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geschnitten. Es hängt dies oft damit zusammen, daß sich
die Ausbildung der Kriegsbeschädigten meist in den Rahmen
des allgemeinen Unterrichtsplanes einfügen muß. Je mehr
sich die fachtechnischen Lehranstalten den Hochschulen nähern,
desto mehr entfernen sie sich von der Praxis, in der die
Zeit Geld bedeutet. Dabei ist immer zu bedenken, daß auch
die beste Fachschule, so reiche und umfassende Ausbildungs-
möglichkeiten sie bietet, letzten Endes die Praxis in der
Industrie nicht ersetzen kann. Handelt es sich hier doch
nicht nur darum, irgendeine Arbeit technisch, unter Um-
ständen auch künstlerisch zu verrichten, sondern diese Arbeit
auch in Einklang zu bringen mit den berechtigten Forde-
rungen des Verbrauchers einerseits und dem Marktwert der
Arbeit andererseits. Wenn demnach die Umschulung talen-
tierter Kriegsbeschädigter aus dem graphischen Berufe nicht
zu einer brotlosen Kunst hinführen soll, muß die Schule die
Vollendung der Ausbildungstätigkeit dem Gewerbe und
der Industrie überlassen.
Auf alle die Arbeitomöglichkeiten einzugehen, die das
graphische Gewerbe dem ausgebildeten Facharbeiter bietet,
muß hier verzichtet werden. Es seien nur einige heraus-
gegriffen, die zeigen, nach welcher Richtung hin innerhalb
des alten Berufes viele kriegsbeschädigte Graphiker aus-
gebildet werden können, oder auch neue Quellen aussichts-
reichen Verdienstes sich erschließen.
Wie nicht anders zu erwarten war, nahm auf dem Ge-
biete des Buchdruckes der Deutsche Buchdrucker-Verein
bald nach Beginn des Krieges die Angelegenheit der Ver-
sorgung seiner kriegsbeschädigten Angehörigen tatkräftig
in die Hand und förderte sie eifrig. Das wird den
nicht wundernehmen, der da weiß, daß die „schwarze Kunst“
derjenige Beruf ist, dessen Ausübende, Arbeitgeber sowohl-
als Arbeitnehmer, zuerst erkannten, daß nur ein enger Zu-
sammenschluß die Interessen des Standes zu heben und zu
unterstützen imstande ist. Das Tarifamt der Deutschen
Buchdrucker-Tarifgemeinschaft schien infolgedessen als die
geeignete Stelle, in Gemeinschaft mit den örtlichen allge-
meinen Fürsorgestellen die Unterbringung, Ausbildung und
Umschulung der Buchdruckergehilfen zu regeln. Denn, wenn
auch eine größere Anzahl von Betrieben sich der freiwilligen
Fürsorge für Verwundete mit größtem Eifer und mit an-
erkennungowertem Erfolg hingab, so ließ diese Fürsorge
doch anfangs die notwendige Einheitlichkeit vermissen und
umfaßte nicht die Mehrzahl der kriegsbeschädigten Gehilfen
der Setzerei, Druckerei und verwandter Betriebsarten. Das
anfango geplante groß anzulegende Fürsorgewerk, an einem
größeren Orte Deutschlands in Verbindung mit eigens
diesem Zwecke dienenden Lazaretten umfangreiche Eingewöh-
nungs= und Umlernungskurse für Buchdruckergehilfen zu
errichten, kam, man kann vielleicht sagen glücklicherweise,
nicht zur Durchführung. So vorteilhaft derartige Zentrali=
sationen auf den ersten Blick erscheinen, so haften ihnen doch
so viel Mängel an, die es ratsam erscheinen lassen, auf zahl-
reiche kleinere Vereinigungen zuzukommen, bei denen der
Verwaltungsapparat nicht das übrige Werk erdrückt.
Immerhin ist das Hand-in-Hand-Arbeiten einer Zentralstelle
mit den einzelnen Provinzialplätzen von größtem Nutzen,
weil dadurch bei einer Verlegung von Kriegsbeschädigten
die begonnene Auobildung am besten und schnellsten geregelt
und weitergeführt werden kann.
Für Sachsen war Leipzig von vornherein die gegebene
Stätte für die Ausbildung briegsbeschädigter Buchdrucker.
Zu einer Anzahl mustergültiger Fachschulen, in denen
Gutenbergs Kunst von den einfachsten handwerklichen
Begriffen bis zur Höhe bünstlerischer Vollendung theo-
retisch und praktisch gelehrt wird, kommen die zahl-
reichen industriellen Betriebe, wie sie auf dem Gebiete
des Buchgewerbes wohl keine andere Stadt in größe-
rem Umfange aufzuweisen hat. Das Bestreben, hier alle
kriegsbeschädigten Buchdruckergehilfen des Xll. und XIX. Ar-
meekorps, sobald es die Lazarettbehandlung nur irgendwie
erlaubte, zu vereinigen, fand bei den zuständigen militäri-
schen Behörden in dankenowerter Weise das größte Ent-
gegenkommen.
Von Ostern 1916 an wurden Lehrwerkstätten für Hand-
und Maschinensetzer, Buchdrucker, Chemigraphen, Schrift-
gießer und Stereotypeure eingerichtet. Man ging auch hier-
bei von dem Grundsatze aus, möglichst alle kriegsbeschä-
digten Gehilfen dem Gewerbe zu erhalten und sie in erster
Linie denjenigen Arbeitszweigen wieder zuzuführen, in denen
sie ehemals mit Erfolg tätig waren. Durch Eingewöhnungs-
kurse in Verbindung mit praktischer Arbeit in Betrieben,
die sich besonders mit der praktischen Schulung von Be-
schädigten befaßten, ist das in den meisten, oft sehr schwie-
rigen und auf den ersten Blick hoffnungslosen Fällen er-
folgt. Viele Schriftsetzer, die starke Beeinträchtigung in der
Verwendungsfähigkeit der Arme oder der Hände aufwiesen
oder denen durch Beinverletzungen das anhaltende Stehen
Beschwerden verursachte, konnten ihrem Berufe in gewohn-
ter Weise nicht mehr nachgehen. Diesen bot sich fast immer
die Möglichkeit, an Stelle des Handsetzeno den Maschinen=
satz zu erlernen und auszuüben. Als Systeme kommen hier
in der Hauptsache in Betracht: die Linotype-, die Mono-
type- und Typograph-Setzmaschine. Da bei dem ersteren die
Arbeit bekanntlich im Sitzen verrichtet werden kann und
auch Hände und Arme weniger in Anspruch genommen
werden, ziehen die meisten kriegsbeschädigten Setzer dieses
System vor. Um eine einseitige Überfüllung dieses Sonder-
berufes zu vermeiden, wählt man deshalb in die Aus-
bildungslehrgänge hierfür solche Verletzte, bei denen die
Arbeit an einer Maschine anderen Systems ausgeschlossen
erscheint. Denn die Typograph-Setzmaschine verlangt zwar
an und für sich von dem Bedienenden durchaus nicht voll-
ständig gesunde Glieder, aber es ist doch notwendig, daß
der Setzer die Arme möglichst frei bewegen kann und ihm
das Stehen keine besonderen Beschwerden verursacht. Der
Tastapparat der Monotype-Setzmaschine hingegen kann vor-
zugsweise von Kriegsbeschädigten gehandhabt werden, die
mit schweren Beinschäden behaftet sind. In jedem Falle ge-
nügt es aber nicht, die Leute einfach mechanisch die Maschine
in Tätigkeit setzen zu lassen, sondern sie möglichst mit dem
ganzen sinnreichen Bau dergestalt vertraut zu machen, daß
sie vorkommenden Betriebsstörungen nicht ratlos gegen-
überstehen, sondern dieselben, wenn irgend möglich, be-
seitigen können. Meist sind die Ausgebildeten nach kurzer
Jeit soweit gefördert, daß sie den Eingewöhnungslehrgang
mit der Arbeit im gewerblichen Betriebe vertauschen können,
der ihnen mit sieigender Geschicklichkeit lohnenden Ver-
dienst wie früher, oft sogar in reicherem Maße, gewährt.
Nebenher läuft neben der praktischen Ausbildung meist auch
noch ein Lehrgang, der die Hebung der Allgemeinbildung
bezweckt, die ja die Grundlage für bie Beweglichkeit und
vielseitige Verwendbarkeit im Berufe bildet. Daß die Ge-
legenheit zu dieser Förderung gerade von den Angehörigen
des Buchdruckerstandes besonders gern ergriffen und aus-
giebig benutzt wird, ist darum nicht verwunderlich, weil ja
schon in Friedenszeiten hier ein besonders hohes Bildungs-
bedürfnis vorlag.
Bei den kriegsbeschädigten Druckern muß von anderen
Voraussetzungen ausgegangen werden, weil hier an den
körperlichen Zustand erheblich höhere Anforderungen ge-
stellt werden, als bei den Setzern. Sie müssen über die
Arme frei verfügen können, aber auch im Gebrauch der
Füße nicht allzu sehr behindert sein. Manches läßt sich
durch Verwendung geeigneter Ersatzglieder ausgleichen.
Schwieriger ist es schon, wenn zu den außerlichen Beschädi-
gungen noch Nervenschwäche hinzukommt, wie es gerade bei
vielen Maschinenmeistern der Fall ist. Doch zeigt sich