Bismarck's Rede vom 3. December 1850. 85
Wie in der Union die deutsche Einheit gesucht werden soll,
vermag ich nicht zu verstehn; es ist eine sonderbare Einheit,
die von Hause aus verlangt, im Interesse dieses Sonderbundes
einstweilen unfre deutschen Landsleute im Süden zu erschießen
und zu erstechen; die die deutsche Ehre darin findet, daß der
Schwerpunkt aller deutschen Fragen nothwendig nach Warschau
und Paris fällt. Denken Sie sich zwei Theile Deutschlands
einander in Waffen gegenüber, deren Machtverschiedenheit nicht
in dem Grade bedeutend ist, daß nicht eine Parteinahme auf
einer Seite auch von einer geringern Macht als Rußland und
Frankreich ein entscheidendes Gewicht in die Wagschale legen
könnte, und ich begreife nicht, mit welchem Recht Jemand, der
ein solches Verhältniß selbst herbeiführen will, sich darüber be-
klagen darf, daß der Schwerpunkt der Entscheidung unter solchen
Umständen nach dem Auslande fällt.“
Mein leitender Gedanke bei meiner Rede war, im Sinne
der Ueberzeugung des Kriegsministers für den Aufschub des
Krieges zu wirken, bis wir gerüstet sein würden. In seiner
Klarheit konnte ich aber den Gedanken nicht öffentlich aus-
sprechen, ich konnte ihn nur andeuten. Es wäre kein über-
mäßiger Anspruch an die Geschicklichkeit unfrer Diplomatie
gewesen, von ihr zu verlangen, daß sie den Krieg nach Be-
dürfniß verschieben, verhüten oder zum Ausbruch bringen solle.
Zu jener Zeit, November 1850, war die russische Auf-
fassung der revolutionären Bewegung in Deutschland schon eine
viel ruhigere als bei dem ersten Ausbruche im März 1848.
Ich war befreundet mit dem russischen Militär-Attacheé Grafen
Benckendorf und erhielt 1850 im vertrauten Gespräche mit
ihm den Eindruck, daß die deutsche einschließlich der polnischen
Bewegung im Petersburger Cabinete nicht mehr in demselben
Maße wie bei ihrem Ausbruche in Petersburg beunruhigte und
zu Olmütz Abrüstung vor Beginn der freien Conferenzen verlangt,
und Preußen rüstete am 10. Dezember 1850 ab.