Object: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

214 Prozeßfähigkeit. 
amtes ausschließlich im Urtheilen bestehe, den Parteien allein die Sorge für die 
Fortbewegung des Prozesses und die Auregung der richterlichen Urtheilsthätigkeit im 
Rechtsstreit überlassen, und zwar in dem Umfange, daß jeder Spruch des Gerichtes 
die Verbindung des letzteren mit dem Rechtsstreite aufhebt und es Sache der Par- 
teien ist, dieselbe durch neue Schritte wieder herzustellen. Die Deutsche CO. 
hat diese Französischen Einrichtungen, die sog. Passivität der Gerichte und das 
Desaisirungssystem, nicht angenommen, vielmehr nur im Interesse der Entlastung 
des Gerichtes die Bewirkung gewisser, zum formalen Fortgang des Prozesses erforder- 
lichen Akte den Parteien unter ihrer eigenen Verantwortung zugewiesen. Dieselben 
haben insofern den Prozeß zu betreiben, als sie sich die vorbereitenden Schriftsätze 
und andere Parteischriften, sowie gewisse gerichtliche Entscheidungen und die Ladungen 
gegenseitig durch die Gerichtsvollzieher (Post) zustellen und für die letzteren das 
Gericht vorher um Terminsbestimmung angehen müssen. Dabei ist indessen eine Mit- 
wirkung des Gerichtes nicht vollkommen ausgeschlossen. In der Hand desselben 
liegt zunächst die Ansetzung der Termine bei Einleitung des Prozesses, bzw. der 
Instanz, sowie ferner die Anberaumung aller weiteren Termine nach der ersten münd- 
lichen Verhandlung, mögen sie blos wieder zu einer solchen oder auch zur Beweis- 
aufnahme bestimmt sein. Sodann erfolgt die Ladung von Zeugen und Sachverstän- 
digen, sowie die Beschaffung von Urkunden, welche sich im Besitze von Behörden 
befinden, ebenfalls von Amtswegen durch das Gericht. Selbst gewisse Zustellungen 
und Ladungen, wie z. B. diejenigen, welche im Auslande vorzunehmen sind, und die 
öffentlichen Ladungen bewirkt dasselbe auf Parteiantrag. Ja von Amtswegen hat 
es alle nicht in mündlicher Verhandlung verkündeten Entscheidungen und Verfügungen 
zustellen zu lassen. Endlich ist es, soweit dies nach Lage der Sache möglich, ver- 
pflichtet, selbst beim Ausbleiben beider Parteien in einem Termin zur Beweis- 
aufnahme die letztere vorzunehmen. — In der mündlichen Verhandlung ist dagegen 
von einem P. der Parteien keine Rede, vielmehr tritt hier das Prozeßleitungsrecht 
des Gerichtes viel schärfer und intensiver hervor, als im schriftlichen Prozeß, weil 
durch seine Ausübung der Mangel der festen Gliederung des Prozesses in einzelne 
Stadien und das Fehlen der Eventualmaxime ersetzt werden muß. Es ist das 
Gericht, welches die Verhandlung eröffnet und schließt, für einen geordneten Vortrag 
der Sache sorgt, zu den erforderlichen Prozeßhandlungen (zur Antwort, zur Beweis- 
antretung) auffordert, durch Ausübung des Fragerechtes das Streitmaterial klar 
stellt, erschwerende und chikanöse Vertheidigungsmittel abschneidet, und endlich im 
Interesse leichterer Beherrschung und Bewältigung des Prozeßstoffes die Verbindung 
nicht kumulirter, die Trennung kumulirter Streitigkeiten und die abgesonderte Ver- 
handlung über isolirungsfähige Angriffs= und Vertheidigungsmittel und Präjudizial- 
punkte anordnet (s. das Nähere im Art. Prozeßleitung). 
Ueber den P. der Parteien bei der Zwangsvollstreckung vgl. den be- 
treffenden Artikel. 
Gsgb.: Deutsche CPO. §#§ 152 ff., 191, 193, 458, 479, 515, 548, 127, 281, 323, 326 
bis 328, 332, 333, 485, 520, 548, 342, 367, 397, 182 ff., 283. ç 
Lit.: Wach, Vorträge über die RnpO., Bonn 1879, S. 48 ff. P. Hinschius. 
Prozeßfähigkeit ist die Fähigkeit einer Prozeßpartei, ohne einen gesetzlichen 
Vertreter oder Beistand selbständig den Prozeß zu führen oder durch einen Anderen 
führen zu lassen. „P.“ ist also vor Allem nicht zu verwechseln mit „Parteifähig- 
keit“, d. h. rechtlicher Persönlichkeit und somit rechtlicher Möglichkeit zu klagen oder 
verklagt zu werden; sodann ist „P.“ von Prozeßlegitimation (legitimatio ad pro- 
cessum) zu unterscheiden, d. i. der Befugniß als Vertreter eines Anderen im Prozesse 
desselben aufzutreten. 
Nach dem Gesagten erscheint die P. als eine Seite oder, wie die Motive zu 
§ 50 der CPO. für das Deutsche Reich sich ausdrücken, als ein Ausfluß der 
Handlungs= und Diepositionsfähigkeit. Wer diese Fähigkeit besitzt, wem sie fehlt,
	        
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