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geblieben. So hat er den Anteil, den die Turnerschaft an
der Jugendpflege hatte — und das war, wie wir sahen,
der Hauptanteil —, kennen gelernt und damit die Grund-
lagen, Aussichten und Erfolge der Jugendpflege überhaupt.
Er studierte in Bonn und Leipzig klassische Philologie, und
war in den dortigen Turnvereinen Vorturner und Vorsitzen-
der der Vorturnerschaft. Später in Dreoden leitete er als
erster Vorstand den großen Allgemeinen Turnverein, so daß
er dao Wirkungsgebiet aller Vereintämter wohl übersah.
Auch die notwendigen militärischen Grundlagen brachte
er für den Vorsitz in der Jugendpflege mit. 1870 war er als
Einjährig-Freiwilliger beim 6. Thüringischen Infanterie-
Regiment eingetreten, da brach der deutsch-französische Krieg
aus, den er bis zum 2. Dezember mitmachte, wo er bei
Poupry vor Artenay verwundet wurde, glücklicherweise so,
daß er keinen dauernden Schaden davontrug. Er hatte sich
das Eiserne Kreuz erworben und wurde zum Reserveoffizier
befördert. So hatte er aus eigenstem Erleben kennen ge-
lernt, welche Kenntnisse, Fertig=
kriten und Eigenschaften dem Sol-
daten #.ötig sind. Daher konnte
er wirksam in den Strcit cingrei-
en, als Ende der siebziger Jahre
im Reichstage di: Ford. rurg#er-
hoben wurde, den Militärdienst ab-
zukürzen und die Einbuß: durch
militärische Ubung vor der Rekru-
tenzcit auszusüllen. Stürenburg
verö# fentlicht: zuerst in der deut-
schen Turnzcitung, dann in einem
gesonderten Heste bei Habel in
Berlin s. ine Ansichten über „Wehr-
pilicht und Erziehung“, die in dem
bercits erwähnten Satze gipfeln,
daß der Kricg von der Jugend
nichts verlangt, was nicht schon
an sich um ihrer allgemeinen Aus-
bildung willen erstrabt werden muß.
Er fand dafür die Zustimmung
k.ines Geringeren als unseres
Schlachtenlenkers Moltke. Als die
neue Z. it, die so schnell die alte
Erfahrung vergißt, wiederum mit
der Vorschulung in militärischer Art hervortrat, da brauchte
man nur auf Stürenburgs Arbeit zurückzugehen. Stüren-
burg selbst griff in gleichem Sinne wie damals wirksam
in die Besprechung ein. Das baldige Abflauen der neuen
Bewegung bewies, daß Stürenburg jetzt und schon da-
mals im Rechte gewesen war.
Weiterhin erfordert das Jugendpflegeramt Kenntnis und
Geschick in der Erziehung. Solche zu erwerben, hatte
Stürenburg reiche Gelegenheit als Oberlehrer am Thomas-
gomnasium 1872—1889 und von da ab alo Rektor des
Gymnasiums zum heiligen Kreuz in Dreöden.
Zur Gunst des Geschicks, die einen solchen Mann für das
neue Amt des Jugendpflege-Vorsitzenden darbot, kam wei-
terhin der glückliche Umstand, daß Stürenburg kurz vorher
nach 40 jähriger Dienstzeit in den Nuhestand getreten war;
nichto als arbeitsunfähiger Mann, sondern ungebrochen
an Geist und Leib. So hatte er für das neue Ehrenamt
die Zeit zur Verfügung, die die Sache erforderte und die
er als Rektor unmöglich hätte aufbringen können. Geheimer
Studienrat Stürenburg brachte dieses grose Opfer an geit.
Er hatte viel zu tun, manchmal mehr als früher, aber wer
ihn sieht: geschäftig bei den Angelegenheiten der neuen Auf-
gabe, wohlbeschlagen in allen Fragen derselben, mit sicherer
Hand jedes verlangte Aktenstück, jedes Buch, selbst Zeitungo-
aueschnitte herausgreifend aus der Fülle des aufgestapelten
Geheimrat Dr. Stürenburg
Materials, der fühlt, daß dem nunmehr Eimundsiebzig-
jährigen die Arbeit für das Gemeimwohl Bedürfnis ist. Er
hat sich ein schönes altes Grundstück am sonnigen Elbhang
der Loschwitzer Berge gekauft, wo die Pfirsichen zuerst blühen
und der Frühling zuerst seine Besuchskarte abgibt im Sach-
senlande, und wohl gedacht hier als „ostelbischer Grund-
besitzer“ seinen Ruhestand zu genießen, und nun — ar-
beitet er.
So muß er uns Muster und Verbild sein, und das
isto, was das Amt der Jugendpflege-Vorsitzenden vielleicht
zuerst und am meisten erfordert; Muster und Vorbild zu
sein als Mensch: schlicht und einfach, abhold aller Förm-
lichkeit und allem Getue, vaterlandsliebend und seelenstark.
Wir wissen es genau, wie andere bei den Verlusten des
Weltkriegs sich aufgerichtet haben an seiner Seelenstärke,
die ihn selbst beim Tode seines dritten Sohnes im Felde
nicht verließ.
Die Wehrübung
und der Jugendwehr-Erlaß
Dic Jugendpfslege war zunächst
nichts andercs als Beschä.tigung,
Unterhaltung und Belchrung der
schulentlassenen Leute im vater-
ländischen Sinne. Dazu gehörte
auch die Beschäftigung mit Turnen,
Spiel und Sport. Sic wurde auf-
genommen, weil sie dem jugend-
lichen Alter am meisten liegt. Man
hofste durch die Begcisterung für
den Wettkampf und das Spiel der
Krärte die Jünglinge an die Ver-
ceine für Jugendp#lege heranzu-
ziehen. Daß diese Beschäftigung
dem künstigen Vaterlandsverteidiger
von Nutzen sein mußte, wurde zwar
gelegentlich festgestollt, aber dieser
Gesich tspunkt stand noch nicht im
Vordergrund. Er trat erst bei
Kricgsbeginn mit Macht hervor.
Damals schrieb in der Deutechen
Turnzcitung ein Dresdner: „Unsere
Jugend ist dem Waffenrufe gefolgt, und wer noch nicht
gerufen war, hat sich freiwillig gestellt — „herangedrängt",
darf man sagen — zum Waffendienst, zur Hilfe beim
Noten Kreuz. Zwei Wochen lang sind unsere Primaner und
Sekundaner täglich von Regiment zu Regiment gelaufen
und haben gebetteltt um Einstellung. Von 50 Mann in
den Oberprimen sind fünf in der Schule geblieben. So
oder ähnlich mag es in ganz Deutschland sein. Wahrlich,
eine erhebende Zeit! Heil unserer Jugend!“ Aber die Jurück-
gebliebenen? so fragte man weiter. Man ahnte, daß auch
sie noch eingezogen werden müßten, daß ihnen nur eine
ganz kurze militärische Ausbildung zuteil werden würde,
ehe sie an die Front kamen. Dazu stellten sich auch bald
die Mängel zu kurzer militärischer Ausbildung heraus.
Die Kriegsprimaner waren zwar voll Begeisterung und
Mut, mit dem Vaterlandsliede auf den Lippen, zum Sturm
vorgegangen und in den Tod gesunken, aber ihr Können
und ihre Widerstandsfähigkeit entsprachen nicht ihrem
Willen. Das ist von militärischer Seite festgestellt worden.
Da war eö ein einfacher Gedanke, die jungen Leute schon
vor der Einziehung nach Möglichkeit vorzubereiten, und so
die Gründlichkeit und Dauer der Ausbildung zu ersetzen.
Er mag in den August= und Septemberwochen an vielen
Stellen zugleich erwacht sein. Soweit die Nachrichten dar-
über erkennen lassen, hat die Annenschule zu Dreoden die
ersten Wehrübungen eingerichtet. Sie waren freiwillig und