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fallflügelo des deutschen Westheeres direkt in der Hand
behalten. Sie versuchte dieselbe von Luxemburg aus hinter
dem inneren Flügel, viel zu fern und nur durch eine wenig
leistungsfähige Funkenverbindung mit den entscheidenden
rechten Flügelarmeen Kluck und Bülow verbunden.
Nachteile der großen Entfernung waren bereits mehrfach in
die Erscheinung getreten. Auch die Verbindung zwischen
der ersten und zweiten Armee ließ zu wünschen übrig. Die
anfängliche direkte Unterstellung Klucks unter Bülow, des
einen Armeeführers unter seinen Nachbar, wirkte verstim-
mend, und zwar nicht nur auf die Personen der Ober-
befehlöhaber, sondern sehr viel weiter. Vielleicht hätte die
Ernennung Bülows zum Oberbefehlöhaber der Gruppe
West (Armeen 1—5), „Ober-West“ wie später „Ober-
OÖst“, am einfachsten alle Schwierigkeiten gelöst. Der
Generaloberst von Bülow genoß als willensstarker, er-
probter Führer in der ganzen Armee das größte Ansehen.
Inmitten der Stoßgruppe der Armeen 1—7 anwesend,
hätte er alle Neibungen zwischen Nachbararmeen, an sich
erklärlich und leicht zu beheben, gewiß auf kürzerem Wege
aus der Welt geschafft, als das viel zu ferne, mehr und
mehr den lawinenartig sich überstürzenden Ereignissen nach-
bleibende, viele Reibungen der gewaltigen Stoßmaschine
gar nicht ahnende Große Hauptquartier in Luremburg.
Nach diesem Auoblick auf die Kriegslage Ende August,
welche der Leser später nach Kenntnis des weiteren Ver-
laufo der Geschehnisse als den tragischen Wendepunkt in
Deutschlands Kriegsgeschichte erkennen wird, kehre ich zurück
aur Schilderung der Ereignisse bei der deutschen dritten
rmee.
Die
Der 1. September
Der 1. September hatte ein sehr bedeutsames Vorspiel.
Dieses begann am 31. August mit dem Eingange des an
diesem Tage 8,25 Uhr abends von der Obersten Heeres-
leitung abgefertigten Drahtbefehls (an 9,15 abends):
„Unaufhaltsames Vorwärtsgehen der dritten und vierten
Armee im Verein mit der fünften Armee dringend ge-
boten, da fünfte Armee schwer um Maasübergang kämpft.“
Das Oberkommando durfte bei den daraufhin angestellten
Erwägungen sowohl die Tatsache, daß das XIX. Armeekorp#
nicht vermocht hatte, das linke Aisneufer in Besitz zu
nehmen, wie die von der vierten Armee geübte Zurück-
haltung (Tourteron) nicht außer acht lassen.
Blieb das XIX. Armeekorps lediglich auf sich angewiesen,
so schien es nicht angezeigt, für das XIX. Armeekorps die
bioherige Angriffsrichtung beizubehalten. Es wurde be-
schlossen, das XII. Armeekorps und die 23. Neservedivision
am 1. September in ihren Stellungen zu belassen und das
XIX. Korps in der Nacht zum 2. September über Ambly
und Thugny an den linken Flügel des XII. Armeekorps
heranzuführen, um dann am 2. September in Gemeinschaft
mit dem XII. Armeekorpo in Richtung Saulces-Champe-
noises anzugreifen.
Andrerseits wurde mit der Möglichkeit gerechnet, daß
dad VIII. Armeekorps durch ein Vorgehen über die Aione
am 1. September bei Semuy und Voncq dem XIX. Armee-
korps Erleichterung brachte. Für diesen Fall wurde ins
Auge gefaßt, das XIX. Armeekorps am 1. September un-
verzüglich südwärts angreifen zu lassen. Diese Erwägungen
führten dazu, zum Oberkommando der vierten Armee am
1. September 12,10 Uhr nachts einen Nachrichtenoffizier,
den Major Loof, zu entsenden, um Einheitlichkeit des
Handelns zu sichern. Loof traf 2,45 Uhr früh in Sedan
ein und meldete bei seiner Rückkehr nach Signy —I'Abbaye:
„Vierte Armee wird den Angriff in den nächsten Tagen
nur so weit durchführen, daß zunächst planmäßige Feuer-
überlegenheit über die französische Artillerie errungen wird.
Dazu bedarf das VIII. Armeekorps der 16 Stück 21 cm-
Mörser, die von les Ayvelles her erwartet würden. Von
ihrem Erfolg würde es abhängen, wie schnell die Offen-
sive dann weiter vorgetragen werden könne. Jedenfalls
würde das nur langsam m. der Infanterie geschehen,
da die jüngsten Erfahrungen bei dem Maasübergang im
Naume von Sedan nicht zu raschem Vorgehen ermutigten.
Ob dann das VIII. Armeekorps nach Süden oder zur
Unterstützung des XIX. Armeekorps südwesiwärts vorgehen
werde, könne jetzt noch niceht gesagt werden, voraussichtlich
werde dies nicht rasch geschehen.
Sollte jedoch das XIX. Armeekorps zu dem von Rethel
her beabsichtigten Angriff am 1. September an das
XII. Armeekorps herangezogen werden, dann wäre es der
vierten Armee dringend erwünscht, wenn wenigstens eine
Infanteriedivision des XIX. Armeekorps zum Schutze der
rechten Flanke des VIII. Armeekorps zurückbliebe.“
Der Major Loof schlug dieses Ansinnen rundweg ab,
durchaus im Sinne seines Armeeoberkommandos.
Angesichts dieser Absage der vierten Armee beschloß das
Oberkommando der dritten Armee, falls der Feind in seiner
Stellung verblieb, am 1. September zu ruhen und erst
am 2. September von Rethel aus anzugreifen.
In dem Augenblicke, alo die diesbezüglichen Befehle ent-
worfen wurden, lief der 7,55 Uhr früh von der Obersten
Heeresleitung aufgegebene, 8,12 Uhr früh in Sign-
IAbbaye eingegangene 2# Drahtbefehl ein, „daß unverzügliches
rücksichtslosestes Fortsetzen des Angriffs der dritten Armee
in südöstlicher Richtung unbedingt geboten erscheine, da
hiervon der Erfolg des Tages abhinge“.
Daraufhin wurden sofort 9,45 Uhr vormittags die Korps
in südöstlicher Nichtung zum Angriff angesetzt.
Im Laufe des Vormittags meldeten Flieger, daß der
Feind sich in vollem Nückzuge befände. Unter dauernden
Gefechten gegen feindliche Nachhuten erreichte die Armee
die Linie Le Chätelet—La Neuville—Semide.
Auf dem rechten Flügel ging das XII. Reservekorps (ohne
24. Neservedivision), mit 1 Kolonne (7 Bataillone, 1 Es-
kadron, 9 Batterien) auf Tagnon und mit 1 Kelonne (3 Ba-
taillone, 2 Eskadrons, 3 Batterien) auf Bergnicourt vor
und warf den Feind, der aus Marineinfanterie und Zuaven
von der Marokkodivision mit äußerst geschickt verwendeter
Artillerie sowie aus Teilen der 4. Kavalleriedivision bestand,
aus mehreren vorzüglich ausgesuchten Stellungen. Der
Kampf dauerte bis in die Dunkelheit hinein und kostete
dem Korps 7 Offiziere und 552 Mann an Toten und Ver-
wundeten. Die Truppen verbrachten die Nacht in den er-
oberten feindlichen Stellungen.
Links davon stieß das XII. Armeekorps bei seinem Vor-
gehen schon zwischen Perthes und Juniville (32. Infanterie-=
division) sowie in Höhe von Pauvres und Machault
(23. Infanteriedivision) auf heftigen Widerstand. Die feind-
lichen Toten und die Gefangenen dieses Tages gehörten zum
französischen IX. Armeekorps, zur 60. Reservedivision, Ko-
lonialinfanterie und 9. Kavalleriedivision. Der Kampf
dauerte auch hier bis in die Nacht hinein. Die Sachsen
nerbrachten die Nacht auf dem blutig erkämpften Sieges-
feld
Bei dem noch weiter links und in gleicher Höhe vor-
rückenden XIX. Armeekorps brachte die am 1. September
fortgesetzte Verfolgung die ersten französischen Geschütze
und zahlreiche Gefangene ein.
Die von der Obersten Heeresleitung der zweiten Armee
anbefohlene Unterstützung der dritten Armee durch voraus-P
zusendende Kavallerie und Artillerie brauchte nicht in Wirk-
samkeit zu treten.
Das Oberkommando der dritten Armee ging 6 Uhr abends
nach Novy.