Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

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Die Volkswirtschaft Sachsens im Kriege 
Von Oberbürgermeister Dr. Külz 
Die deutsche Volkswirtschaft im Kriege wird noch auf 
Jahrzehnte hinaus eine unerschöpfliche Quelle der Forschung 
bleiben. Sachsen ist es dabei beschieden, die Zentralstelle 
dieser Forschungsarbeit für ganz Deutschland in seiner wirt- 
schaftlich bedeutendsten Stadt, in Leipzig, zu haben. 
Die drei gesetzlichen Vertretungskörper der hauptsäch- 
lichsten deutschen Erwerbsstände, der Deutsche Landwirt- 
schaftsrat, der Deutsche Handelstag und der Deutsche Hand- 
werks= und Gewerbekammertag, haben sich unter Beihilfe 
der Reichs= und Gliedstaatsbehörden sowie hervorragender 
Männer auf allen Gebieten des Wirtschaftslebens zusammen- 
getan, um in einem deutschen Kriegswirtschaftsmuseum in 
Leipzig ein Denkmal der wirtschaftlichen Betätigung Deutsch- 
lando im Weltkriege zu schaffen. Es soll in seinen Samm- 
lungen und Darbietungen nicht nur historische Werte pflegen, 
sondern zugleich belehrend, anregend und befruchtend für 
die kommenden Zeiten wirken und die Erfahrungen der 
Kriegszeit für die Aufgaben der deutschen Volkswirtschaft 
nutzbar machen helfen. Das Museum zerfällt in eine Dar- 
stellung der bemerbenswerten Formen und Einrichtungen 
der Kriegswirtschaft, die durch Waren, Modelle, Muster, 
graphische, figürliche und sonstige körperliche Darstellungen 
der breiten Masse der Bevölkerung wirtschaftliches Ver- 
ständnis vermitteln wird; in eine Bibliothek der in= und 
ausländischen Literatur über die deutsche Kriegswirtschaft, 
als notwendige literarische Ergänzung der Sammlung; in 
ein Archiv, das den urkundlichen Materialien der Kriegs- 
wirtschaft an Gesetzen, Verordnungen, Bekanntmachungen, 
Berichten, Statistiken, privaten Aufzeichnungen usw. einen 
Sammelpunkt bieten soll. Das Museum soll aber nicht 
nur eine Sammlung sein, sondern es soll der Wissenschaft, 
der Volksbildung und der Wirtschaftspraris darüber hinaus 
durch eine Reihe planmäßiger weiterer Einrichtungen befruch- 
tend dienen. An wissenschaftlichen Einrichtungen sind regel- 
mäßige Vorträge, Kurse, Spezial= und Wanderausstellungen 
geplant, und im engen Zusammenarbeiten mit den Volks- 
bildung#organisationen sollen die wirtschaftlichen Zusammen- 
hänge und Nutzanwendungen mit allen Mitteln zur gegen- 
ständlichen und bildlichen, damit aber zur allgemeinverständ- 
lichen Darstellung gebracht werden. Das Museum wird 
bei richtiger Leitung zweifellos eine immer neue Anregung 
und Belehrung bietende Bildungsstätte werden. 
Wie für das ganze Deutsche Reich, so wird es auch be- 
sonders für Sachsen in den kommenden Friedensjahren eine 
überaus wichtige Aufgabe sein, rückblickend bis zu den letzten 
Zusammenhängen alle die Wirkungen und Einflüsse zu ver- 
folgen, die der Krieg auf die wirtschaftlichen Verhältnisse 
unseres engeren Heimatlandes gehabt hat. Ein endgültiges 
Urteil hierüber ist zurzeit ebensowenig möglich, wie eine 
abgeschlossene Darstellung. Immerhin läßt sich auch jetzt 
schon wenigstens in großen und groben Umrissen das Bild 
der Volkswirtschaft Sachsens im Kriege zeichnen. Als ein 
organischer und wesentlicher Teil des großen deutschen Wirt- 
schaftsgebietes steht das Wirtschaftsleben Sachsens im all- 
gemeinen unter denselben Einwirkungen wie dieses. So voll- 
zieht sich in den Kriegsjahren die Entwickelung auch in Sachsen 
unter dem Feichen notwendiger Unterordnung von Industrie, 
Handel, Gewerbe, Landwirtschaft und Einzelwirtschaft unter 
die Interessen der Landesverteidigung. Als besonders kenn- 
zeichnende Folgen ergeben sich hieraus auch für Sachsen 
eine weitgehende Ausschaltung der Einzelwirtschaft durch 
Jentralisierung und Verstaatlichung der Wirtschaftsführung, 
eine Beschlagnahme fast aller Rohstoffe und Fabrikate, Ein- 
und Ausfuhrverbote, Stillegung und Zusammenlegung von 
Betrieben und Beschränkung der Verkehrsmöglichkeiten. In 
einem auf so hoher wirtschaftlicher Entwickelungsstufe stehen- 
den Lande wie Sachsen mußten diese Einflüsse von besonders 
weittragenden Folgen begleitet sein. Auf der anderen Seite 
war gerade in der Leistungsfähigkeit der sächsischen Privat- 
wirtschaft und Staatswirtschaft auch wieder die Gewähr 
gegeben, nicht nur mit Erfolg den störenden und hemmenden 
Einflüssen des Krieges auf lange Zeit zu begegnen und schäd- 
liche Wirkungen auf das möglichste Mindestmaß zu be- 
schränken, sondern auch die ganze Betätigung auf das Höchst- 
mafß dessen einzustellen und umzustellen, was zur Erreichung 
der Kriegsziele nötig schien. 
Die Einwirkungen des Krieges auf das Wirtschaftsleben 
sind so nachhaltig und tiefgehend, daß sie sowohl die Welt- 
wirtschaft wie die Volkswirtschaft der einzelnen Länder gänz- 
lich umgestaltet haben. Mit Recht wird in einem der Wirt- 
schaftsberichte, welche während des Krieges in äußerst ver- 
dienstvoller Weise das sächsische Bankhaus Gebrüder Arnhold 
in Dresden herausgab, darauf hingewiesen, daß fast nirgends 
mehr die Richtlinien und Grundlagen der früheren Zeit maß- 
gebend geblieben sind. Bedarf und Versorgung haben sich 
geändert, die Preisbewegung hat sich verschoben, der Handel 
ist gehemmt, der Verkehr unterliegt anderen Bedingungen, 
die Geldwirtschaft zeigt ein anderes Gesicht wie früher — 
kurzum, jede Lebensäußerung ist von den Ereignissen irgend- 
wie betroffen worden. Besonders nach drei Richtungen hin 
tritt dies in Erscheinung: In der Versorgung der Bevölke= 
rung mit Nahrungs= und Genußmitteln, in der Zuführung 
von Rohmaterialien und in der Ersatzwirtschaft. Art der 
Waren und verfügbare Mengen unterscheiden sich grund- 
legend von denen in Friedenszeiten. In allen Erwerbs- 
zweigen sind tiefeinschneidende Umgestaltungen zu beobachten. 
Eine Leistung ersten Ranges, eine Probe von außerordent- 
licher Tüchtigkeit, wird es dabei stets bleiben, wie das 
sächsische Volb, Industrie, Handel und Gewerbe es ver- 
standen haben, sich diesen neuen Aufgaben anzupassen und 
unter den erschwerten Verhältnissen das Wirtschaftsleben 
aufrechtzuerhalten. Wie die militärische Haltung, so wird 
die wirtschaftliche Einstellung während der Kriegsjahre stets 
ein Ruhmesblatt für das deutsche Volk bleiben und überall 
in der Welt Anerkennung erzwingen. 
Manches ist geschaffen worden, was allmählich wieder 
verschwinden, vieles aber auch, was fortleben wird, sei es 
in gleicher Gestalt, sei es als Anregung zu neuen Forschungen 
und Fortschritten. Die Kriegswirtschaft wurde ohne Vor- 
bereitung begonnen. Ein siückweiser Aufbau setzte ein, wie 
gerade die Verhältnisse es am dringendsten erforderten, ohne 
daß ein einheitlicher Plan die Grundlage gebildet hätte. Die 
Erfahrungen, die so teilweise teuer erkauft sind, müssen der 
Zukunft erhalten bleiben, die aus ihnen lernen soll. Die 
Kriegswirtschaft ist eine besondere Wirtschaftsform, nicht 
nur unterbrochene Friedenswirtschaft. Sie muß als Ganzes 
erfaßt und begriffen werden, das gilt auch für die Volks- 
wirtschaft Sachsens im Kriege. 
Die Industrie 
Sachsen ist seiner wirtschaftlichen Eigenart nach ein In- 
dustriestaat. Die wirtschaftlichen Verhältnisse vor dem Kriege 
standen im Zeichen starker Belebung durch die wechselseitigen 
Beziehungen zwischen Inland und Ausland. Der Bezug von 
Rohstoffen aus dem Ausland und der Absatz der Erzeugnisse 
nach dem Auslande waren ganz allgemeine wesentliche Vor- 
bedingungen der Blüte des sächsischen Wirtschaftslebens. 
Wohl nur wenige von uns haben je daran gedacht, daß dies
	        
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