gern zu, weil das Wickeln und Einrollen der Zigarren
leicht erlernbar ist, und nur gebrauchsfähige Hände vor-
aussetzt. Ganz abgesehen davon, daß gerade hier der Wett-
bewerb der Frauen stark auftritt und die Lohngestaltung
ungünstig beeinflußt, ist auch aus gesundheitlichen Grün-
den abzuraten. Dazu kommt das gewiß richtige Bestreben
der Fabrikanten, die Zigarrenarbeit möglichst den ent-
sprechend eingerichteten und hygienisch besser zu überwachen-
den Großbetrieben vorzubehalten, da die Küchen und Wohn-
stuben der Heimarbeiter die Beschaffenheit der Ware nicht
immer günstig beeinflussen.
Die Arbeits= und Lohnverhältnisse der Heimarbeit sind
zurzeit, auch wenn wir von den Kriegsverhältnissen ab-
sehen, ziemlich ungeklärt. Die Wirkung des Heimarbeiter-
gesetzes von 1912 wurde ja durch den Krieg unterbrochen.
Die in Wettbewerb tretende Frauen= und Kinderarbeit, die
gesundheitlich ungünstigen Zustände der Heimwerkstätten,
vielfach auch die Willkür der Unternehmer, die Abhängigkeit
vom Händler und dem, nicht immer im guten Ruf stehen-
den, Zwischenmeister — alles das lassen das Heimgewerbe
als „unerwünschte letzte Zuflucht“ erscheinen. Die Be-
ruhigung aber, die für manchen Kriegebeschädigten darin
liegt, daß er in häuvlicher Umgebung arbeiten kann, darf
demgegenüber nicht zu gering eingeschätzt werden. Bei der
Auswahl einer Heimarbeit sind neben den örtlichen und
persönlichen Beziehungen vor allem der gegenwärtige Stand
und die künftige Entwicklungsfähigkeit des betreffenden
Hausgewerbes zu beachten. Das gilt namentlich dann,
wenn es sich um einen Erwerb handelt, der dem Kriegs-
beschädigten als Hauptberuf dienen soll. Dabei stellt es
sich heraus, daß die Zahl der in Frage kommenden haus-
gewerblichen Berufe keine allzu große ist.
Anders freilich gestaltet sich das Bild, sobald die Heim-
arbeit nicht einen selbständigen Erwerbszweig bildet, son-
dern nur eine Ergänzung der Berufstätigkeit darstellt.
Hier ist die Mannigfaltigkeit eine ungleich größere. Ohne
einem Pfuschertum das Wort zu reden, das zum Schaden
des Handwerkes überall einzudringen versucht, kann ruhig
behauptet werden, daß viele Gewerbe, in der rechten Weise
betrieben, manchem Kriegsbeschädigten lohnenden Verdien
bieten können. -
Das gilt besonders für Kriegsbeschädigte aus ländlichen
Verhältnissen.
Wurde bei Besprechung der Industrie gesagt, daß ihre
Bedeutung für Deutschlands Größe erst durch den Welt-
krieg zur rechten Anerkennung gelangte, so kann dasselbe
in gleichem Maße, natürlich in anderer Beziehung, von
unserer Landwirtschaft behauptet werden. Es ist hier
nicht der Platz, die Ernährungsfrage aufzurollen, die uns
zeigt, daß „der Bauer des Vaterlandes erster Sohn ist“.
Die Richtigkeit dieses Wortes E. M. Arndts hat sich auch
in der Beteiligung der vom Lande stammenden und mit
der Landwirtschaft in engster Verbindung stehenden wehr-
haften deutschen Jugend gezeigt. Stellte doch in Friedens-
zeiten z. B. Ostpreußen, in welcher Provinz die ländliche
Bevölkerung vorherrscht, verhältnigmäßig rund dreieinhalb-
mal soviel Soldaten als Berlin.
Nun wissen wir wohl, und spüren's am eigenen Leibe,
daß Sachsen kein ackerbautreibender Staat ist, wenigstens
nicht in dem Maße, daß die ländliche Bevölkerung in ge-
ordneten Zeiten einen so hohen Prozentsatz an Soldaten
stellt. Immerhin dürfte die Anzahl der in den Kämpfen
Beschädigten so groß sein, daß ihre besondere Stellung
innerhalb der Kriegsbeschädigtenfürsorge ohne weiteres an-
zuerkennen ist.
Auchbel den kriegsbeschädigten Landleuten — wenn wir der
Kürze halber mit dieser Bezeichnung alle mit der Land-
wirtschaft in Verbindung stehenden bezeichnen wollen — sind
es zwei Gründe, die für eine Abwanderung angeführt werden.
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Zunächst die „Landflucht“ im allgemeinen. Ebenso, wie
der Fabrikarbeiter und Handwerksgeselle vielfach es als er-
strebenswertes Ziel betrachtet, die Werkbank mit dem
Schreibtisch zu vertauschen oder statt des Schurzfelles
einen Beamtenrock zu tragen, denkt mancher Landarbeiter,
daß in der Stadt das Geld auf der Straße liegt, während
der Knecht sich mühsam für wenige Groschen plagen muß.
Auch das Verhältnis des „freien“ Arbeiters der Stadt
wird oft dem abhängigen Dienstverhältnis der Dorf-
bewohner gegenübergestellt. Der gewaltige Aufschwung,
den unser Vaterland in den letzten Jahrzehnten genommen
hat, führte zu einer gewaltigen Bevölkerungsverschiebung
vom platten Lande nach den Großstädten.
Es kann hier nicht untersucht werden, durch welche Maß-
nahmen eine derartige Abwanderungsbewegung in Hinblick
auf das allgemeine Wohl und zur Hebung der Wirtschaft-
lichkeit des einzelnen, wenn auch nicht aufzuhalten, so doch
einzuschränken ist. Uns erscheint es vor allem dringend
notwendig und erstrebenswert, alle vom Lande stammenden
und in der Landirtschaft tätig gewesenen Kriegsbeschä-
digten wieder dahin zurückzuführen, sie womöglich auf dem
Lande seßhaft zu machen. War schon in Friedenszeiten
der Anreiz, der den Landbewohner seiner Heimat zu ent-
fremden suchte, groß, so sind die Verlockungen im Kriege
fast noch gestiegen. Durch den Eintritt ins Heer, den
wechselnden Dienst, die vielgestaltige Umgebung, das Laza-
rettleben in den großen Städten u. v. a. ist manchem Land-
arbeiter eine neue Welt aufgegangen, von der er natur-
gemäß zuerst nur die Lichtseiten sieht. Die gegenwärtig oft
märchenhaft hohen Löhne der Industriearbeiter lassen die
baren Einkäufe der ländlichen Bevölkerung leicht als
Bettelpfennige erscheinen. Rechnet doch der Kurzsichtige
meist nur mit dem baren Gelde. Wenig Einsichtsvolle sehen
freilich gerade jetzt am deutlichsten, wie wirtschaftliche Ge-
fahren dem Landbewohner am wenigsten schaden können
und sein Leben in jeder Lage das Gleichgewicht hält.
Der andere Grund, weshalb viele Kriegsbeschädigte ihren
Broterwerb in den Städten suchen wollen, ist der, weil sie
glauben, hier besser und leichter eine Arbeit zu finden.
Und der mit dem Wesen des Landwirtschaftsbetriebes ober-
flächlich Vertraute ist leicht geneigt, die Ansicht, daß an
die Körperkräfte der arbeitenden landwirtschaftlichen Be-
völkerung höhere Ansprüche gestellt werden, als in vielen
anderen Berufen, zu unterstützen. Gestärkt wird diese An-
sicht auch durch den Umstand, daß sich die Arbeit zu
einem erheblichen Teil im Freien abspielt, im steten Wechsel
von Hitze und Kälte, Wind und Wetter. Daß letzteres
dem Landbewohner nichts anhaben kann, ihn nur stärkt und
kräftigt, ist eigentlich sprichwörtlich. Die Anforderungen
an die Körperkräfte find in der Landwirtschaft nicht höhere
als in der Industrie und im Handwerk, da sich der Betrieb
im allgemeinen ruhiger abwickelt. Da die Landarbeit aber
ungleich wechselnder und reicher abgestuft ist, kann getrost
behauptet werden, daß die Landwirtschaft alle Kriegsbeschä-
digten, die ihr treu bleiben oder sich ihr zuwenden wollen,
zu beschäftigen imstande ist.
Im Gegensatz zu der Industrie, in der von dem Arbeiter
die gleiche Beschäftigung fortlaufend verlangt wird, bringt
der landwirtschaftliche Betrieb an sich einen steten Wechsel,
nicht nur täglich, sondern auch im Verlauf der Jahres-
zeiten. Im Großbetrieb ist man wohl zur besseren Aus-
nützung der Kräfte auf eine Arbeitsteilung zugekommen,
die entfernt an die Gebräuche in der Induftrie erinnert.
Aber auch dann noch herrscht ein starker Wechsel vor.
Arbeitsreiche und arbeitsschwache Zeitabschnitte wechseln
miteinander ab. Diese Tatsache ist für die Kriegsbeschädigten
insofern günstig, als nicht während des ganzen Jahres
an ihre Kräfte die gleich hohen Anforderungen gestellt wer-
den. Der nicht voll leistungsfähige Körper steht also nicht