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größere türkische Redoute mit 6 Geschützen. Das ungestüme
Nachdrängen hätte ihrem Fürsten aber bald zum Ver-
derben gereicht. Während dieser Kämpfe auf der aus-
gedehnten Angriffofront war der Kurfürst im Getümmel
allein mitten in einen Haufen von Feinden geraten, mit
denen er sich herumschlug; das Andrängen seiner Dragoner
unter dem Oberstleutnant von Minckwitz befreite ihn recht-
zeitig. Die Auflösung dieses rechten Flügels der Türken
brach auch ihren Widerstand auf dem linken Flügel gegen
die Polen; trotz letzter Anstrengungen Kara Mustafas, trotz
der Entfaltung der heiligen Fahne ging die Flucht der Os-
manen haltlos bis hinter die Schwechat im Südosten. An
allen drei Hauptabschnitten des Sieges waren also die
Sachsen erfolgreich beteiligt: am Nußberg und im Schrelber-
bachgrund in den Frühkämpfen, die der linke Flügel allein
zu bestehen hatte, in Heiligenstadt und am Grinzingbache
in dem Mittagskampfe, bei der Erstürmung der Krottenbach-
schanze am Nachmittage.
Wien war befreit und das reiche Türkenlager fiel in
die Hände der Befreier, wobel allerdings die Deutschen,
die befehlsgemäß während der Nacht sich des Beutemachens
enthielten, zu kurz kamen, während die zuchtlosen Polen
sich schon in der Dunkelheit unter Nichtachtung des Be-
fehls dazugehalten hatten, vieles fortzuschaffen. Am
13. September besichtigten die Kurfürsten von Sachsen und
Bayern, der Lothringer und der Polenkönig das erbeutete
Lager und die Belagerungsarbeiten der Türken und wurden
von Starhemberg in die Stadt geleitet, doch entzogen sich
die deutschen Fürsten dem Einzugsjubel des Volbes, den der
Pole allein ausbostete; er hat deshalb lange Zeit in der
populären Auffassung als der eigentliche Held der Be-
freiung gegolten, eine Ansicht, die in den Tatsachen nicht
begründet ist; der Anteil des Lothringers und des
Sachsen ist mindestens ebenso groß wie der Sobieskis.
Nachdem Johann Georg am 14. noch den Kaiser begrüßt
hatte, führte er am 15. sein Heer nach Klosterneuburg
zurück, um möglichst den drohenden Verpflegungsschwierig-
keiten vorzubeugen; er selbst kehrte am 21. September, die
Truppen einen Monat später nach Sachsen zurück. Das
schöne, große türkische Zelt und Beutewaffen im Histo-
rischen Museum zu Dresden erinnern noch heute an diese
ersten ruhmvollen Waffentaten des neugebildeten sächsischen
Heeres.
Auch in der Folgezeit gab es Gelegenheit zu kriegerischer
Betätigung: als Hilfstruppen der Venetianer kämpften
3 Regimenter sächsischer Infanterie (ie 1000 Mann in
10 Kompagnien), auserlesene Leute, unter dem Oberbefehl
des Obersten Rudolf von Schönfeld von 1685—1687
gegen die Türken auf der Halbinsel Morea tapfer
mit, wo sie sich bei der Belagerung und Eroberung von
Kalamata löss, Navarin, Modon und Nauplia
(Napoli di Romania) 1686 auszeichneten, aber, wie unsere
Sachsen 1017—1918 auf der Balbanhalbinsel, schwer unter
den Witterungsverhältnissen und durch Krankheiten litten,
so daß alle führenden Offiziere und der größte Teil der
Mannschaften dort den Tod fanden und nur 761 Mann
im September 1687 heimkehrten. Inzwischen hatten ihre
Kameraden auch noch auf einem andern Schauplatz gegen
die Türken gefochten und die rühmlichen Taten von Wien
fortgesetzt: seit 16856 nahmen 3 Regimenter Infanterie und
2 Regimenter Kavallerie an dem ungarischen Feldzug teil,
so auch-bei der Einnahme der Hauptstadt Ungarns Ofen
vom 8. Juni bis 23. August 1686, wo sie schwere Ver-
luste hatten; auch im Türkenfeldzug von 1688 war Sachsen
durch ein tapferes Regiment, das Kurprinzliche Leibregi-
ment unter dem Oberstleutnant von Birkholz, vertreten,
das an der fast den ganzen August hindurch dauernden
Belagerung und Erstürmung von Belgrad am 27. Au-
gust 1688 wacker teilnahm.
Während aber auf diesen südöstlichen Schauplätzen nur
kleinere Teile oder Verbände der Truppen in Tätigkeit
traten, rückte die gesamte sächsische Armee unter des Kur-
fürsten Oberbefehl ins Feld, als es 1688 galt, frechen
französischen Friedensbruch zu bestrafen und er-
neuten Raub deutschen Landes zu verhüten. Die Sachsen
verjagten zunächst 1688 die weit nach Franken eingerückten
Franzosen aus Aschaffenburg und Heilbronn,
1689 aus Dilsberg am Neckar und Rüffelsheim, halfen
dem Reichsheere im August 1689 Mainz zurückerobern,
wobei der Kurfürst seine beiden Söhne, den Kurprinzen
Johann Georg und den Prinzen Friedrich August, bei sich
im Feldlager hatte und ein andrer Wettiner, der tapfere,
in früheren Türkenkämpfen rühmlich bewährte Herzog
Christian von Sachsen-Weißenfels, durch eine feindliche
Kugel seinen Tod fand. Die Feldzüge der folgenden Jahre
1590—1694 boten keine Gelegenheit zu hervorragenden
Taten. Am 12. September 1691, dem Jahrestag seines
Erfolges vor Wien, war der schon länger kränkelnde Kur-
fürst in Tübingen gestorben und sein mit im Felde be-
findlicher Sohn Johann Georg IV. hatte im Lager un-
weit Heilbronn den Treueid seines Heeres empfangen, auch
er, wie sein Vater, erfüllt von lebhaftem Interesse für
das Kriegswesen; doch rafften ihn schon 1694 die Blattern
hinweg und sein Bruder Friedrich August folgte ihm
in der Regierung (1694—1733).
August der Starke. Türkenkriege
Friedrich August ist als August der Starke eine der
bekanntesten und bemerkenswertesten Persönlichkeiten auf
dem sächsischen Throne. In den ersten Jahren seiner Re-
gierung als Kurfürst von Sachsen nannte er sich Fried-
rich August I., erst als König von Polen führte er nur
den zweiten Vornamen als August II. Bereits in jungen
Jahren zeigte er seine kriegerischen Neigungen: es war der
Schmerz des 13jährigen Knaben, daß er den Vater nicht
auf dem Wiener Feldzuge 1683 begleiten durfte, aber 1689
bio 1693 war er bei den sächsischen Truppen an der West-
front, bald am Rhein, bald in den Niederlanden, bald am
Neckar. Als seines Bruders Tod ihn zur Regierung berief,
widerstrebte es ihm, wie er sagte, „einen Volontär an der
Seite eines Markgrafen (des Markgrafen Ludwig von
Baden, der die kaiserliche Armee gegen die Franzosen be-
fehligte) abzugeben“, er wollte ein selbständiges Kommando
und erlangte es auch in Ungarn gegen die Türken. Die
dortigen kaiserlichen Truppen, denen er 1695 8000 Mann,
1696 12 000 Mann seiner Sachsen zuführen sollte, wurden
ihm unterstellt, doch war ihm ein Kriegsrat zum Teil über-
bedächtiger, zum Teil wenig brauchbarer Männer, wie der
Feldmarschall Graf Caprara, beigegeben, deren Schwer-
fälligkeit und Unfählgkeit zu schnellen, kraftvollen Ent-
schlüssen es verschuldete, wenn die christliche Armee trotz
mehrerer günstiger Gelegenheiten die erhofften Erfolge nicht
erringen konnte. Die Schlacht bei Pantschowa am
11. August 1606 war ein kleiner Erfolg, aber ohne weitere
Folgen, die Schlacht bei Dinasch (Dinyasch) am 16. Au-
gust 1696, deren Entscheidung wiederholt hin und her
schwankte, blieb trotz der Tapferkeit der Christen und ge-
schickter Einzelkampfhandlungen unentschieden und die vom
Kurfürsten für den folgenden Tag geplante Fortsetzung
des Kampfes unterblieb, weil die Türken es vorzogen, sich
in ihren bisherigen Stellungen zu verschanzen. Friedrich
August, der sich mit seinen sächsischen Truppen persönlich
voll eingesetzt hatte, sah sich üblen Nachreden schuld-
bewußter österreichischer Generäle ausgesetzt, die ihr eignes
Verschulden durch die Belastung des Fremden zu verdecken
suchten. Obwohl der Kaiser ihm zum Beweis seines Ver-
trauens auch für 1697 das Kommando in Ungarn anbot,
ging der Kurfürst persönlich nicht darauf ein, da ihn ein