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Die „Erläuterungen und Ergänzungen“ waren ein Heft
von 47 Seiten. Mit ihnen war mehr anzufangen. Sie
gehen aus von den Erfahrungen des Weltkrieges. Diese
haben gelehrt, daß „die größere Leistungsfähigkeit und
bessere Ausbildung des einzelnen Mannes nicht nur die
Die 8Swickauer Jugendwehr beim Kartenlesen
Zahl ersetzen können, sondern daß sie überhaupt die Bürg-
schaft für jeden Erfolg darstellen“. Somit sind die Wehr-
übungen von nun ab nicht mehr bloßer Notbehelf dieses
Krieges, sondern sie werden auch in Zukunft die Grund-
lagen aller militärischen Ausbildung bleiben müssen. „Denn
böchstgesteigerte Vervollkommnung der Wehrtüchtigkeit des
einzelnen Soldaten in moralischer und körperlicher Be-
ziehung kann in einer zweijährigen Dienstzeit nur er-
reicht werden, wenn dem Heere ein Rekrutenersatz zuge-
führt wird, der die Hauptgrundlage für jede militärische
Ausbildung mitbringt: einen gesunden, in jeder Beziehung
durchgebildeten und gestählten Körper.“ Es wird deohalb
eine planmäßige Schulung von Jugend auf bis zum Ein-
tritt in das Heer gefordert und nunmehr besonders betont,
daß die Schule in ihrem Turnunterricht dafür eine bewährte
Grundlage biete. Auf ihr soll die militärische Vorbereitung
der Jugend weiterbauen.
Damit wurde also die Wehrübung fest auf den Unterbau
der bürgerlichen Wehrkraft gegründet. Alle „Soldaten-
spielerei“, die nicht beabsichtigt gewesen, aber doch vielfach
eingetreten war, wurde nun unterbunden. Mit solchen
Richtlinien konnten sich alle die Vereine und Männer, die
seither schon bei der körperlichen Erziehung der Jugend
tätig gewesen waren, befreunden.
Nunmeyr ist auch der Name „militärischer Vorberei-
tungodienst“ nicht mehr angebracht, weil er auf eine Vor-
bereitung in mullitärischer Art schließen läßt, während es
doch in Wirklichkeit eine Vorbereitung allgemeiner Art
sein soll. Auf diesen Irrtum bauen sich sogar einzelne
Streitschriften auf, die inzwischen erschienen sind. Er wird
vermieden durch die Bezeichnung „Vorbereitung auf den
Heeresdienst“, die wir unseren Darlegungen an die Spitze
gesetzt haben. Allmählich ringt sich, besonders in Sachsen,
der kurze treffende Ausdruck „Wehrübung“ zu allgemeiner
Geltung durch.
Die Aufgaben der Jugendpflege während des
Weltkrieges
Die Jugendpflege hatte durch den Ausbruch des Krieges
und durch den Wehrübungs-Erlaß neue Aufgaben erhalten.
Die Einrichtung der Wehrübung war, soweit sie freiwillig
waren, dem Landevausschusse zugewiesen worden. Er erließ
schon in der Septembernummer seiner Mitteilungen Einzel-
bestimmungen über die Durchführung und in der Tages-
presse einen „Aufruf an die zum Dienst im Heere bereite
Jugend“, den wir als wertvolle Erinnerung gleichfalls
wiedergeben.
Damit wurde die Heeresvorbereitung in Sachsen eifrig
in Angriff genommen.
Nachdem zwei Jahre lang die nötigen Erfahrungen ge-
sammelt waren, legte der Landesausschuß in seiner Ver-
sammlung am 5. Oktober 1916 „die Aufgaben der Jugend-
pflege infolge deo Weltkriegs“ in 22 Leitsätzen fest, die
dann als Sonderabdruck der Mitteilungen des LandeLaus-
schusses erschienen sind.
Diese Leitsätze gehen aus von den Gedanken, daß es für
lange Zeit höchster Anspannung aller Kräfte bedürfen wird,
um neuen feindlichen Angriffen gewachsen zu sein, daß eine
der ersten Voraussetzungen dieser Kriegöbereitschaft eine für
den Wehrdienst gut vorbereitete Jugend ist, und daß damit
die Vorbereitung für den Heeresdienst bei der Jugend-
pflege stärker betont werden muß. Dabei ist zu unter-
scheiden zwischen der Vorbereitung, wie sie während des
Kriegs gewährt wird, und der Jugendpflege im künftigen
Frieden. Für erstere ist neben der allgemeinen körperlichen
Schulung auch schon die Ubermittelung militärischer
Übungsformen und Dienstkenntnis nötig. Als Anhalt für
diese Vorschulung werden die preußischen Richtlinien emp-
fohlen, die sich nach ihrer Abänderung durch die „Erläute=
rungen und Ergänzungen“ ganz mit den Erlassen der drei
zuständigen sächsischen Ministerien decken. Schon während
deo Krieges werden gesetzliche Handhaben zur verbindlichen
Heranziehung der Jugend zu dieser Vorschulung gefordert.
Auf Grund dieser Leitsätze und der angeschlossenen Be-
sprechung beantragte der Landesausschuß bei der Regierung
die verbindliche Einführung von Leibeübungen in den Fort-
bildungsschulen ohne Kürzung der seitherigen Stunden-
zahl für den Geistesunterricht und eine verbindliche Heeres-
vorschule für alle Jugendlichen. Die Regierung hat die
Unterstützung dieser Forderungen in Aussicht gestellt.
Die Entwicklung der Wehrübungen
Hatte die Vorbereitung für den Heeresdienst seither schon
die Fachkreise lebhaft beschäftigt, so wurden die Wehr-
übungen nunmehr nach ihrer amtlichen Einführung Gegen-
stand allgemeinen Interesses. Sie wurden in der Fachpresse
des Militärs, der Turner und Sportleute und der kirch-
lichen Jugendpflege lebhaft erörtert, zum Teil auch in der
Tageopresse. Die Vereine nahmen Stellung zu ihr und
legten ihre Meinungen und Entschließungen in Denlschriften,
Gutachten und Eingaben an die Regierung dar. Auch im
Landtage war die Wehrvorbereitung wiederholt Gegenstand
der Verhandlung. Uberall wurde der Nutgen der Wehr-
übung und ihre Notwendigkeit, wenigstens für die Dauer
des Krieges, zum Teil auch für den künftigen Frieden an-
erkannt. -
Abgesehen von den höheren Schulen, wo die Wehrübung
verbindlich eingeführt war, hatte der Erlaß die Teilnahme
der Jugendlichen auf Freiwilligkeit gegründet. Der erhoffte
Zulauf trat aber nicht ein. Nur etwa ein Fünftel der jungen
Leute kamen ihrer „Ehrenpflicht“ nach, und selbst in den
entstandenen Jugendkompanien nahm nach kurzer Zeit der
Begeisterung und Opferwilligkeit die Beteiligung rasch ab.
Aber die Jugend trug nicht allein die Schuld. Sie erhielt
von den Lehrherren und Arbeitgebern vielfach nicht die nötige
Zeit. Die Regierung versuchte mehrere Mittel zur Verbesse-
rung der Teilnahme. Die jungen Leute, die regelmäßig
der Wehrvorbereitung obgelegen hatten, erhielten das An-
recht auf einen entsprechenden Ausweis, der beim Eintritt in
das Heer als Empfehlung dienen sollte. Damit war in
Sachsen wie auch im übrigen Deutschland zum ersten Male
ausgesprochen, daß sich das Heer darum kümmern moöchte,