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erwähnt, ein derartiges Abwandern ganz entschieden be-
kämpft werden. Denn sonst kommen wir allgemach dahin,
daß in der Hauptsache nur noch Wenigerintelligente ein
Handwerk ausüben.
Vielleicht haben wir bei diesem Kampfe unsere gegen-
wärtigen wirtschaftlichen Verhältnissen mit im Bunde. Wenn
in unserer Zeit viele mehrköpfige Arbeiterfamilien ein
Jahreseinkommen haben, das ein Vermögen bedeutet, wird
es sich wohl mancher Vater überlegen, ob er seinen Sohn
der Schreibstube, statt der Werkstatt zuführt. Sicherlich
werden sich die wirtschaftlichen Gegensätze, die vielfach alles
bisher Bestehende auf den Kopf gestellt und manche Uber-
lieferung über den Haufen geworfen haben, nach dem Frie-
den allmählich wieder ausgleichen. Aber auf Jahre hinaus
wird der „Hand“-Arbeiter den „Kopf“-Arbeiter im weißen
Kragen nicht beneiden.
Das ist auch für unsere Kriegsbeschädigten wichtig!
Eine andere Ursache, die vielen eine gewisse Scheu vor
körperlicher Arbeit beibrachte, ist die falsche Sorge vieler
Begriff „Analphabet“ im vollen Sinne nur als Fremd-
wort kennt.
Der Schreibunterricht befaßt sich nicht nur mit Links-
händern, d. h. mit solchen, denen die rechte Hand gänzlich
fehlt oder für den Gebrauch nicht mehr in Frage kommt.
Es kann sogar gesagt werden, daß diese Fälle fachtechnisch
als die „einfachsten“ zu bezeichnen sind. Denn die linke
Hand eine Tätigkeit ausüben zu lassen, die bisher der rechten
uUfiel, bedarf einer verhältnismäßig nicht allzu langen
bung. Jeder von uns hat sicher einen Bekannten, einen
sogenannten Linkser, der mit der linken Hand genau so
zeichnen, malen, nähen, sticken kann, wie mit der rechten.
Und wenn er nicht links schreibt, so kommt das lediglich
daher, daß er es noch nicht geübt hat. Wir wollen hier
nicht den wissenschaftlichen Streit aufrollen und die Zu-
sammenhänge untersuchen, die zwischen dem Gehirn und
der rechten, bzw. linken Hand bestehen. Wir wollen weiter
auch nicht den Verfechtern der „Beidarmigkeit“ (Ambi-
dextrie) das Wort reden. Sicher hat diese Theorie durch
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auch aus üblem
Willen zu über-
zeugen, daß er
völlig erwerbsunfähig sei und Vollrente erhalten müsse. Die
Gespräche der Lazarettinsassen untereinander wirkten oft hier-
bei noch aufmunternd, obschon derartige Redereien natür-
lich jedes haltbaren Grundes entbehrten. Es hat vieler
Belehrungen und Auseinandersetzungen ärztlicher und ziviler
Berufsberater, unzähliger gesprochener und geschriebener
Worte bedurft, ehe die gute Einsicht siegte.
Aus alledem geht hervor, daß schon ein großer Schritt
nach vorwärts getan ist, wenn der Kriegsbeschädigte über-
haupt wieder sich der Arbeit zuwendet und sie als ein Be-
dürfnis betrachtet. Dann erst können die Lehrwerkstätten,
Einarmerschulen, Schullazarette und wie die Einrichtungen
sonst noch heißen, mit ihrer Arbeit einsetzen. Soweit diese
Veranstaltungen nicht lediglich Ziele verfolgen, die im
Nahmen der unmittelbaren Heilbehandlung liegen, wollen
sie die Kriegsbeschädigten entweder befähigen, den bis-
berigen Beruf wieder auszuüben oder, wenn dies durch-
aus nicht mehr möglich ist, die Ausbildung für eine neue
Tätigkeit vermitteln. —
In allerengster Verbindung mit der Heilbehandlung
steht die Arbeit der Einarmerschulen im engeren Sinne
des Wortes. Fierbei mus zunächst bemerkt werden, daß
die Haupttätigkeit dieser Anstalten keineswegs in der Ver-
mittelung des Linksschreibens besteht. Immerhin wird der
Schreibunterricht hier eine große Rolle spielen. Kein
Wunder, denn wir leben in einem Staate, in dem man den
— 2 —. —— —
Oben: Mit der linken Hand geschrielen. Unten: Geschrieben mit rechter Unterarm-Prothese.
nißmäßig kurzer
Zeit mit der Lin-
ken schrciben. In
viclen Fällen er-
wirbt er sich sogar eine bessere Handschrift, als er vorher
besaß, sofern ihm natürlich die richtige Unterweisung zuteil
wird. Der Schreibunterricht der Einarmer darf keineswegs
seine Stärke darin suchen, möglichst schnell einige äußere Er-
folge zu erreichen. Arm und Hand müssen nicht bloß
für das Schreiben „dressiert“, also einseitig abgerichtet
werden, sondern die Fähigkeit erlangen, alle Verrichtungen
schnell und sicher auszuführen, ohne daß die Muokelpartien
einseitig ermüdet und angestrengt werden.
Wie schon gesagt, handelt es sich hierbei nicht nur um
Kriegsbeschädigte, die den vollständigen Verlust der Hand
zu beklagen haben, sondern auch um solche, bei denen die
verletzte Hand, zuerst vollständig gebrauchsunfähig, durch
geeignete Behandlung allmählich ihre frühere Geschicklich-
keit wenigstens zum großen Teile wieder erlangen bann.
Das setzt selbstverständlich eine Unterweisung voraus, die
mit dem oft üblichen oberflächlichen Schreibunterricht nichto
gemein hat. Der Schreiblehrer wird sich zuerst ein Bild
davon verschaffen, wie seine Schüler an die Aufgabe
herantreten. Dabei sind die verschiedensten Erscheinungen
zu beobachten. Einseitige Benutzung der Schreibfinger —
die Buchstaben entstehen gewöhnlich nur durch Beugen
und Strecken den Finger —, falsche Handlage, durch die
wiederum die entstehende Schrift eine unnatürliche Nichtung
erhält, unpassendes, oft sogar gänzlich unbrauchbares
Schreibgerät (am unbrauchbarsten erweisen sich gewöhn-