Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

Kriegsverletzte mit inneren Leiden und Nervenkranke 
können vielfach den Lärm der Maschinen, den oft aufregen- 
den Betrieb oder die mit der Arbeit verbundenen Erschüt- 
terungen nicht vertragen. Ebenso können Epileptiker nicht 
an Maschinen arbeiten, da sie leicht sich und ihre Mit- 
arbeiter in Gefahr bringen können. In einem größeren 
Betriebe wird es leicht sein, diese Bedauernswerten in 
maschinenlosen, ruhigen Räumen, z. B. bei der Ausgabe 
von Material oder Werkzeug unterzubringen. Hierbei ist 
die erfreuliche Tatsache festzustellen, daß nach ärztlichem 
Urteil sich die Krankheitserscheinungen, sofern sie im Kriege 
erworben sind, nach der Rückkehr in ruhige, geregelte 
Verhältnisse in den meisten Fällen nach und nach ver- 
lieren. 
Zu warnen ist davor, Leute, die noch gut in den Werk- 
stätten arbeiten können, den Zeichenstuben zuzuführen. Es 
ist klar: Auf den ersten 
Blick dünkt manchem- 
das als erstrebenswer- 
tes Ziel, die Arbeit vor- 
nehmer, die Stellung 
angesehener. Dem ist 
entgegenzuhalten, daß 
die Tätigkeit am 
Zeichentisch, sofern sie 
untergeordneter Natur 
ist, bei weitem geringer 
bezahlt wird, als die 
Werkstattarbeit. Ferner 
können Leute mit ober- 
flächlichen Kenntnissen 
und Fertigkeiten, wie 
sie kurzfristige Lehr- 
gänge bei aller Vorzüg- 
lichkeit doch nur ver- 
mitteln, nicht mit den 
auf technischen Schulen 
mehrjährig ausgebilde- 
ten Technikern in Wett- 
bewerb treten. Es ist 
mit Sicherheit anzu- 
nehmen, daß auch hier 
die sichtbaren Ver- 
schiedenheiten der Ent- 
lohnung wenigstens in 
den nächsten Jahren 
die Kriegsbeschädigten 
abhalten werden, nur 
auf rein äußerliche Vorteile hin, die zudem in Wirklichkeit 
gar nicht vorhanden sind, einen für sie wenig vorteilhaften 
Zweig ihres Berufes zu wählen. 
Die Besprechung der verschiedenen Industrien und die 
Verwendungsmöglichkeiten der Kriegsbeschädigten innerhalb 
derselben führt von selbst zu einer Nebeneinanderstellung 
der ungelernten bzw. angelernten Arbeiter mit den be- 
rufsmäßigen Handwerkern. Auf die grundsätzlichen 
Unterschiede wurde schon hingewiesen. Es fragt sich nun, 
wie sich das Handwerk gegenüber den Kriegsbeschädigten 
verhält, bzw. wie letztere den verschiedenen Berufen wieder 
zugeführt werden können. Wenn immer wieder betont 
wurde, daß es stets anzuraten sei, jeden Kriegsbeschädigten 
seiner früheren Tätigkeit zu erhalten, so kann das Hand- 
werk diese Forderung noch dahin verstärken, den Verwun- 
deten nach jeder Richtung hin eine berufliche Förderung zu 
bieten. Das beißt mit anderen Worten, diejenigen, die 
aus irgendeinem Grunde die Lehrzeit nicht beenden konn= 
ten, das Versäumte nachholen zu lassen, strebsame Ge- 
hilfen aber dahin zu bringen, daß sie mit Erfolg die 
Meisterprüfung bestehen. Daneben kbann es nichts schaden, 
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wenn dem Handwerk möglichst viel geschulte Kräfte zu- 
geführt werden, denn von einer Uberfüllung der Berufe 
konnte hier wohl selten gesprochen werden, ebensowenig, 
daß ein tüchtiger Handwerksgeselle sich vergeblich nach 
Arbeit bemühte. 
Freilich liegen die Verhältnisse im Handwerk anders 
als in der Industric, wenigstens so weit, als dieselben 
nicht Hand in Hand mit ersterem arbeitet. Während die 
Tätigkeit des Industriearbeiters, auch des angelernten, in der 
mehr oder weniger mechanischen Ausübung bestimmtertech- 
nischer Fertigkeiten besteht, die von dem Geübten je nach 
dem Geschick bis zur virtuosen Vollendung vollzogen wer- 
den, muß der Handwerker nicht ein Teilgebiet, sondern 
sein Gewerbe im ganzen Umfang beherrschen. Darauf muß 
die Ausbildung Rücksicht nehmen. Im großen und ganzen 
kommen bei den Kriegsbeschädigten demnach in Frage: 
  
Lehrgang für Dampfkesseltedienung an der deutschen Fachschule für 
isenkonstruktion usw. in Roßwein i. Sa. 
1. eine Ergänzung und Vertiefung der vorhandenen 
Kenntnisse und Fertigkeiten, 
2. Einführung in ein Sondergebiet des betreffenden 
Handwerkes und 
3. in Ausnahmefällen die Anlernung Berufsfremder. 
Eine große Anzahl kriegsbeschädigte Handwerker wurde 
durch die Mobilmachung nicht bloß ihrer Tätigkeit entfernt, 
sondern auch gehindert, ihre Ausbildung zu vollenden und ab- 
zuschließen. Das ist von größerer Bedeutung, als wenn es sich 
um Industriearbeiter handelt. Wie auf den meisten Gebieten 
unseres Wirtschaftslebens ist es nicht möglich, vielleicht 
sogar nicht wünschenswert, da anzuknüpfen, wo seinerzeit 
aufgehört wurde. Mancher, der als blutjunger Geselle, 
oft noch als Lehrling hinausging, kehrt als gereifter 
Mann zurück. Jedenfalls haben derartige Leute von der 
Welt und ihrer Stellung zu derselben jetzt einen andern 
Begriff als vorher. Sie wissen, was ihre Arbeit zu be- 
deuten hat und treten ernsthafter und zielbewußter an die- 
selbe heran. Aus diesem Grunde werden alle einsichtovollen 
kriegsbeschädigten Handwerber die ihnen gebotene Gelegen- 
beit zur Fortbildung gern ergreifen und eifrig benutzen.
	        
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