430
mitteln. Aber bei den vom Ministerium angeordneten
Wettkämpfen haben sich die Arbeiterturnvereine ausge-
schlossen. Hingegen haben sie im Anschluß an eine Bundes-
turnfahrt im Juli 1917 eigene Wettkämpfe abgehalten.
Das tägliche Zehnminutenturnen
Man hatte schon früher erkannt, daß tägliche Ubung
selbst bei kurzer Dauer von größter Wirkung sind. Das
hatte auf die Zimmergymnastik geführt, die in der Mitte
deo vorigen Jahrhunderts besondere Anregung durch säch-
sische Fachmänner erhalten hatte. Der Direktor der Kgl.
Turnlehrerbildungoanstalt Dr. Kloß hatte ein Hand-
büchlein“, Dr. Schreber in Leipzig seine berühmte „Arztliche
Zimmergymnastik“ herausgegeben. Aber die Zimmergym=
nastik ist eine langweilige Sache, und die Neigung dafür
war ziemlich eingeschlafen, bio das System des Dänen
Müller neue Begeisterung dafür erweckte. Alles „müllerte“
und ließ es ebenso rasch wieder liegen. Da war es
der Dresdner S#ul-
dircktor Moritz K. ö--
fel, derdi Grundsätze
des Zimmerturnens
zuerst in die öffent-
liche Schule aufnahm
als sogenanntes
Zehnminuten-
turnen. Es fand vicl-
fach Nachahmung, in
den höheren Schulen
zuerst in der Annen-
schule zu Dresden.
Als hier wie überall
die nötige Unter-
stützung durch die ge-
samte Lehrerschaft
nachlich, wurde cs
aufgegeben.
Da wurde die
an sich gute Sache
durch den Erlaß
der Ministerien aufs
neue erweckt und
bildet einen wichti-
gen Teil der Wehrübung, einen Gewinn der großen Zeit.
Das Klingelzeichen beendet die dritte Unterrichtsstunde.
Sofort verlassen die Schüler die Klassen und strömen auf
den Schulhof. Jeder nimmt seinen bestimmten Platz ein,
der durch die Meterzahlen an den Umfassungsmauern des
Platzes bestimmt ist. Jeder hat 2 qm freien NRaum, doch
sind die Turner so zwischeneinander gestellt, daß sie sich
bei keiner Ubung berühren. Auf erhöhtem Platz steht
ein Vorturner und der Ubungsleiter, der durch ein Glocken-
zeichen das „Stillgestanden“ verkündet. Auch die Lehrer
haben sich einen freien Platz gesucht und beteiligen sich
beim Turnen. Zwar haben die Schüler geschaut, als selbst
die älteren Herren mitturnten. Numpf= und Kniebeuge
und ähnliches, mancher Junge hat auch zuerst einmal dar-
über gelächelt, aber man hat sich schnell daran gewöhnt
und das Beispiel der alten Herren redet deutlicher von der
Notwendigkeit der Ubung als viele Worte.
Jede Ubung ist auf ihre Wirkung ausgewählt und da-
nach ihre Bezeichnung: Armübung — Brustübung —
Nückenübung — Flankenübung — Gleichgewichtsübung
— Rumpfübung — Bauchmassage — Beinübung. Es
sind im allgemeinen immer die gleichen Bewegungen, die
man schon auswendig weiß. Nur manchmal wird zur Prü-
fung der Aufmerksamkeit eine abgeänderte Form einge-
fügt. Bel jeder Ubung ist die Atemführung genau bestimmt,
der Hauptwert der Ubung liegt ja in der tiefen Atmung.
Zehnminutenturnen
: Gehen im Schulhofe
Man hat erstaunliche Beweise ihrer Wirkung auf die Er-
weiterung des Brustborbes.
Nach lo Minuten sind alle Ubungen durchgeturnt, jede
erst zweimal nach Zuruf, dann viermal taktmäßig. Mit
Ablauf der 20-Minutenpause kann der Unterricht in den
Klassen pünktlich begonnen werden.
Bei kühlem Wetter tritt an Stelle der genannten Ubungen
Marschieren oder ein Dauerlauf von etwa So0 m.
Jahrelange Erfahrungen haben gezeigt, daß sich das
Zehnminutenturnen regelmäßig und gut, wie oben ge-
schildert, durchführen läßt. Freilich isi's nicht überall so.
Die Dauer des Kriegs hat vielerorts eine Müdigkeit und ein
Nachlassen hervorgerufen, die eigentlich nicht begründet
und nicht zu rechtfertigen sind.
Wandern als Wehrvorbereitung
Mit Kriegsausbruch schien das alte Wandern, das man
erklärt hat als Gehen auf eigenen Füßen, Sehen mit
cigenen Augen, Ler-
nen aus eigener An-
schauung, ganz ver-
drängt.
Laß marschieren!
Laß marschieren!
hich es nach dem
alten Liede. Märsche
ersezten die Wan-
derung. Ohne die
gute Wirkung des
Marschierens zu
leugnen, erkannte
man in Sachsen zu-
erst wieder, woelche
Werte für die Wehr-
vorbereitung man
mit der freien, mehr-
tägigen Wanderung
aufgab, und mahnte
aufs neue zu wan-
dern.
Und wieschön war
unser Vaterland! Ge-
rade in jenen Au-
gusttagen, in denen die Feinde gegen Deutschlands Gren-
zen heranstürmten, lag es unter leuchtend blauem Himmel
und klarem Sonnenschein im Erntegold der Ahrenfelder.
Niemals war es so schön gewesen und nie sein Volk so
einig, so treu, aufopferungsvoll und mutig. Man mußte
es bewundern und lieben, wenn draußen auf allen Wegen
bunte Tücher die Eisenbahnzüge grüßten, die unsere Feld-
grauen nach Osten und Westen führten. ÜUber dieses Volk,
auf dieses blühende Land wollten die Feinde herfallen,
die Russen wollten ihre asiatischen, die Franzosen und
Engländer ihre afrikanischen Horden darauf loslassen! Das
durfte nicht sein, das konnte ein guter Gott nicht zugeben!
Glühende Vaterlandsliebe und festes Gottvertrauen füll-
ten damals alle Herzen, am tiefsten bewegten sie das Herz
des jungen Wanderers, der sein Land und sein Volk besser
kennen gelernt hatte als der Stubenhocker und Prome-
nadenspaziergänger. Wenn Vaterlandsliebe die Grundlage
aller Wehrübung ist, dann muß fleißiges Wandern das
erste Erziehungsmittel für den jungen Wehrmann sein. Die
Jugendwanderer sind denn auch zahlreich ins Feld ge-
zogen, und zwar als Freiwillige. Ihre Zahl läßt sich
schätzen nach den Totenlisten, die die Wandervereinigungen
veröffentlicht haben.
Die meisten dieser Toten sind der tückischen Kugel zum
Opfer gefallen. An die Anstrengungen und Unregelmäßig-
keiten des Kriegslebens, die so viele dahinrafften, waren die