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helfötrage her. Gleich wird eine kleine Samariterübung
abgehalten. Ein Pfadfinder wird kunstgerecht vom Baume
abgeseilt. Strahlenden Gesichts läßt er sich's gefallen,
daß ihm die zwei Kameraden den „gebrochenen“ Unter-
schenkel schienen, zwei Winkerflaggen als Schienen, ein
paar Hüte als Polster, zwei Gürtel darum: der Notver-
band ist fertig. Sachgemäß erfolgt das Aufheben der
Trage. Man merkt's, daß das oft geübt ist. — Bald sehen
wir den Zug bei neuer Arbeit. Die eine Gruppe übt Ent-
fernungsschatzen, eine andere Geländebeschreibung. Die
dritte schult mit kleinen Buchstabentafeln ihr Sehvermögen.
Ein Neuling muß auffällig nahe an die Tafel beran-
treten, ehe er sie erkennt. „Hilfsfeldmeister W., sorgen
Sie dafür, daß der Junge zum Augenarzt geht!“ Auf unsere
beifällige Bemerkung erklärt und der Feldmeister, daß Ge-
sundheitopflege bei den Pfadfindern eine große Rolle spiele,
oft werde das Gebiß nachgesehen, vor Alkohol und Nikotin
gewarnt. Tiefatemübungen würden schnell einmal zwischen
die eigentlichen Ubungen eingeschoben. — „In Linie tre-
ten! Bleistift und Papier heraus: Geländediktat !“ Die
Neuen stutzen: „Was ist das?“ Bald merken sie, was sie
machen sollen: ein Gelände, das ihnen beschrieben wird,
nachzeichnen. Der Führer will, wie er uns erklärt, das
raumliche Vorstellungsvermögen der Jungen prüfen. Ein
kurzer Blick auf die Zeichnungen bestätigt uns, was der
Führer behauptet: Je länger Pfadfinder, um so klarer das
räumliche Vorstellungsvermögen. Die Jungen freilich fin-
den das, was nun kommt, schöner: Schnelligkeitswettbewerb
im Zeltebauen. In 2 Minuten stehen die Spitzzelte fertig
da. Kochlochgraben, Lageralarm, Schlafsackbauen, Zelt-
abbrechen schließen sich an. Auch dieser Zug hat noch ein
Geländespiel vor: Nummernspiel. Ein jeder hat eine mehr-
stellige Zahl am Hute. Die Parteien schleichen sich anein-
ander an, richtiges Ablesen der JZiffer entwaffnet. Wie
schön sich die Jungen da decken lernen, wie dies Spiel die
Augen schärft! Noch ein kurzes Lob für ein paar besonders
gute Leistungen, dann geht der Feldmeister auf die Suche
nach dem letzten Zug, den er heute besuchen will. Der ist
schon beim Kriegsspiel angelangk. Gerade trifft der Führer
noch eine Patrouille, die lautlos durch den Wald schleicht.
Noch haben alle den Kampffaden am Arm, sind also anschei-
nend noch nicht mit dem Gegner zusammengetroffen. Wir
schließen uns ihnen an. Vorsichtig geht's weiter, bis der
Feind entdeckt ist. Mit ein paar Strichen skizziert der
Kornett den Standort des feindlichen Lagers, und schnell
trägt ein Pfadfinder die Meldung zurück. Eine Viertelstunde
später kommt er mit seiner Abteilung wieder angeschlichen.
Der Angriff kann erfolgen. Ein Zeichen, und im Nu
stürzt sich alles auf das feindliche Lager. Die Entscheidung
liegt bei der Gewandtheit. Kleine und Große können ohne
Gefahr miteinander kämpfen. Kein wüstes Naufen hilft
zum Siege. Die Kampffäden sind dem Gegner abzureißen.
Da fällt manch langer Bursche einem kleinen, firen Kerl-
chen zum Opfer. Ein paar Minuten läßt der Führer
kämpfen, dann pfeift er ab. Leicht ist der Sieg festzustellen.
Während sich der Zug zum Heimmarsch rüstet, erzählt uns
der Führer noch manches, was uns beweist, wie bteer un-
recht die Leute dem Pfadfinderbund tun, wenn sie sein
Wesen mit dem Tadel „Soldatenspielen“ abfertigen. Wir
bören von volkskundlichen Ausmärschen, von Besichtigung
industrieller Betriebe, von Bekämpfung der Schundliteratur,
von Heimatschutz und Geschmacksbildung, von ernsten Pfad-
findergeboten.
Die Dämmerung ist bereingebrochen. Nachdenklich und
mit dem Vorsatz, die gewonnenen Eindrücke zu benutzen,
wenn es gilt, ungerechten Angriffen auf die Pfadfinder
entgegenzutreten, treten wir den Heimweg an. Mit Wan-
derliedern, die am Zugsgabend im Heim geübt worden sind,
ziehen die Pfadfinder vor uns her. Die Kornctts erörtern
im Anschluß an das Geländespiel „taktische“ Fragen, die
Kleinen aber erzählen sich von ihren Erlebnissen und
Taten. „Mag sein,“ beginnt der Führer, der unfre Ge-
danken erraten zu haben scheint, „daß heute nacht manch
einer von Kampf und Feinden träumt. Aber das schadet
nichts, er hat's ja selbst erlebt, nicht wie es so mancher
schlecht beratene Altersgenosse in Schundbüchern gelesen.
Und selbst die Mutter, die der Pfadfinderei nicht recht hold
ist, freut sich sicher heute am Abendtisch über die hellen
Augen und frischen Backen ihres Jungen, der ihr von
seinen Kriegstaten und Listen erzählt, und bittet der „al-
bernen Soldatenspielerei“), die aus ihrem träumerischen
und weichlichen Stubenhocker einen. tatenfrohen, gesunden
Jungen gemacht hat, im stillen manches ab. Gern wird
sie, denke ich, der Bitte ihres Sohnes nachgeben, die
nächste Ferienwanderung mitmachen zu dürfen. Oben im
Gebirge haben die Pfadfinder ein bescheidenes Heim. Was
drin steht, haben sie sich selbst gebaut. Dort wollen sie
ein paar Tage hausen, im nahen Steinbruch abkochen,
bei Sonnenuntergang ihre Volkslieder singen, in stern-
klaren Nächten sogar im selbstgebauten Zelt schlafen. Glau-
ben Sie mir, die Jungen schlafen bei solchem Leben besser
als die Gäste drunten im Kurhaus. Und auch so sicher wie
die! Draußen vor dem Lager sitzt der Kornett und späht
übero Feld, hütet sein Fähnlein, auf ihn ist's gestellt,
hälr seine Lider empor mit Gewaltl! Jungtreuer Führer,
daß Gott dich erhalt!“ J. L. M.
Oberstleutnant von Heygendorff
Der Kriegerfriedhof in der Nähe der Kirche von Wirses
in Frankreich, den Oberstleutnant von Heygendorff an-
gelegt hat, deckt viele tüchtige Männer, darunter von
Heygendorffs ältesten Sohn. Dieser, der Ordonnanz=
offizier seines Vaters und Regimentskommandeurs, war am
9. September 1916 vor dem Unterstande des Vaters schwer
verwundet worden. Der Vater ließ ohne Klage seinen
Teuren ins Lazarett schaffen. Er hörte ohne Murren
die Nachricht von dem Tode des Verwundeten, der am
nächsten. Morgen schon eingetreten war. Obwohl schmerz=
gebeugt, verließ von Heygendorff nicht eine Stunde lang
sein Regiment. Am 12. September abends gab er in seinem
Unterstande bei Rancourt einen Befehl aus. Fünf Minuten
später schlug eine feindliche Granate ein, tötete ihn, drei
seiner Offiziere und einen Burschen.
Der Divisionspfarrer hielt ihm am Grabe die Gedächt-
nisrese. Aber auch der katholische Pfarrer des Ortes,
dessen Bewohner den heimgegangenen Feind als edlen
Menschenfreund bochschätzten, ließ es sich nicht nehmen,
dem Verstorbenen eine Seelenmesse zu lesen, wie schon
früher einmal ein katholischer Pfarrer in Belgien für ihn,
den gütigen. Ortskommandanten, von der Kanzel herab
gebetet hatte.
Hatten schon die Feinde Grund zur Trauer um den Toten,
so war das noch mehr der Fall bei seinen Vorgesetzten und
Soldaten.
Von Heygendorff war mit Leib und Seele Soldat ge-
wesen.
Am 1. März 1868 in Bad Elster als Sohn des dortigen
Badekommissars geboren, besuchte er später das Kgl. Gym-
nasium zu Drecden, war vorübergehend Page am Groß=
berzoglichen Hofe zu Weimar und trat 1887 als Fahnen-
junker in das Leibgrenadierregiment Nr. 100, wo er 1388
Leutnant 1900 Hauptmann und 1911 Majot wurde. Da-
zwischen war er 1892 Erzicher beim Kadettenkorps und
1898 Ordonnanzoffizier und später persönlicher Adjutant
beim Prinzen Friedrich August gewesen. Seine Vorgesetzten,
der kommandierende General und der Brigadekommandeur
berichten, wieviel er und sein Regiment unter schwierigen