Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

bildungslehrgängen erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten 
sehr zustatten. Der Landwirt kommt oft in die Lage, sich 
handwerklich zu betätigen, für ihn gilt in besonderem 
Maße das Dichterwort, daß die Art im Hause den 
Zimmermann erspart. Deshalb können alle aus ländlichen 
Verhältnissen stammenden Kriegsbeschädigten, sie seien be- 
rufsmäßige Handwerker oder nicht, kaum genug Anregung 
in den Lehrwerkstätten geboten bekommen. Namentlich die 
Holz= und Metallbearbeitung mit ihren zahlreichen Ar- 
beitsvorgängen, die Sattlerei, Schuhmacherei sind Gebiete, 
auf denen der ländliche Arbeiter mehr oder weniger zu 
Hause sein muß. 
In manchen Gewerben, z. B. der Schneiderei und Schuh- 
macherei, handelt es sich meist um Ausbesserungsarbeiten. 
Viele Kriegsbeschädigte sind in den Lazaretten zu „Flick- 
schustern“ ausgebildet worden und werden später ihre 
Tätigkeit im abgeschiedenen Dorfe sich und anderen zum 
Nutzen ausüben. Andere wieder haben durch Mitarbeit in 
den Ersatzgliederwerkstätten gar manchen wertvollen Hand- 
griff gelernt, durch dessen Ausübung sie daheim sich un- 
entbehrlich machen können. 
Außer den bei der Heimindustrie besprochenen Gewerben 
treten noch verschiedene hinzu, die sich besonders dem Be- 
trieb auf dem Lande anpassen. Es sei hier die Korbmacherei 
hervorgehoben, die sich namentlich für solche Gegenden 
eignet, in denen Weidennutzungen vorhanden sind oder vor- 
teilhaft angelegt werden können. UÜberdies lohnt der An- 
bau geeigneter Weiden an sich schon, denn die Korbflechterei 
war bisher, soweit es sich wenigstens um feinere Gegen- 
stände handelte, auf ausländische, namentlich franzäösische, 
Weidenarten angewiesen. 
Im großen und ganzen wird sich die ländliche handwerk- 
liche Heimarbeit, soweit es sich nicht um ein ausschließlich 
berufsmäßiges Gewerbe handelt, im Rahmen der sog. 
Winter füllarbeit vollziehen. Die große Bedeutung der- 
selben, namentlich nach der Seite hin, der darauf angewiese- 
nen ländlichen Bevölkerung, eine Ergänzung zu dem sonst 
oft nicht hinreichenden Verdienst zu bieten und sie da- 
durch an der Abwanderung zu hindern, ist schon seit Jahren 
anerkannt. Namentlich die Deutsche Landwirtschaftsgesell- 
schaft hat die Förderung dieser Angelegenheit energisch ver- 
folgt. Auch hier ist die Werktätigkeit in den Lazaretten und 
Lehrwerkstätten, von den einfachsten Beschäftigungsarbeiten 
bis zur zielbewußten Werkstattarbeit, für die Kriegebeschä- 
digten von größtem Nutzen. Abgesehen davon, daß sie 
mit den verschiedensten Werkzeugen und Arbeitsweisen ver- 
traut werden, lernen sie auch mancherlei Gegenstände an- 
fertigen, deren Herstellung mehr als bloßen Zeitvertreib 
oder die Befriedigung eigner Bedürfnisse bedeutet. Sicher- 
lich scheiden eine Menge derartiger Lazarettarbeiten aus, 
wenn man sie daraufhin prüft, ob ihre planmäßige An- 
fertigung lohnenden Verdienst und fortlaufende Absatz- 
Möglichkeiten gewähren. Aber verschiedene Flechtereien, 
namentlich solche, die Gebrauchsgegenstände darstellen, fer- 
ner Holzspielsachen sind immer, sofern sie sachgemäß her- 
gestellt werden, im Handel begehrt und werden gut be- 
zahlt. Allerdings ist es notwendig, daß der Hersteller 
mit einem Großhändler in Verbindung steht, sich also nicht 
mit dem Verkauf unmittelbar befaßt. 
Die vorstehend besprochenen Umstände beweisen dem- 
nach, daß es im dringendsten Interesse unserer aus länd- 
lichen Verhältnissen stammenden Kriegsbeschädigten liegt, 
daß sie ihrem Berufe treu bleiben. Darüber hinaus ist 
auch bei einem Berufswechsel von Arbeitern aus der Stadt 
oder überhaupt aus industriellen Gegenden, sofern Nei- 
gung und Liebe zum Landleben vorhanden ist, die Ein- 
arbeitung in die Landwirtschaft, sowie in die in Betracht 
kommenden Gewerbe anzustreben. Den Kriegsbeschädigten 
selbst wird dadurch fast ausnahmslos der beste Dienst er- 
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wiesen. Der Sozialpolitiker aber wird jede Bereicherung der 
ländlichen Volkskraft von Herzen begrüßen. 
Ein weiteres umfangreiches Gebiet der Kriegobeschädigten- 
fürsorge umfaßt das große Reich des Handels. Hier- 
bei sind die Grenzlinien schwer zu ziehen. Denn ebenso, 
wie der Handel in Ausläufern sich überallhin ausbreitet, 
sind auch die Handelsbeflissenen in den meisten Berufs- 
zweigen vertreten. Auch der engerumschriebene Begriff 
„Kaufmann“ ist ja noch so dehnbar, daß man bestimmte 
Abgrenzungen nur willkürlich feststellen kann. Bei der Für- 
sorge um die kriegsbeschädigten Angehörigen des Kauf- 
mannsstandes muß darum zuerst festgestellt werden, wel- 
chen besonderen Berufskreisen die Betreffenden entstammen. 
Was schon wiederholt gesagt wurde, gilt auch hier: Zu- 
ug von Außenstehenden ist möglichst fernzuhalten und die 
irrige Meinung vieler, daß es mit einigen oberflächlichen 
Kenntnissen möglich sei, eine angenehme Stellung zu er- 
halten, ist mit allem Nachdruck zu bekämpfen. 
Zunächst ist zu unterscheiden zwischen dem geschulten, han- 
  
Metallarbeiter mit Behelfs-(Arbeits) Arm 
(Lehrwerlslätten für Krlegsbeschädlgte in Leipzig) 
delswissenschaftlich gebildeten kaufmännischen Angestellten 
und dem Kontor= und Hilfsdiensipersonal im Handelsbetrieb. 
Daß die Bildung der ersteren nicht eingehend und tief- 
gründig genug sein kann, weiß jeder, der von der Be- 
deutung des Handels an sich überzeugt ist. Und daß von 
einem Mangel an geschulten Kräften nicht die Rede sein 
kann, ist auch dem Fernerstehenden bekannt. Der Kauf- 
mannsstand bietet nur dem Tüchtigen, und hier noch 
nicht einmal immer, wirklich das, was dieser erwartet. 
Die Kriegsbeschädigtenfürsorge ist darum bestrebt, den aus 
dem Felde heimkehrenden Handelsbeflissenen Gelegenheit 
zur Weiterbildung zu geben und dafür zu sorgen, daß solche, 
die sich dem Kaufmannsstande unbedingt zuwenden wollen, 
dies nur tun, wenn die Vorbedingungen derart sind, daß 
von vornherein ein Durchlaufen der Ausbildungslehrgänge 
erfolgreich erscheint. # 
Sehr vielen kriegsbeschädigten Kaufleuten werden die 
Weiterbildungsgelegenheiten willkommen sein. Ist doch der 
Bildungsgang der Handlungslehrlinge so verschieden und 
so ungleichwertig, daß in den meisten Fällen eine Ver- 
tiefung der Kenntnisse, mindestens aber eine Auffrischung 
derselben geboten erscheint. Nicht jeder hatte Gelegenheit, 
sich nach Beendigung seiner Lehrzeit theoretisch und prak- 
tisch zu vervollkommnen. Mehr aber als in jedem anderen 
Berufe muß gerade der junge Kaufmann bestrebt sein, sei- 
nen Gesichtskreis zu erweitern.
	        
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