Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

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geschnitten. Es hängt dies oft damit zusammen, daß sich 
die Ausbildung der Kriegsbeschädigten meist in den Rahmen 
des allgemeinen Unterrichtsplanes einfügen muß. Je mehr 
sich die fachtechnischen Lehranstalten den Hochschulen nähern, 
desto mehr entfernen sie sich von der Praxis, in der die 
Zeit Geld bedeutet. Dabei ist immer zu bedenken, daß auch 
die beste Fachschule, so reiche und umfassende Ausbildungs- 
möglichkeiten sie bietet, letzten Endes die Praxis in der 
Industrie nicht ersetzen kann. Handelt es sich hier doch 
nicht nur darum, irgendeine Arbeit technisch, unter Um- 
ständen auch künstlerisch zu verrichten, sondern diese Arbeit 
auch in Einklang zu bringen mit den berechtigten Forde- 
rungen des Verbrauchers einerseits und dem Marktwert der 
Arbeit andererseits. Wenn demnach die Umschulung talen- 
tierter Kriegsbeschädigter aus dem graphischen Berufe nicht 
zu einer brotlosen Kunst hinführen soll, muß die Schule die 
Vollendung der Ausbildungstätigkeit dem Gewerbe und 
der Industrie überlassen. 
Auf alle die Arbeitomöglichkeiten einzugehen, die das 
graphische Gewerbe dem ausgebildeten Facharbeiter bietet, 
muß hier verzichtet werden. Es seien nur einige heraus- 
gegriffen, die zeigen, nach welcher Richtung hin innerhalb 
des alten Berufes viele kriegsbeschädigte Graphiker aus- 
gebildet werden können, oder auch neue Quellen aussichts- 
reichen Verdienstes sich erschließen. 
Wie nicht anders zu erwarten war, nahm auf dem Ge- 
biete des Buchdruckes der Deutsche Buchdrucker-Verein 
bald nach Beginn des Krieges die Angelegenheit der Ver- 
sorgung seiner kriegsbeschädigten Angehörigen tatkräftig 
in die Hand und förderte sie eifrig. Das wird den 
nicht wundernehmen, der da weiß, daß die „schwarze Kunst“ 
  
derjenige Beruf ist, dessen Ausübende, Arbeitgeber sowohl- 
als Arbeitnehmer, zuerst erkannten, daß nur ein enger Zu- 
sammenschluß die Interessen des Standes zu heben und zu 
unterstützen imstande ist. Das Tarifamt der Deutschen 
Buchdrucker-Tarifgemeinschaft schien infolgedessen als die 
geeignete Stelle, in Gemeinschaft mit den örtlichen allge- 
meinen Fürsorgestellen die Unterbringung, Ausbildung und 
Umschulung der Buchdruckergehilfen zu regeln. Denn, wenn 
auch eine größere Anzahl von Betrieben sich der freiwilligen 
Fürsorge für Verwundete mit größtem Eifer und mit an- 
erkennungowertem Erfolg hingab, so ließ diese Fürsorge 
doch anfangs die notwendige Einheitlichkeit vermissen und 
umfaßte nicht die Mehrzahl der kriegsbeschädigten Gehilfen 
der Setzerei, Druckerei und verwandter Betriebsarten. Das 
anfango geplante groß anzulegende Fürsorgewerk, an einem 
größeren Orte Deutschlands in Verbindung mit eigens 
diesem Zwecke dienenden Lazaretten umfangreiche Eingewöh- 
nungs= und Umlernungskurse für Buchdruckergehilfen zu 
errichten, kam, man kann vielleicht sagen glücklicherweise, 
nicht zur Durchführung. So vorteilhaft derartige Zentrali= 
sationen auf den ersten Blick erscheinen, so haften ihnen doch 
so viel Mängel an, die es ratsam erscheinen lassen, auf zahl- 
reiche kleinere Vereinigungen zuzukommen, bei denen der 
Verwaltungsapparat nicht das übrige Werk erdrückt. 
Immerhin ist das Hand-in-Hand-Arbeiten einer Zentralstelle 
mit den einzelnen Provinzialplätzen von größtem Nutzen, 
weil dadurch bei einer Verlegung von Kriegsbeschädigten 
die begonnene Auobildung am besten und schnellsten geregelt 
und weitergeführt werden kann. 
Für Sachsen war Leipzig von vornherein die gegebene 
Stätte für die Ausbildung briegsbeschädigter Buchdrucker. 
Zu einer Anzahl mustergültiger Fachschulen, in denen 
Gutenbergs Kunst von den einfachsten handwerklichen 
Begriffen bis zur Höhe bünstlerischer Vollendung theo- 
retisch und praktisch gelehrt wird, kommen die zahl- 
reichen industriellen Betriebe, wie sie auf dem Gebiete 
des Buchgewerbes wohl keine andere Stadt in größe- 
rem Umfange aufzuweisen hat. Das Bestreben, hier alle 
kriegsbeschädigten Buchdruckergehilfen des Xll. und XIX. Ar- 
meekorps, sobald es die Lazarettbehandlung nur irgendwie 
erlaubte, zu vereinigen, fand bei den zuständigen militäri- 
schen Behörden in dankenowerter Weise das größte Ent- 
gegenkommen. 
Von Ostern 1916 an wurden Lehrwerkstätten für Hand- 
und Maschinensetzer, Buchdrucker, Chemigraphen, Schrift- 
gießer und Stereotypeure eingerichtet. Man ging auch hier- 
bei von dem Grundsatze aus, möglichst alle kriegsbeschä- 
digten Gehilfen dem Gewerbe zu erhalten und sie in erster 
Linie denjenigen Arbeitszweigen wieder zuzuführen, in denen 
sie ehemals mit Erfolg tätig waren. Durch Eingewöhnungs- 
kurse in Verbindung mit praktischer Arbeit in Betrieben, 
die sich besonders mit der praktischen Schulung von Be- 
schädigten befaßten, ist das in den meisten, oft sehr schwie- 
rigen und auf den ersten Blick hoffnungslosen Fällen er- 
folgt. Viele Schriftsetzer, die starke Beeinträchtigung in der 
Verwendungsfähigkeit der Arme oder der Hände aufwiesen 
oder denen durch Beinverletzungen das anhaltende Stehen 
Beschwerden verursachte, konnten ihrem Berufe in gewohn- 
ter Weise nicht mehr nachgehen. Diesen bot sich fast immer 
die Möglichkeit, an Stelle des Handsetzeno den Maschinen= 
satz zu erlernen und auszuüben. Als Systeme kommen hier 
in der Hauptsache in Betracht: die Linotype-, die Mono- 
type- und Typograph-Setzmaschine. Da bei dem ersteren die 
Arbeit bekanntlich im Sitzen verrichtet werden kann und 
auch Hände und Arme weniger in Anspruch genommen 
werden, ziehen die meisten kriegsbeschädigten Setzer dieses 
System vor. Um eine einseitige Überfüllung dieses Sonder- 
berufes zu vermeiden, wählt man deshalb in die Aus- 
bildungslehrgänge hierfür solche Verletzte, bei denen die 
Arbeit an einer Maschine anderen Systems ausgeschlossen 
erscheint. Denn die Typograph-Setzmaschine verlangt zwar 
an und für sich von dem Bedienenden durchaus nicht voll- 
ständig gesunde Glieder, aber es ist doch notwendig, daß 
der Setzer die Arme möglichst frei bewegen kann und ihm 
das Stehen keine besonderen Beschwerden verursacht. Der 
Tastapparat der Monotype-Setzmaschine hingegen kann vor- 
zugsweise von Kriegsbeschädigten gehandhabt werden, die 
mit schweren Beinschäden behaftet sind. In jedem Falle ge- 
nügt es aber nicht, die Leute einfach mechanisch die Maschine 
in Tätigkeit setzen zu lassen, sondern sie möglichst mit dem 
ganzen sinnreichen Bau dergestalt vertraut zu machen, daß 
sie vorkommenden Betriebsstörungen nicht ratlos gegen- 
überstehen, sondern dieselben, wenn irgend möglich, be- 
seitigen können. Meist sind die Ausgebildeten nach kurzer 
Jeit soweit gefördert, daß sie den Eingewöhnungslehrgang 
mit der Arbeit im gewerblichen Betriebe vertauschen können, 
der ihnen mit sieigender Geschicklichkeit lohnenden Ver- 
dienst wie früher, oft sogar in reicherem Maße, gewährt. 
Nebenher läuft neben der praktischen Ausbildung meist auch 
noch ein Lehrgang, der die Hebung der Allgemeinbildung 
bezweckt, die ja die Grundlage für bie Beweglichkeit und 
vielseitige Verwendbarkeit im Berufe bildet. Daß die Ge- 
legenheit zu dieser Förderung gerade von den Angehörigen 
des Buchdruckerstandes besonders gern ergriffen und aus- 
giebig benutzt wird, ist darum nicht verwunderlich, weil ja 
schon in Friedenszeiten hier ein besonders hohes Bildungs- 
bedürfnis vorlag. 
Bei den kriegsbeschädigten Druckern muß von anderen 
Voraussetzungen ausgegangen werden, weil hier an den 
körperlichen Zustand erheblich höhere Anforderungen ge- 
stellt werden, als bei den Setzern. Sie müssen über die 
Arme frei verfügen können, aber auch im Gebrauch der 
Füße nicht allzu sehr behindert sein. Manches läßt sich 
durch Verwendung geeigneter Ersatzglieder ausgleichen. 
Schwieriger ist es schon, wenn zu den außerlichen Beschädi- 
gungen noch Nervenschwäche hinzukommt, wie es gerade bei 
vielen Maschinenmeistern der Fall ist. Doch zeigt sich
	        
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