Neue Berufe und Lehrwerkstätten für
Kriegsbeschädigte
Das beste Mitleid einem Kriegsbeschädigten gegenüber
ist — keines zu zeigen! Wohl sollen wir den am Leibe
geschädigten Kriegern, wann und wo sie uns auch ent-
gegentreten, in verstärktem Maße die Rücksicht zuteil wer-
den lassen, die auszuüben das Kennzeichen wahrhaft Ge-
bildeter ist. Und wenn es gilt, die Not zu lindern, soll die
Rechte nicht erst fragen, was die Linke tut. Nie aber darf
der Gedanke aufkommen, daß Kriegsbeschädigte eine be-
sondere Klasse von Menschen seien, die, nun einmal vor-
handen, mit einem eigenen Maßstabe zu messen, im übri-
gen aber nicht mit ihren Mitbürgern zu vergleichen sinb.
Von diesen Er-
wägungeniistaus-
zugchen, wenncs
sich darum han-
delt, die wirschaft-
liche Stellung der
Kriegsbeschädig-
ten zusichern, d.h.
sie ins bürger-
liche Leben zu-
rückzuführen.
Der Fürsorge
für die Kriegs-
beschädigten
oder, wie man
früher sagte, der
Invaliden, ist zu
allen Zeiten Auf-
merksamkcit ge-
schenkt worden,
wenn auch in
ganz verschicdc-
ner Art und dem-
entsprechenden
Erfolg. Wir mis-
sen, daß das Altr-
tum die invaliden
Krieger nicht bloß
ehrte, sondern
auch dafür besorgt war, ihr Auskommen zu sichern. Wir
erfahren ferner von der Fürsorge einzelner Fürsten des
Mittelalters für ihre verstümmelten Helden, soweit es
sich nicht um hergelaufene Söldner handelte. Und je weiter
wir undg unserm Jahrhundert nähern, desto großzügiger
und geregelter tritt uns die tatkräftige Anteilnahme für
die Kriegobeschädigten entgegen. Aber immer läuft diese
Fürsorge auf eine „Versorgung“ im landläufigen Sinne
des Wortes hinaus, auf eine Ausschaltung der ehemaligen
Krieger aus dem bürgerlichen Leben. Daran ändern auch
die „Loldenen Käfige“ nichts, mit denen man die oft
mit allen erdenklichen Bequemlichkeiten ausgestatteten In-
validenheime vergleichen kann. Ja, man kann demgegen-
über wohl sagen, daß der Leierkasten üblen Andenkens
doch so manche Vorzüge hatte.
Allgemein ging man, genau so wie heute, von der
unbestritten richtigen Voraussetzung aus, daß der durch
den Krieg an seinem Leibe Geschädigte Anspruch auf eine
Sicherstellung seines Auskommens habe, da er meist nicht
mehr in der Lage sei, sich und die Seinen ohne fremde
Hilfe genügend zu unterhalten. Aber der in der Ver-
folgung dieser Gedanken eingeschlagene Weg kann nach
Linkshänder am Parlograph
(Elnarmigenschule in Dresden)
unseren heutigen Erfahrungen nicht als der richtige aner-
kannt werden. Angenommen, daß die Invalidenfürsorge
wirtschaftlich genügte, sei es durch Gewährung einer Rente,
eines Vorrechtes oder Unterbringung in einer Anstalt, so
beging man doch zumeist den Fehler, die Kriegobeschädig-
ten der wirtschaftlichen Arbeit zu entziehen und sie zu
einem tatenlosen Leben zu verurteilen.
Nun sind zwar zweifellos stets Fälle zu verzeichnen ge-
wesen, bei denen die in Frage Kommenden völlig hilflos
und zu keiner Arbeit mehr fähig waren. Bei der vielfach
ungenügenden und durch fehlende Organisation mangel-
haften sanitärcn
Behandlung war
die Zahl dieser
Unglücklichen
früheren Zciten
wohl auch cine
verhältnismäßig
sehr hohe. An-
dererseits mögen
auch die Verwen-
dungsmöglich-
keiten der Kriegs-
beschädigten im
bürgerlichen Le-
ben beschränkter
gewesen sein als
jetzt. Der aus-
schlaggebende
Grund ist aber
wohl darin zu
suchen, daß man
in früheren Zei-
ten vom sozialen
Standpunkt aus
mit dem Men-
schen als Teil der
Arbeitskraft, von
dessen Erhaltung
unser Staatsge-
füge abhängig ist, viel zu wenig rechnete, vielleicht auch
nicht zu rechnen brauchte.
Ganz anders jetzt! Als eine der schlimmsten Folgen des
Völkerringens ist der Wegfall all der Tausende kostbarer
Arbeitskräfte zu bezeichnen, die wir im kommenden Wirt-
schaftskrieg so dringend benötigen. Debhalb müssen wir
mit dem vorhandenen Menschenmaterial genau so haus-
hälterisch verfahren, wie wir es nun seit Jahren mit dem
gewohnt sind, was wir zu des Leibes Nahrung und Not-
durft brauchen. Wir können keine Hand, die sich nur halb-
wegs noch rühren kann, entbehren. Schon aus diesem
Grunde ist eo geboten, die Kraft eines jeden Kriegöbeschä-
digten, und sei sie auch scheinbar noch so gering und klein,
so auczubilden, daß sie nicht bloß sich allein, sondern
dem Staate voll nutzbar wird.
„Den rechten Mann an die rechte Stelle“, lautet die
allgemeine Zukunftoforderung. Das hat zur Voraussetzung
und zur Folgerung, dass Arbeitsplätze, die von körperlich
nicht vollwertigen ausgefüllt werden können, nicht durch
Menschen mit gesunden Gliedern besetzt werden. Dies zu
regeln, wird um so leichter sein, da uns ja der Krieg ge-
zeigt hat, daß Frauen gar manchen Dienst versehen, den