Beweisverfahren. 379
bei diesen Entscheidungen das Gericht sich leiten lassen müsse, darüber schweigt das
Gesetz. Das „freie Ermessen“ bezieht sich nur auf die Frage der Vertagung, nicht
auf die der Zulassung des Beweises selbst und die betreffende Anordnung
wird überdies so ausgelegt, daß es sich dabei lediglich um das Ausreichen der Zeit
für etwaige Erkundigungen handelt (v. Schwarze, dagegen Löwe, welcher auch
die Bedürfnißfrage berücksichtigt wissen will); und in der That, — muß die Beweis-
erhebung stattfinden, und würde eine Partei in ihrem Prozeßrecht auf so rechtzeitige
Mittheilung, daß ihr die Erkundigung möglich ist, durch unverzügliche Vornahme
der Beweiserhebung wirklich beeinträchtigt, so darf die Vertagung nicht versagt
werden. Wird nun erwogen, daß Beweisanträge bis zum Schluß der Verhandlung,
bis zu der Verkündung des Spruches gestellt werden dürfen, daß die bloße Verspätung
kein zulässiger Grund der Ablehnung ist und dabei auch jede Rücksichtnahme auf
das Motiv der Verspätung ausgeschlossen scheint, so zeigt sich eine große Gefahr
häufiger und durch den Ausgang nicht gerechtfertigter Erneuerungen der Hauptver-
handlung. Was die Gerichte dagegen zu thun vermögen, ist um so schwerer klar-
zustellen, weil einerseits das Verhältniß der Revisionsgerichte zu dieser ihrer
Thätigkeit ebenfalls der Aufhellung bedarf, andererseits die Kommentatoren bei
der oben erwähnten Besprechung der Vertagungsfrage von der Ansicht ausgehen,
das Gericht habe die Erheblichkeit der angebotenen Beweise gar nicht zu prüfen —
ein Satz, der doch mindestens dann kaum gelten kann, wenn das Gericht die zu be-
weisende Thatsache aus Rechtsgründen für unerheblich erachtet.
Die vorstehend dargestellten gesetzlichen Bestimmungen gelten übrigens nur der
normalen Beweisaufnahme. Erfolgt in der Hauptverhandlung ein Geständ-
niß, so macht dies prinzipiell eine Beweisaufnahme nicht überflüssig, wohl aber
werden sich die Parteien und das Gericht in der Ueberzeugung begegnen, daß viele
der vorbereiteten Beweismaterialien entfallen können; im Schwurgerichtsverfahren
wird auch auf sich kundgebende Bedenken der Geschworenen Rücksicht zu nehmen
sein (in Oesterreich können sie „Beweisaufnahmen zur Aufklärung von erheblichen.
Thatsachen beantragen“, §. 315). Schwieriger ist die Frage, ob das Gericht die
Beweisaufnahme abschneiden könne, wenn nach seiner Ansicht es auf die Aus-
tragung der Schuldfrage gar nicht ankommt (s. d. Art. Hauptverhandlung).
In Bezug auf die Stellung und den Gang des B. in der Hauptver-
handlung ist zunächst zu bemerken, daß die Vernehmung des Angeklagten nicht als
Bestandtheil des B. anzusehen ist; sie ist zuvörderst nur darauf berechnet, den An-
geklagten zu veranlassen, sich über die Anklage zu erklären; sie kann allerdings zur
Ablegung eines Geständnisses führen und dadurch einen Akt der Beweisaufnahme
antizipiren, sowie sie andererseits noch in das B. übergreift, da sie nach jedem Ab-
schnitt desselben wieder aufgenommen wird: allein a priori bilden die Erklärungen des
Angeklagten kein Beweismittel, da sie als solches nur insoweit erscheinen, als sie ein Ge-
ständniß enthalten. Das B. im eigentlichen Sinne fügt sich also zwischen die Vernehmung
des Angeklagten und die Parteivorträge ein. — Die Regel in dem auf dem fran-
zösischen Vorbild beruhenden Strafprozeß ist, daß die Vorführung der Beweise vom
Vorsitzenden des Gerichtes geleitet wird. Er bestimmt die Reihenfolge, in welcher
sie vor sich geht; besorgt die Beweisaufnahme und hat dabei im Wesentlichen die
für die Voruntersuchung ertheilten Vorschriften zu beobachten (Oesterr. StrafPO.
§5§ 232, 241, 246, 248; Deutsche StrafP O. § 237); er greift auch durch die
Wiederaufnahme der Vernehmung des Angeklagten immer von neuem in den Gang
des Verfahrens ein (Deutsche Straf## O. 5 256; Oesterr. § 248 Abs. 4, § 252
Abs. 3). Er ist aber in seinem Vorgehen beschränkt einerseits durch die Kontrolle
des Gerichtes, dessen Entscheidung jederzeit im Laufe des Verfahrens von den Par-
teien angerufen werden kann (Oesterr. StrafP O. § 238, — Deutsche Straf##O.
§ 237 Abs. 2 mit der Beschränkung auf „als unzulässig beanstandete“ An-
ordnungen des Vorsitzenden) und durch das selbständige Recht der Parteien und