jünglings- 
vereine, Sportvereine, Wanderer usw. Er legte ihnen einen 
Man vor über die Verbreiterung und Vertiefung ihrer Tätig- 
keit und die Unterstützung, die von seiten der Regierung zu er- 
warten war. Zum Zwecke der friedlichen Nebeneinander- 
arbeit, der gegenseitigen Unterstützung und Förderung und 
der Verbindung mit der Regierung vereinigten sich die ver- 
tretenen Verbände zu einem Landesausschuß, zu dessen Vor- 
sitzenden einstimmig der Geheime Studienrat Prof. Dr. 
Stürenburg gewählt wurde. Die Regierung wollte die Be- 
strebung fördern und unterstützen, aber sie wollte ihr nicht 
amtlich vorstehen. Indem man die Sache auf die Vereins- 
grundlage aufbaute, erhoffte man größere Verbreitung 
und die Mitarbeit aller Volksklassen. Man hatte sich darin 
nicht getäuscht. Die Vereine der gleichen Gegenden schlossen 
sich zu Bezirksverbänden zusammen, Leute, die seither bei- 
seite gestanden hatten, kamen zur Mitarbeit, und selbst 
Amtohauptleute und andere behördliche Personen, die sich 
seither in den Vereinen höchstens einmal als Ehrengast 
bei festlichen Veranstaltungen hatten sehen lassen, nahmen 
eifrig Anteil. Der Name für die neue Sache stand noch 
nicht fest. Allmählich gewann die Bezeichnung „Jugend- 
pflege“ Verbreitung, und der Auodruck „Jugendfürsorge“ 
galt nur noch für die Bestrebungen, die sich der Verwahr- 
losten, Verkrüppelten, geistig Zurückgebliebenen und der- 
jenigen annehmen, für die das Elternhaus ungenügend sorgt. 
Bald folgte dieser Vorbereitung der Jugendpflegeerlaß 
der Ministerien, der ein Markstein in der Geschichte der Er- 
ziehung geworden ist. 
Der Sächsische Jugendpftege-Erlaß 
Die gemeinsame Verordnung der Kgl. Ministerien des 
Kultus und des Innern, die man gewäöhnlich als Jugendpflege- 
Erlaß bezeichnet, erschien am 12. Dezember 1910, also 
schon geraume Zeit vor dem Kriege. Trotzdem muß sie als 
Grundlage aller weiteren Bestrebungen und Fortschritte 
auf unserem Gebiet gebührend gewürdigt werden. Sie 
richtete sich an die Kreishauptmannschaften und die Be- 
zirksschulinspektionen. Einleitend besagte sie: 
„Mehr und mehr wird die Notwendigkeit anerkannt, 
der heranwachsenden männlichen Jugend in der bedeu- 
tungsvollen Zeit zwischen der Entlassung aus der Volks- 
schule und dem Eintritt in das Heer besondere Pflege an- 
gedeihen zu lassen und nicht nur ihre geistige und sittliche 
Bildung und Erziehung zu fördern, sondern ihr auch durch 
Turnen, Spiel, gesunden Sport und gemeinsame Erziehung 
zu fördern, sondern ihr auch durch Turnen, Spiel, gesunden 
Sport und gemeinsame Wanderungen Gelegenheit und An- 
regung zur Ubung der Körper= und Willenskräfte in einer 
der Jugend selbst erwünschten Form zu bieten. 
Zwar ist es dankbar anzuerkennen, daß bereits zahl- 
reiche vaterländische freie Vereinigungen nach dieser Rich- 
tung erfolgreich tätig sind, aber jene Aufgabe ist so um- 
fassend, daß sie nur dann wird gelöst werden können, 
wenn es gelingt, die Bestrebungen zu einer das ganze Volk 
durchdringenden Organisation erstarken zu lassen.“ 
Die Verordnung verweist dann auf die Gründung des 
Landesausschusses und regt an: Orts= und Bezirkoausschüsse 
sind zu schaffen, wahre Vaterlandsliebe, ohne jede politische 
Färbung soll gepflegt werden. Die Bestrebung muß an die 
Schulentlassung anschließen und sich an die Fortbildungs- 
schule anlehnen, ebenso an die vaterländisch gesinnten Turn- 
vereine. Auf die Mitwirkung der Lehrerschaft, der Ge- 
meinden, Korporationen und Innungen wird gerechnet. 
Jugendfeste mit Kampf= und Wettspielen sind zu veran- 
stalten, dabei wird auf die günstigen Erfahrungen bei den 
Vaterländischen Festspielen in Dresden hingewiesen. Die 
Jugendpflege wird mittelbar auch zur Stärkung der 
Wehrkraft dienen, darum soll sie auch von den militärischen 
Stellen unterstützt werden, doch muß vermieden werden, den 
Vereinigungen und ihren Veranstaltungen einen militäri- 
schen Anstrich zu geben oder die Ubungen als vorbereitende 
Ausbildung für den Militärdienst zu behandeln. Was in 
der Entwicklung der Jugendpflege später die Hauptsache 
geworden ist, wird also hier zunächst noch zurückgestellt. 
Neben der Leibesübung ist auf Geist= und Gemütsbildung 
Gewicht zu legen durch geeignete Unterhaltung, Beschaffung 
von Lesestoff usw. An der Turnlehrerbildungsanstalt in 
Dreoden sollen erweiterte Kurse für Jugendpfleger abge- 
halten werden. Zur Unterstützung der Bestrebungen wird eine 
Verfügungösumme bereitgestellt werden. Die Kreis= und 
Amtshauptleute, Bürgermeister und Schulinspektoren sollen 
die Gründung und Leitung entsprechender Einrichtungen an- 
regen und fördern, ihnen aber nicht amtlich vorstehen. 
Die Ergänzung der dargelegten Verordnung bildete der 
bald darauf, am 28. Dezember 1910, erschienene Erlaß des 
Kriegsministeriums an die Generalkommandos der beiden 
sächsischen Armeekorps, der die Unterstützung der Jugend- 
pflege durch die militärischen Stellen verfügte. 
Mit diesen Erlassen war Sachsen allen deutschen Bundes- 
staaten vorausgegangen. Am 18. Januar 1911 erschien 
der preußische, weit umfangreicher und mit einer bei- 
gegebenen Denkschrift, die 20 Punkte aufzählt. Trotzdem 
enthält er, vielleicht mit Ausnahme der vorläufig noch 
selbstverständlichen Bestimmung, daß kein Besuchszwang 
für die Jugendlichen eingerichtet werden soll, nicht mehr 
als der sächsische. Die preußischen Verhältnisse wurden 
außerdem dadurch höchst verwickelt, daß sich um die gleiche 
Zeit der neugegründete Jungdeutschlandbund neben jener 
staatlich angeregten Jugendpflege verbreitete und wenig- 
stens im Außeren weit mehr den militärischen Anschein 
erweckte. 
Damit war der Grund gelegt. Der neue Bau der 
Jugendpflege, der sich darauf erheben sollte, wurde mit 
Eifer begonnen. Der Baumeister war der Landesausschuß 
für Jugendpflege. 
Der Landesausschuß für Jugendpftege im Königreich 
Sachsen 
Der Landesausschuß war am 16. November 1910 im 
Anschluß an die Besprechung im Ministerium des Innern 
gegründet worden. Er nannte sich zuerst etwas umständlich 
„Landesaussehuß im Königreich Sachsen für die Jugend 
zwischen Schul= und Wehrpflicht“. Vorläufige Satzungen 
wurden entworfen und am 19. April 1911 eine Landes- 
versammlung nach Dresden einberufen, bei der neben den 
Vertretern der Staatsbehörden Geladene aus 38 Städten, 
zusammen rund 150 Mann, erschienen. Schon hier wurde 
die Aufnahme des Turnens in die Fortbildungsschule ver- 
langt. Die Gründung von Ausschüssen im Lande wurde an- 
geregt. Diesem Zwecke diente dann weiter eine Denkschrift 
über die Angelegenheit, die in rund 7000 Stücken ver- 
breitet wurde. Nun begann die Einzelarbeit: eine Ein- 
gabe um Einführung verbindlichen Turnens in die Fort- 
bildungsschule, Versicherung gegen Haftpflicht und Un- 
fall, Beschaffung von Geldmitteln, zu denen der Staat 
jährlich 100000 Mark, später 250 Oco Mark beisteuerte, 
ferner die Erwerbung von Vergünstigungen bei Eisenbahn- 
fahrten der Jugendgruppen, bei Beschaffung von Aus- 
rüstungsgegenständen und bei Nächtigung auf Wander- 
fahrten, ferner der Anschluß an den Jungdeutschlandbund, 
die Stellung zur weiblichen Jugendpflege, die Erörterung
	        
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