Verdächtigungen. Abneigung Bismarck's gegen d. Wiener Posten. 101
Könige über Wien hatte. Ich nahm dann die Stellung, zu
sagen: „Wenn Eure Mojestät befehlen, so gehe ich dahin, aber
freiwillig nicht, ich habe mir die Abneigung des östreichischen
Hofes in Frankfurt im Dienste Eurer Majestät zugezogen, und
ich werde das Gefühl haben, meinen Gegnern ausgeliefert zu
sein, wenn ich Gesandter in Wien werden sollte. Jede Regi-
rung kann jeden Gesandten, der bei ihr beglaubigt ist, mit
Leichtigkeit schädigen und durch Mittel, wie sie die östreichische
Politik in Deutschland anwendet, seine Stellung verderben.“
Die Erwiderung des Königs pflegte zu sein: „Befehlen will
ich nicht, Sie sollen freiwillig hingehn und mich darum bitten;
es ist das eine hohe Schule für Ihre diplomatische Ausbildung,
und Sie sollten mir dankbar sein, wenn ich diese Ausbildung,
weil es bei Ihnen der Mühe lohnt, übernehme."“
Auch die Ministerstellung lag damals außerhalb meiner
Wünsche. Ich war überzeugt, daß ich dem Könige gegenüber
als Minister eine für mich haltbare Stellung nicht erlangen
würde. Er sah in mir ein Ei, was er selbst gelegt hatte und
ausbrütete, und würde bei Meinungsverschiedenheiten immer
die Vorstellung gehabt haben, daß das Ei klüger sein wolle
als die Henne. Daß die Ziele der preußischen auswärtigen
Politik, welche mir vorschwebten, sich mit denen des Königs
nicht vollständig deckten, war mir klar, ebenso die Schwierig-
keit, welche ein verantwortlicher Minister dieses Herrn zu
überwinden hatte bei dessen selbstherrlichen Anwandlungen mit
oft jähem Wechsel der Ansichten, bei der Unregelmäßigkeit in
Geschäften und bei der Zugänglichkeit für unberufne Hinter-
treppen-Einflüsse von politischen Intriganten, wie sie von den
Adepten unfrer Kurfürsten bis auf neuere Zeiten in dem re-
girenden Hause, sogar bei dem strengen und hausbacknen Fried-
rich Wilhelm I. Zutritt gefunden haben — pharmacopolae,
balatrones, hoc genus omne ). Die Schwierigkeit, gleichzeitig
1) Horat. Sat. 1 2, 1f.