Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

452 
Man mag über den Wert des Looseschen Systems 
denken wie man will, jedenfalls fesselt das Zirkel- 
ornament durch den straffen Aufbau und den Reich- 
tum von Formen. Die farbige Behandlung, auf deren 
Wiedergabe hier aus technischen Gründen abgesehen 
werden mußte, ist unbeschränkt. Die strenge Formen- 
begrenzung drängt zu einer klaren Entscheidung, alles Ver- 
schwommene, Unklare scheidet aus. Die beifolgenden Ab- 
bildungen können kein umfassendes Bild des Systemauf- 
baues geben. Sie zeigen nur einige Anwendungen für die 
Praxis. Der Lehrgang beginnt mit den einfachen Kreis- 
formen. Wie dieser auch verwendet wird, ob in= oder neben- 
einandergesetzt, ob als Einzelteil oder Flächenmuster, stets 
ergibt er bei richtiger Raumverteilung gefällige Formen. 
Die weitere Stufe führt zur ornamentalen Bildung und 
Ausgestaltung geometrischer Formen, die aus Kreisstücken 
zusammengesetzt sind. Bereits hier wird die reiche Varia= 
tionsmöglichkeit der einzelnen Formen dergestalt erkennbar, 
daß durch kleine Anderungen zum Teil völlig neue Ge- 
bilde entstehen. Gleichzeitig erweitert sich bei Flächen= 
mustern der Spielraum der Formenwelt, der Zwischenraum 
nebeneinandergesetzter feststehender Formen bietet zu neuen 
Anlaß, wobei durch Zufall oft eigenartige, reizvolle Ge- 
bilde entstehen. Mit dem Fortschreiten zu Stern= und 
Rosettenformen ergibt sich die Notwendigkeit geometrischer 
Kenntnisse, wie denn auch mit der weiteren Einbeziehung 
von Blatt, Blüte usw. die eigentliche gehobene geistige Tätig- 
keit beginnt. Wenn auch infolge der natürlichen Grenzen 
des Systems und der Gebundenheit der Linie nur Schema= 
tisierungen und Stilisierungen zustande kommen, die einer 
gewissen Freiheit entbehren, so wird doch die Naturform 
gebührend berücksichtigt, da sie ja geometrischer Gesetz- 
mäßigkeit unterliegt. 
Das System Loose kann natürlich nur den Weg, nicht 
das Endziel zeigen. Auch eignet es sich, das sei wiederholt 
gesagt, nicht für jeden Linkshänder, selbst wenn er von Be- 
ruf Zeichner ist. Sicher aber zeigt es manchem eine neue 
Bahn, die zu betreten ebenso interessant wie lohnend ist. 
Auch wenn das Zirkelzeichnen nach Loose nicht zu dem 
Zwecke getrieben wird, ein ornamental eigenartiges, technisch 
neues Verfahren praktisch zu verwerten, bilden die Ubungen 
eine schätzenswerte Bereicherung der Lehrbeispiele zur Ein- 
gewöhnung und Ausbildung von Linkshändern. — 
Alo dritte größere Gruppe von Industriearbeitern sind 
die Angehörigen der Metallindustrie zu nennen. Wenn 
dieser Berufszweig mit seinen überaus verzweigten Sonder- 
betrieben in Sachsen auch nicht die ausschlaggebende Be- 
deutung hat, wie z. B. im Westen Deutschlands, so sind 
doch in unserem engeren Vaterland eine große Anzahl von 
zu verzeichnen, die mehr als örtliche Bedeutung 
aben. 
Es wurde schon besprochen, daß das Heeresinteresse 
es erforderte, viele Kriegsbeschädigte aun ihrem Berufe 
u entfernen und sie der Schwerindustrie, also haupt- 
söohih, der Metallarbeit zuzuführen. Es ist selbstverständ- 
lich, daß es sich hierbei nur um ein „Provisorium“ handelte, 
eine vorläufige, einstweilige Einrichtung, die für viele nur 
den Uberganz in den ehemaligen Beruf bildet. Aus diesem 
Grunde handelte es sich auch bei der Um= und Einschulung 
von berufsmäßigen Metallarbeitern, d. h. solchen, die schon 
früher in diesem Industriezweig tätig waren, um andere 
Maßnahmen, als bei Leuten, die hier nur vorübergehend 
arbeiteten. 
Im großen und ganzen sind die hierfür aufgestellten 
Grundsätze denen der anderen Berufe ähnlich. In ein- 
gehender Weise hat sich Oberregierungsrat Dipl.-Ing. Mühl- 
mann in Chemnitz der Sache angenommen und Leitsätze 
aufgestellt, die ungefähr die folgenden Gedanken enthalten: 
Die kriegebeschädigten Metallarbeiter sollen möglichst im 
Metallgewerbe weiterbeschäftigt werden. Sie sind entweder 
für die Fabrik= und gewerblichen Werkstätten oder für die 
verschiedenen technischen Geschäftsabtellungen der Ma- 
schinenfabriken anzulernen und weiterzubilden. 
In die Lehrgänge der Werkstätten werden die gelernten 
und ungelernten Kriegsbeschädigten des Metallgewerbes, 
sowie auch solche, die in diesen Beruf eingeführt werden 
sollen, aufgenommen. Sofern sie nicht handwerksmäßig 
als Mechaniker, Schlosser, Klempner, Schmied usw. ler- 
nen, sind sie für das Arbeiten an den Werkzeugmaschinen 
zu schulen. Als Ausbildungsstätten werden die Lehrwerk- 
stätten der Fachschulen und die eigens für diesen Zweck ge- 
schaffenen Anlern= und Ubungswerkstätten, sowie die Ersatz- 
gliederwerkstätten der Lazarette benutzt. Im Anschluß hieran 
werden Kriegsbeschädigte von diesen Unterrichtsstätten in 
Fabriken und andere gewerbliche Betriebe untergebracht, 
um dort eine rein praktische Ausbildung zu erhalten. Die 
Werkstätten, die mit den Lazaretten, in denen die Leute 
wohnen, unmittelbar verbunden sind, haben den Vorzug, 
daß die Kriegsbeschädigten als Kranke und als Lernende 
unter einer Leitung stehen und dadurch die Überwachung 
am einfachsten wird. Es empfiehlt sich, die Arbeitenden 
durch eine Bezahlung, vielleicht in der Gestalt sog. Fleiß- 
prämien, zur Arbeit anzuspornen. Zu diesem Zwecke kön- 
nen Lehrwerkstätten Einzelteile für Fabriken bearbeiten. 
Es ist nötig, daß die Leute, soweit es ihr Gesundheits- 
zustand zuläßt, den vollen Arbeitstag ausnützen. 
Aus den Erfahrungen ergibt sich, daß Arbeiter mit 
einem Bein sich an Hobel-, Bohr= und Stanzmaschinen 
leichter einrichten als an Drehbänken. Das Arbeiten an 
den letzteren strengt die Muskeln des vorhandenen Beines 
mehr an, als die Tätigkeit an den anderen Maschinen. Ein- 
armer scheinen sich besonders für Feilmaschinen und Re- 
volverbänke zu eignen. Gegenüber den künstlichen Arbeits- 
händen und Armprothesen werden mit Vorliebe oft die an 
den Werkzeugmaschinen selbst angebrachten Einrichtungen 
bevorzugt, bei denen der Fuß die Arbeit der fehlenden 
Hand übernimmt. 
Die Ausbildung zu Maschinenwärtern und Kesselheizern 
muß vor allem in praktischer Weise an Maschinen und 
Kesseln selbst erfolgen. Höchstens den Leuten, die schon 
früher als Heizer tätig waren, kann eine Vortragoreihe 
Auen bringen. 
ur die kriegsbeschädigten Metallarbeiter, die infolge 
ihrer Verletzungen für die praktische Werkstattätigkeit un- 
fähig sind, sollen in die theoretischen Lehrgänge aufgenom- 
men werden, um sie für die Tätigkeit in den verschiedenen 
technischen Geschäftsabteilungen der Maschinenfabriken an- 
zulernen, sie also zu Lagerhaltern, Anreißern, Werkstatt- 
schreibern, Lohnrechnern, Veranschlagern u. ä. auszubilden. 
Leute, die nicht aus dem Metallgewerbe kommen, sind 
für eine derartige Ausbildung nicht geeignet. Zeichnen wird 
nur soweit getrieben, daß die Unterrichteten Werkzeich- 
nungen verstehen und lesen lernen, vielleicht sich auch noch 
einige Fertigkeit in Skizzieren aneignen. In den verhält- 
nismäßig kurzen Lehrgängen können und sollen niemals 
Techniker ausgebildet werden. Ist es bei guter Veranlagung 
und besonderer Befähigung empfehlenswert, kriegsbeschä- 
bigten Metallarbeitern eine höhere Ausbildung zuteil werden 
zu lassen, so bieten die Maschinenbauschulen in ihren ord- 
nungsgemässen Lehrgängen dazu Gelegenheit. 
Mit sehr guten Ergebnissen sind viele Kriegsbeschädigte 
im autogenen Schneiden und Schweißen ausgebildet worden. 
Diese technischen Verfahren sind im Metallgewerbe von so 
großer Wichtigkeit und ihre Erlernung mit verhältnismäßig 
nicht allzu hohen Voraussetzungen verknüpft, daß viele 
Kriegsbeschädigte, in erster Lnie selbstverständlich Metall- 
arbeiter, die Gelegenheit wahrnehmen, eine in der Praxis 
sehr lohnende Arbeitsmöglichkeit zu erlernen.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.