Fünfzehntes Kapitel.
Die Alvenslebensche Convenkion.
Gegenüber der Bewegung in Polen, die gleichzeitig mit der
Umwälzung in Italien, und nicht ohne Zusammenhang mit ihr,
durch die Landestrauer, die kirchliche Feier vaterländischer Er-
innerungstage und die Agitation der landwirthschaftlichen Ver-
eine begann, war man in Petersburg ziemlich lange schwankend
zwischen Polonismus und Absolutismus. Die den Polen freund-
liche Strömung hing zusammen mit dem in der höhern russischen
Gesellschaft laut gewordenen Verlangen nach einer Verfassung.
Man empfand es als eine Demüthigung, daß die Russen, die doch
auch gebildete Leute wären, Einrichtungen entbehren müßten, die
bei allen europäischen Völkern existirten, und daß sie über ihre
eignen Angelegenheiten nicht mitzureden hätten. Der Zwiespalt in
der Beurtheilung der polnischen Frage erstreckte sich bis in die
höchsten militärischen Kreise und führte zwischen dem Statthalter
in Warschau, General Graf Lambert, und dem Generalgouverneur
General Gerstenzweig, zu einer leidenschaftlichen Erörterung, die
mit dem nicht aufgeklärten gewaltsamen Tode des Letztern endete
(Jan. 1862). Ich wohnte seiner Beisetzung in einer der evan-
gelischen Kirchen Petersburgs bei. Diejenigen Russen, welche für
sich eine Verfassung verlangten, machten zuweilen entschuldigend
geltend, daß die Polen durch Russen nicht regirbar wären und als
die Civilisirteren erhöhten Anspruch auf Betheiligung an ihrer Re-
girung hätten.